Erste Begegnung

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Ich kritzelte gelangweilt auf meinem Arbeitsblatt herum, ich war schon längst fertig. Ich betrachtete die Kritzelei und beschloss mir jetzt Mühe zu geben und daraus einen kleinen Hund zu erschaffen.

Ich setzte den Bleistift an und zog sorgfältig die Linien, bis sie alle zusammen ein Bild ergaben, einen Welpen mit großen Augen und Schlappohren.

Ich war so in meine Tätigkeit vertieft dass ich ihn erst bemerkte als er mit seinem zu großen Hoodie das Blatt mit der Zeichnung vom Tisch wischte.
Ich schaute auf und wollte ihn bereits anmaulen, doch etwas an seiner Haltung hielt mich davon ab. Wortlos bückte ich mich nach meinem Arbeitsblatt, auf eine Entschuldigung wartete ich vergeblich.

Er war der Neue, über den alle redeten. Er war seit einem Monat hier, ich hatte bis jetzt jedoch noch nie wirklich sein Gesicht gesehen, nur flüchtig. Ich hatte nur zwei Kurse mit ihm zusammen da er Oberstufenschüler war, deshalb interressierte er mich auch nicht weiter.

Warum sie alle über ihn redeten? Er war seltsam, das war nicht zu übesehen. Er hatte in diesem Monat mit niemandem ein Wort gewechselt, seine Noten waren nicht gut. War ja auch kein Wunder bei der Unterrichtsbeteiligung...Außerdem war er immer zu spät, so wie jetzt eben. Ich schenkte ihm nicht weiter
Beachtung und widmete meine Aufmerksamkeit meinem unvollendeten Welpen.
__________

Endlich Schule aus, Wochenende!
Gerade wollte sich dieser angenehme Gedanke in meinem Kopf breitmachen als mir einfiel, dass ich heute Büchereidienst hatte. Genervt schlurfte ich zum anderen Gebäudekomplex hinüber, in dem sich die Turnhalle, die Cafeteria und die Bücherei befanden.

Jeder Schüler der Mittelstufe musste den Büchereidienst mit einem der Oberstufenschüler ableisten, weshalb ich betete dass ich keinen dieser Schläger abbekam. Den Dienst mit einem dieser Typen abzusitzen würde wenig erfreulich werden.

Ich betrat die Bücherei, doch mein Leidenspartner schien noch nicht hier zu sein. Ich meldete mich bei Jeonghan, ein hübscher Junge mit langen Haaren, der eine Stufe unter mir war. Er hatte die Schicht vor mir zugeteilt bekommen, jetzt sagte ich ihm bescheid dass er gehen könne.

Sein "Partner" war wohl bereits früher gegangen, er saß nämlich alleine hinter dem Tisch.

"Hey Jeonghanah, kannst schon abhauen. Ich übernehm ab jetzt"

"Danke Jimin Hyung"
erwiderte er mit einem zurückhaltenden Lächeln und verschwand.

Die Schicht ging drei Stunden, ich würde mein Tanztraining verpassen. Ich hatte Hoseok und Jungkook bereits bescheidgesagt, sie mussten ohne mich gehen.
Eine halbe Stunde war vergangen und ich hatte bereits die Hoffnung aufgegeben dass mein mir zugeteilter Partner noch auftauchen würde. Doch falsch gedacht.

Er wurde eher in den Raum geweht als dass er hineinging. Sein viel zu großer Hoodie schlackerte lose um seinen dünnen Körper, die Kapuze hatte er sich ins Gesicht gezogen.

Ich stöhnte innerlich auf. Das konnte ja eine tolle Schicht werden.

"Hallo. Ich bin Park Jimin"

Er machte keine Anstalten mir einen Blick zu schenken, noch mich ebenfalls zu begrüßen. Denkt wohl er wäre was besseres...

"Ich komme aus Busan und du? Wie heißt du überhaupt?"

Wieder Schweigen.

"Ich komme aus Daegu. Und ich heiße MinYoongi."

Ich zuckte zusammen als er antwortete. Auch wenn ich gefragt hatte, ich habe nicht gedacht dass er mir antwortet.
Seine Stimme klang gelangweilt, aber angenehm. Sie war ein bisschen rau und tiefer als gedacht.

Er setzte sich hin und packte seine Sachen aus, aber nicht seine Hausaufgaben so wie ich, sondern einen kleinen Notizblock. Ich beobachtete seine Bewegungen genau, ich wusste nicht warum aber plötzlich begann ich mich für ihn zu interressieren.

Seine langen, blassen Finger strichen über das Papier, dessen Geräusch die Stille in der Bibliothek ausfüllte.

Dann wendete er mir plötzlich sein Gesicht zu.

"Kannst du auch andere Sachen machen außer andere Leute zu beobachten?" sagte er mit monotoner Stimme.

Er sah gut aus. Ich war darüber fast schon überrascht. Seine Haut schimmerte blass und durchscheinend, der Mund klein aber dennoch schön geschwungen...doch am schönsten waren seine Augen: dunkel, mandelförmig und intensiv musterten sie mich.

Aber was dachte ich da überhaupt?! Hatte ich gerade tatsächlich von einem Jungen geschwärmt?

Ach was...

Wenn man zugibt dass jemand gut aussieht dann ist es ja nicht gleich eine Schwärmerei...

Wir saßen weiter einfach schweigend da, es war Freitag und die Bücherei war bis auf uns und zwei, drei Schüler leer. Dann konnte ich immerhin ungestört meine Hausaufgaben erledigen, Yoongi würde seinen Mund warscheinlich nicht wieder aufbekommen.

Doch erneut hatte ich den stillen Älteren falsch eingeschätzt. Wieder zuckte ich zusammen als seine raue, gelangweilte Stimme mich aus meinen Grdanken riss.

"Du bist doch der, der immer im Unterricht zeichnet und trotzdem gute Noten schreibt, eh?"

Sein Tonfall hatte etwas abwertendes an sich.

"Ja der bin ich." antwortete ich einfach. Ich wusste nicht was ich sonst dazu sagen sollte.

"Und du tanzt doch auch oder?"
Es klang eher wie eine Feststellung an Stelle einer Frage. Sein Gesicht zeigte kein Interresse an meiner Antwort, aber sonst hätte er wohl kaum gefragt.

"Ja, woher weißt du das?"
Ich war tatsächlich überrascht dass er das wusste, wer sollte ihm denn sowas sagen?

"Ich sehe dich wenn du ins Tanzstudio läufst. Das liegt gleich gegenüber dem mit Graffiti besprühten Gebäude. Da bin ich oft."

"Hm"
Ich rümpfte meine Nase bei dem Gedanken an das gruslige Fabrikgebäude gegenüber des Tanzstudios. Ich würde zwar gerne behaupten dass es mir nichts ausmachte Nachts daran vorbeizulaufen, doch das wäre gelogen.

Und dort war er öfters? Was sollte er da drin?

Ich beschloss es herauszufinden. Ich wusste zwar selbst nicht so genau warum ich das wissen wollte, doch dieser seltsame Junge hatte mich irgendwie fasziniert.

"Was heißt oft?" Fragte ich, und bemerkte dann wie lächerlich diese Frage war.
Was heißt "oft"?
So viel wie fast jeden Tag, aber nicht zu bestimmten Zeiten. Oft eben.

Er schien die Frage jedoch ernstzunehmen.
"So alle paar Tage eben. Vorallem Freitags, Samstags und Sonntags."

Freitags. Günstiger konnte es nicht sein.
Dann fasste ich den seltsamen Gedanken ihm dorthin zu folgen.

Warum wusste ich selbst nicht.

HyungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt