Kapitel 4

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Grüne Wiesen und Wälder zogen vorbei. Maggie war jetzt schon fast vier Stunden unterwegs und musste bald in Northhallerton ankommen. Nachdem sie aufgestanden war, hatte sie ihren Rucksack gepackt, ein paar Anrufe getätigt, um über ihre Abwesenheit zu informieren und war dann mit dem Bus zum Bahnhof Bristol Temple Meads gefahren. Jetzt saß Maggie allein in einem Zugabteil und betrachtete die wunderschöne englische Landschaft vom Fenster aus. Dann kramte sie einen Zettel aus ihrer Jackentasche, auf dem die Adresse der Heelshires stand und las sie sich nocheinmal durch. Von Northhallerton musste sie wieder mit dem Bus fahren, um zu dem kleinen Städtchen zu gelangen, in dem sich das Anwesen des Ehepaars Heelshire befand. Sie fragte sich, wie die beiden bei ihrer Ankunft reagieren würden. Würden sie ihr überhaupt etwas erzählen? Vielleicht würden sie sie bloß für eine neugierige Touristin halten und wieder wegschicken. Sehr wahrscheinlich sogar. Aber ich muss es versuchen. Noch nie war Maggie zu irgendetwas so fest entschlossen gewesen. Der Zug fuhr in den Bahnhof ein und sie verstaute den Zettel wieder in ihrer Tasche. Dann nahm sie sich ihren Rucksack und machte sich auf den Weg nach draußen.

Eine dreivirtel Stunde später stieg sie aus dem Bus aus. Als einzige. Die Leute zog es wohl nicht gerade hierher. Maggie sah sich um. Auch auf den Straßen war nicht viel los. Aber von einem kleinen englischen Städtchen mitten im Nirgendwo konnte man wohl nicht so viel erwarten. Maggie setzte sich den Rucksack auf und wanderte eine Weile durch die Straßen. Sie fand, es war ein hübsches Städtchen doch sie entdeckte nur schlichte kleine Häuser mit gepflegten kleinen Vorgärten. Nirgends konnte sie das riesige Haus der Heelshires ausmachen. Auch begann es langsam zu dämmern. Es ist wohl besser, ich suche mir einen Platz zum schlafen und nehme dann morgen ein Taxi, dachte Maggie. In der Nähe der Bushaltestelle hatte sie einen Pub gesehen, wo man auch ein Zimmer mieten konnte und beschloss, diesen aufzusuchen.

Als Maggie die Tür zum Pub öffnete, drang ihr der Geruch von Bier in die Nase. Auch hier schien nicht viel los zu sein. Nur ein Tisch war besetzt, daran saßen ein Paar alte Männer und spielten Karten. Sie sahen neugierig zu Maggie herüber, als sie den Raum betrat. „Guten Abend", sagte Maggie und lächelte unsicher. „Guten Abend, Miss!", rief einer der Männer und sie merkte sofort, dass er etwas zu tief ins Glas geschaut hatte. „Setzten Sie sich ruhig zu uns, wir spendieren Ihnen gerne einen Drink!" Die Männer lachten schallend. Na klasse! Jetzt werde ich schon von alten Opas belästigt... dachte Maggie. „Ähh, also ich...", setzte sie an, doch sie wurde von einem jungen Mann mit kurzen braunen Haaren, blauen Augen und einem freundlichen Lächeln unterbrochen, der sich als der Barkeeper herausstellte. „Sehr charmant, Pat", lachte er. „Aber ich glaube nicht, dass die junge Dame Lust hat, sich den ganzen Abend euer Gelaber anzuhören." Der alte Mann, Pat, grummelte als Antwort nur irgendetwas vor sich hin. „Bring uns lieber noch ein Bier, Junge!", sagte ein anderer. „Ja, kommt sofort", antwortete der junge Mann und zu Maggie gewandt sagte er: „Nimm's ihnen nicht übel, sie haben schon lange keine Frau mehr unter 60 gesehen." Maggie musste schmunzeln. „Setz dich doch an die Bar, da werden sie sich nicht weiter belästigen. Kann ich dir was zu trinken bringen?" „Ja, ein Wasser bitte", antwortete Maggie, nahm den Rucksack von den Schultern und setzte sich auf einen Barhocker. „Ich bin übrigens Sebastian, mir gehört der Laden hier." „Ich bin Maggie, freut mich", erwiderte Maggie mit einem Lächeln. „Kann ich hier ein Zimmer mieten für heute Nacht?", fragte sie. „Ja klar", antwortete er. „Ist alles frei." Maggie sah zu, wie Sebastian hinter der Theke Wasser in ein Glas schüttete. „Ich hab das Gefühl, in dieser Stadt ist nicht viel los, was?" „Nein, unter der Woche gar nicht. Aber am Wochenende ist der Laden hier zum Bersten voll. Da hab ich dann jede Menge zu tun."

„Also...gibt es hier irgendwelche besonderen Sehenswürdigkeiten?", fragte Maggie.

„Naja, vor einigen Jahren war das Anwesen der Heelshires bei Touristen beliebt. Aber die fanden das natürlich nicht so prickelnd und haben jedem, der ihrem Grundstück zu nahe gekommen ist, mit der Polizei gedroht. Seitdem haben sich eigentlich kaum noch fremde Leute hierher verirrt. Hier, dein Wasser." Sebastian stellte das Glas vor ihr hin. „Danke." Maggie nahm es und trank einen Schluck. „Und kannst du mir sagen, wo genau sich das Anwesen befindet?", hakte sie nach. Sie hörte, wie die alten Männer in ihrem Gespräch inne hielten. „Ja, es liegt im Wald, ein paar Meilen nördlich der Stadt. Du bist doch nicht etwa auch so eine neugierige Touristin?" Sebastian sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Maggie bekam leichte Gewissensbisse, im Grunde war sie ja genau das. Nur für sie hatte dieses Haus eine tiefere Bedeutung. Aber das sollte nicht jeder wissen, also log sie: „Nein, ich....ich schreibe ein Buch und wollte mich ein bisschen von dem Haus und seiner Geschichte inspirieren lassen." Sie merkte, wie sich die Männerrunde wieder ihrem Kartenspiel zuwandte. Ein Glück, dachte Maggie. Das letzte, was ich brauchen kann, sind neugierige Schaulustige. Sebastian nickte. „Okay, also wenn das so ist...." Er überlegte kurz. „Morgen ist Freitag, oder? Ich kann dich dahin bringen. Ich hab morgen früh sowieso nichts vor, wir öffnen erst nachmittags." „Oh, das ist nett, wirklich, aber ich kann auch ein Taxi nehmen. Ich will auf keinen Fall Umstände machen." „Nein, das macht keine Umstände. Ehrlich gesagt, kann ich auch mal ein bisschen Abwechslung gebrauchen." Er lächelte Maggie an. Sie zögerte. Eigentlich wollte sie lieber alleine dorthin. Andererseits schien Sebastian sehr nett zu sein und er kannte sich hier auch besser aus als sie. Bestimmt konnte er ihr einige Fragen beantworten. „Okay", sagte sie schließlich. „Danke." 

Spuren der Vergangenheit ("The Boy" Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt