Kapitel 10

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Als Maggie am nächsten Morgen in die Küche kam,
war der Frühstückstisch zu ihrer Überraschung bereits gedeckt.
Es war mehr als Maggie jemals essen konnte: Pfannkuchen, Spiegelei, gebratener Speck,  Brot, Obst, Orangensaft, Kaffee und sogar ein Kuchen mit angezündeten Kerzen.
Brahms saß schon fertig angezogen am Tisch.
Seine kleine Porzellanhand lag auf einer Karte. Maggie zog sie unter seiner Hand hervor.
Darauf war eine Zeichnung, die ebensoschön war, wie die mit der Blüte.
Sie zeigte Maggie, (die sehr gut getroffen war, wie sie selbst fand), lächelnd, in einem wunderschönen Kleid. Und darunter stand „Happy Birthday!"
Maggie musste grinsen.
Sie freute sich wirklich und hatte sie bis jetzt noch in irgendeiner Weise Angst oder Misstrauen gegen den Geist, oder mit was auch immer sie es zu tun hatte, gehegt, waren diese nun vollkommen verschwunden.
„Woher wusstest du, dass heute mein Geburtstag ist?", fragte sie zur Puppe gewandt. Natürlich erhielt sie keine Antwort.
„Ich kann nicht fassen, dass du das alles für mich gemacht hast!"
Sie deutete auf den Tisch. „Und die Karte ist wunderschön. Danke", sagte sie,
kniete sich neben die Puppe und umarmte sie fest.
Dann setzte sie sich und nahm sich von allem etwas. Sie konnte fast nicht aufhören zu essen, so gut schmeckte es.

Nach dem Frühstück räumte sie auf und legte die Reste in den Gefrierschrank.
Draußen hatte es hatte inzwischen aufgehört, zu schneien, dennoch bedeckte immer noch eine dichte, weiße Schneedecke den Boden. Maggie fragte sich, ob es nicht mehr als bloßer Zufall war, dass sie hier feststeckte. Wenn es Geister gab, gab es vielleicht auch soetwas wie Schicksal? Vielleicht war sie aus einem bestimmten Grund hier. Sie dachte daran, dass der Geist des kleinen Jungen auch hier feststeckte, dass er sogar eine Zeit lang hier alleine gewesen war und dass er keine Eltern mehr hatte. Natürlich war sie nur um ihrer toten Schwester Willen hergekommen, doch sobald Maggie hatte, was sie wollte, konnte sie einfach so von hier verschwinden?
Nein, kann ich nicht, dachte sie, ich würde es nicht übers Herz bringen, den Jungen hier allein zu lassen. Aber für immer kann ich auch nicht hierbleiben. Ich muss mir etwas einfallen lassen.
Doch fürs erste würde sie sich um Brahms kümmern.
Sie nahm ihn mit ins Wohnzimmer, wo sie ihm etwas vorlas.
Dann spielten sie verstecken (wobei Maggie immer die Puppe suchen musste, die sie an den unterschiedlichsten Stellen im Haus wiederfand) und sie kochte für sie beide.

So vergingen einige Tage, in denen Maggie die Regeln befolgte, sich um Brahms kümmerte und in denen der Schnee genug schmolz, um wieder in die Stadt fahren zu können. Während sie Frühstück machte, überlegte Maggie, ob sie vielleicht ein Taxi rufen sollte.
Andererseits konnte sie jetzt nicht gehen. Nicht nur, weil sie immer noch nicht an das Tagebuch gekommen war, sondern auch, weil sie Brahms nicht einfach so zurücklassen konnte. Vielleicht konnte sie ihn ja mit zu sich nach Hause nehmen? Doch diese Idee verwarf sie sogleich wieder. Dort würde er sich sicher nicht wohlfühlen und außerdem würde sie sich nicht ewig um ihn kümmern können, wenn sie ihr eigenes Leben wieder in den Griff bekommen wollte. Was soll ich nur tun?, dachte sie, da klopfte es an der Haustür. Maggie sah kurz zu der Puppe, die am Esstisch saß, dann ging sie zur Eingangshalle und öffnete die Tür.
Draußen stand Sebastian und sah ein wenig schuldbewusst drein. „Hey, Maggie."
„Oh...Hi, Sebastian", sagte Maggie zaghaft. Sie war sich unsicher, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte.
„Maggie, ich will mich bei dir entschuldigen. Ich hab mich die letzten Tage nur um meine Angelegenheiten gekümmert und dich hier einfach sitzen lassen. Das muss furchtbar für dich gewesen sein, hier alleine festzustecken. Ich war ein Idiot und das tut mir leid. Ich kann dich jetzt wieder zurück in die Stadt mitnehmen und du kannst auch bei mir bleiben, so lange du willst, bevor du nach Hause fährst."
Einerseits war Maggie gerührt, denn obwohl das letzte Telefonat etwas enttäuschend für sie gewesen war, sah sie eigentlich keinen Grund für Sebastian, sich entschuldigen zu müssen. Außerdem wollte er ihr immer noch helfen. Andererseits fühlte sie sich ein wenig überrumpelt, hatte sie sich doch darauf eingestellt, noch zumindest ein paar weitere Tage zu bleiben, bis sie das Tagebuch oder wenigstens eine Lösung für das Problem mit Brahms gefunden hatte.
Um nicht sofort auf Sebastians Angebot eingehen zu müssen, sagte sie: „Komm doch erstmal herein; ich habe gerade Frühstück gemacht." Sebastian nickte und trat ein.
Auf dem Weg in die Küche sagte er: „Gestern war übrigens so ein Mann bei mir im Pub, er hat nach dir gefragt. Er hat nicht gesagt, wie er heißt; er meinte nur, sein Freund Daniel...oder war es Dylan? Keine Ahnung. Also er meinte, ein Freund schickt ihn und er müsse dich dringend sprechen."
Maggie lief es eiskalt den Rücken hinunter. Sie versuchte, sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen und fragte im Plauderton: „Und, was hast du ihm gesagt?" „Nur, dass ich dich kenne aber nicht weiß, wo du zurzeit bist. Und dass ich es dir ausrichte, soblad ich dich wieder treffe."
Maggie nickte. „Gut. Er soll nicht wissen, wo ich bin. Ich kann ihn nämlich nicht sonderlich leiden."

Spuren der Vergangenheit ("The Boy" Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt