11. Kapitel

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11. Kapitel - Ein Anblick, den man nicht vergisst

He had beautiful eyes. The kind you could get lost in. And I guess I did.

- Unbekannt

Seine Frage holte mich aus meinem leicht katatonischen Zustand heraus. Mein Blick klärte sich und am Rande meines Bewusstseins traten ein paar stumpfe Emotionen auf. Während ich anfing, mir darüber klar zu werden, was hier vor sich ging, starrte ich in Kyles blaue Augen. Er lächelte mich noch immer an und wartete geduldig auf eine Antwort. Er war niemand, der klein beigab. Bevor ich anfangen konnte, mich zu fragen, was eigentlich in mich gefahren war, antwortete ich:

„Ja, klar."

Zufrieden stieg Kyle aus, kam um das Auto herum, öffnete mir die Tür und hielt mir die Hand entgegen. Ich ergriff sie, ließ aber los, sobald ich stand. Ein leises Hupen ertönte, als ich den Wagen abschloss. Lautes Klacken war zu hören. Meine Absätze waren viel zu laut für die stille Nacht. Noch ein wenig lauter und ich würde die ganze Straße aufwecken. Da ich es nicht darauf anlegen wollte, lief ich über den vom Tau feuchten Rasen zum Haus, während Kyle den Weg nahm. Vor der Tür sagte Kyle:

„Es ist niemand zu Hause. Wir müssen also nicht leise sein."

Er grinste mich schelmisch an. Ich erwiderte sein Grinsen ein wenig freudlos, zog dabei aber eine Augenbraue hoch. Es hatte mich einige Zeit gekostet, das zu lernen, weshalb ich es gerne bei jeder Gelegenheit, die sich bot, tat.

Kyle schloss hinter mir die Haustür. Interessiert blickte ich mich um. Im Gegensatz zu unserem Haus hatte seines einen Flur. Am Ende führte eine Treppe in den ersten Stock hinauf. Davor gingen in ungleichmäßigen Abständen Türen ab. An den Wänden hingen einige Bilder. Alle selbst gemalt, das konnte ich daran erkennen, dass die Farben an einigen Stellen Erhebungen hinterlassen hatten. Ansonsten war der Flur leer.

„Wer hat die gemalt?", fragte ich, als ich ein Landschaftsgemälde betrachtete, das erstaunlich gut war.

Kyle zuckte mit den Schultern und meinte knapp:

„Ich."

Erstaunt sah ich zu ihm auf, da er dicht neben mir stehen geblieben war.

„Nur so ein Hobby."

Er legte einen Arm um meine Hüfte und zog mich mit sich ins Wohnzimmer.

„Setz dich. Kaffee?", fragte er höflich.

Mir einen Spruch verkneifend nickte ich. Unter normalen Umständen hätte ich eine solche Vorlage nicht ignoriert, aber das hier war alles andere als normal. Kyle verschwand unterdessen in die angrenzende Küche. Neugierig sah ich mich um und zog dabei meine Schuhe aus. Mir taten vom langen Stehen die Füße weh. Diese Schuhe waren reine Folterinstrumente, vor allem für jemanden, der es nicht gewohnt war, darin zu laufen, geschweige denn zu tanzen.

Das Wohnzimmer war in warmen Farbtönen gestrichen und eingerichtet. Rot und Orange dominierten dabei. Lediglich das Sofa war mit einem dunkelgrauen Überwurf bezogen. An den Wänden hingen weitere Bilder von Kyle und einige Familienfotos. Interessiert ging ich barfuss zum Fernseher, über dem hauptsächlich Kinderbilder hingen. Ich erkannte Kyle sofort darauf. Schon als kleiner Junge hatte er strahlendblaue Augen gehabt. Als ich schmunzelnd eines betrachtete, auf dem er überall Schokolade im Gesicht und einen Schneebesen in der Hand hatte, kam Kyle zurück. Er stellte sich neben mich und drückte mir eine heiße Tasse Kaffee in die Hand. Der Geruch weckte sofort die Sucht in mir, weshalb ich an der Tasse nippte, obwohl sie eigentlich viel zu heiß war.

„Das ist mir jetzt irgendwie peinlich", meinte er.

Ich lächelte noch breiter, als ich das nächste Foto betrachtete. Sein erster Schultag. Der Haarschnitt war schrecklich, aber ich fand trotzdem, dass er gut aussah. So gut ein Sechsjähriger mit Topfdeckelfrisur eben aussehen konnte.

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt