43. Kapitel

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43. Kapitel – Zuhause

Es gibt keinen Ort, der das Zuhause ersetzen kann.

-Volksweisheit

Ich hatte es tatsächlich geschafft, Alexanders Versuch beim Frühstück zu widerstehen. Statt erneut in den Genuss seines Schlafzimmers zu kommen, hatte ich ihn ebenfalls angemacht, nur um dann von Tisch aufzustehen, mich anzuziehen und zu gehen. Alex hatte mich zur Verabschiedung umarmt und war dann frustriert zurückgeblieben, während ich nach Hause gefahren war. Tja, das Spiel konnten eben auch von Zweien gespielt werden. Und ich muss zugeben, es verschaffte mir eine Art von krankhafter Befriedigung, zu wissen dass ich in der Lage war, ihr dermaßen zu reizen. Anscheinend war ich eine Frau mit vielen verborgenen Talenten. Ha! Anscheinend war ich überhaupt eine Frau, in den Augen der Männer. Das war ein sehr beruhigender Gedanke, wenn man sich vorher jahrelang vorkam, wie der Kumpeltyp und kein einziger Kerl in irgendeiner romantischen Art und Weise Interesse an mir gezeigt hatte.

„Wo warst du letzte Nacht?", wurde ich von meinem Vater empfangen, kaum dass ich einen Fuß zur Tür herein gesetzt hatte.

Seufzend legte ich den Kopf kurz in den Nacken, zog den Schlüssel aus der Tür, machte sie hinter mir zu und ließ mich neben ihm auf dem Sofa nieder.

„Bei Alex. Ich brauchte jemanden zum Reden und bin dann dort eingeschlafen", erklärte ich.

Mein Vater stellte den Fernseher auf stumm, auf dem die üblichen Nachrichten über den Irakkrieg liefen und sah mich nachdenklich an. Langsam fing ich an zu verstehen, warum Alex es nicht leiden konnte, wenn ich bei ihm diese Nachrichten sah. Es machte die ganze Situation noch allgegenwärtiger, als sie es ohnehin schon war. Scheinbar färbte mein Vater mit seinen Angewohnheiten auf mich ab.

„Ist er dein Freund?", fragte er mit zusammengekniffenen Augen.

„Nein Dad. Er ist ein Freund", sagte ich und schmunzelte.

Er sah mich verständnislos an. Scheinbar gehörte er zu den Menschen, die glaubten, dass Frauen und Männer nicht einfach nur befreundet sein konnten. Wie Recht er in diesem Fall damit hatte, sagte ich ihm lieber nicht.

„Ich musste mir bisher nie Gedanken über so etwas machen. Ich hoffe einfach, dass du weißt, was du tust", gestand er mir und fuhr sich übers Gesicht.

Ich grinste verständnisvoll. Welcher Vater wollte sich schon vorstellen, was seine Tochter so alles des Nachts in fremden Betten trieb?

„Natürlich. Mach dir keine Sorgen."

Zufrieden drückte mein Dad mir einen Kuss aufs Haar und meinte dann, ich solle mich fertig machen, er wolle in 30 Minuten fahren. Er schien offenbar noch immer zu denken, dass ich dieselbe schüchterne, zurückhaltende Lilly von früher war. Zum Glück. Ich wollte wirklich nicht herausfinden, wie er reagieren würde, wenn er die Wahrheit erkannte.

Ich sprang unter die Dusche, zog mir frische Klamotten an und fuhr dann gemeinsam mit meinem Dad ins Krankenhaus. Glücklich lief ich mit ihm die Stufen hoch, bis zur Station. Lächelnd ging ich ins Zimmer meiner Mutter, wo ich jedoch feststellen musste, dass das Bett leer war. Genau wie das Zimmer, der Schrank, der Tisch, nirgendwo befanden sich irgendwelche persönliche Sachen meiner Mum. Ich wusste, wie ein Zimmer aussah, das gemacht worden war, damit der nächste Patient dort wohnen konnte. Und dieses Zimmer sah genau so aus. Leer und sauber. Der Geruch vom Desinfektionsmittel hing noch in der Luft.

Ich sah zu meinem Dad, der neben mir stand. Er schaute mich verwirrt an. Ich stoppte die Schwester, die an uns vorbei gehen wollte und fragte:

„Entschuldigen Sie: Wo ist meine Mutter?"

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt