45. Kapitel

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45. Kapitel - Zerbrochen

Was nützt es, im Außen vollständig zu sein, wenn man in Innern zerbrochen ist.

-Nick Vujicic

Piep, piep, piep.

Murrend drehe ich mich von einer Seite, auf die andere. Mein Kopf dröhnte, als würde jemand darin nach Gold graben, und das nervige Piepen, war da keine Hilfe. Ich tastete blind nach meinem Handy, damit es aufhörte, solche Geräusche zu machen. Moment. Mein Handy machte solche Geräusche gar nicht.

Stöhnend griff ich mir an den Kopf. Doch etwas behinderte mich dabei. Ich öffnete blinzelnd die Augen und starrte auf meine, vom Neonröhrenlicht erhellte, rechte Hand. Sie tat immer noch von der Verstauchung weh, aber das war es nicht, was mich behindert hatte. Es war der Schlauch, der an dem Venenkatheter hing. Verdammt. Ich schaute hoch zum Infusionsbeutel. NaCl stand darauf. Alles in allem nichts Tragisches, aber wer weiß was da sonst noch drin war. Wenn ich es mir so recht überlegte, wollte ich das gar nicht wissen.

Aufmerksam schaute ich mich um. Ich war definitiv im Krankenhaus. Alleine, lag ich in einem Einzelzimmer. Die Wände waren in dem typischen Weiß gehalten das in sämtlichen Krankenhäusern die Zimmer dominierte. Eine Tür führte raus zum Gang, eine weitere zum Bad. Außer dem Bett befanden sich noch ein Schrank, ein kleiner Kühlschrank, ein Tisch und zwei Stühle im Raum. Ich war zumindest nicht in dem Krankenhaus, in dem ich drei Monate lang gearbeitet hatte. Dieses hier hatte gemütlichere Betten. Diese Erkenntnis fand ich äußerst beruhigend. Ich konnte gut darauf verzichten, jemanden zu treffen oder gar von ihm behandelt zu werden, den ich kannte.

Als nächstes nahm ich mich selbst in Augenschein. Am linken Arm war eine Blutdruckmanschette befestigt. Die Hand war dick eingebunden und sie tat höllisch weh. Am Rande meines Bewusstseins tauchte eine Erinnerung auf. Ich hatte mir die Hand zerschnitten. Vermutlich hatten sie sie nähen müssen. An meiner rechten Hand, am Zeigefinger, steckte die Klammer des Pulsoximeters, welche den Puls und den Sauerstoffgehalt in meinem Blut überwachte. Ich folgte dem Kabel zum Monitor. Meine Werte waren vollkommen in Ordnung. Moment. Was machte der Monitor für ein Elektrokardiogramm daneben? Ich sah auf meine Brust. Ich hatte überall Elektroden kleben. Wieso zur Hölle, machten sie ein EKG? Mit meinem Herzen stimmte doch alles.

Wenn ich es recht betrachtete, war es eigentlich nicht in Ordnung. Nicht wirklich. Es tat höllisch weh. Jedoch mehr im übertragenen Sinne, denn mit einem Schlag, war die Trauer wieder da. Meine Kehle schnürte sich zusammen und mein Herz tat bei jedem Schlag weh. Ich wünschte, es wären die letzten.

Die Leere in mir, kehrte zurück und machte sich immer breiter, bis da nichts mehr war, außer dem Schmerz und der unendlichen Trauer. Ich hätte ebenso gut tot sein können, denn auf dieser Welt hielt mich nichts mehr.

Langsam rutschte ich in meinem Bett nach unten. Ich drehte mich auf die Seite, zog die Decke bis hoch zum Kinn und starrte durch die schmutzige Fensterscheibe nach draußen. Es regnete Bindfäden. Zum ersten Mal seit Wochen. Es war, als würde der Himmel mit mir fühlen. Als würde er mit mir zusammen um meine Geschwister weinen.

Ich presste die rechte Hand auf mein Herz. Es tat so weh. Ein Heulkrampf erfasste mich und ein Zittern ging durch meinen Körper.

Warum nur? Warum hatten sie mich verlassen? Warum war ich noch hier? Warum sie und nicht ich? Warum, warum, warum?

Schluchzend zog ich mir die Decke über den Kopf. Meine Schläfen begannen vom Weinen zu schmerzen, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich fühlte mich so einsam. So verlassen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich genau das war: Alleine.

Genau wie damals, als Anna gestorben war. Das ging doch nicht! Ich war kein Einzelkind. Ich war kein Einzelgänger. Ich brauchte Menschen um mich herum. Meine Familie. Meine Freunde. Aber wie so oft, war da niemand. Ich war alleine. Alleine in einem Krankenhauszimmer. Alleine mit meinen Gedanken. Alleine mit den Geräten und der Infusion. Alleine mit dem Schmerz. Alleine mit der Trauer. Alleine mit der unendlichen Leere in meinem Herzen, die immer größer und größer wurde, während Träne um Träne floss und ich aus lauter Verzweiflung, in mein Kissen schrie.

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