77. Kapitel

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77. Kapitel - Pulsierende Emotionen

Jede Entscheidung, die man trifft, ist ein Fehler.
- Edward Dahlberg

Alex

Einen Moment lang starrte ich Lilly hinterher, wie sie das Café verließ. Sie stand mitten auf dem Gehsteig, umzingelt von dutzenden Menschen, die zur Arbeit, nach Hause oder sonst wohin unterwegs waren. Ihr Anblick machte mich glücklich, auch wenn sie vor mir geflohen war. Sie hatte gesagt, dass sie froh war, mich zu sehen, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ihr klar wurde, was sie da zu mir gesagt hatte, war pures Bereuen. Und das tat weh. Der unvernünftige Teil von mir sagte sich, dass sie geflohen war, weil es ihr schwer fiel, ihre Entscheidung mich von sich zu stoßen, aufrecht zu erhalten, wenn ich in ihrer Nähe war. Dieser Teil hatte den Blick gesehen, der auf den reuevollen Ausdruck folgte: ein Blick voller Sehnsucht und Leidenschaft. Doch der vernünftige Teil in mir versuchte ihre Entscheidung zu respektieren, auch wenn ich diese noch so sehr hasste. Mir war klar, dass sie diesen Weg alleine gehen musste, doch das hieß nicht, dass ich es gut fand. Im Gegenteil. Aber wie sollte ich sie jemals zurückbekommen, wenn ich sie und ihre Entscheidungen nicht respektierte? Ich musste einfach stärker sein als meine Bedürfnisse. Mein Blick war noch immer auf Lilly geheftet, als ich ebenfalls bezahlte und meinen Kaffee austrank. Dennoch: Als ich sah, wie sie sich kurz nach vorne beugte und tief Luft holte, erhob ich mich und folgte ihr. Wenige Meter vor ihr blieb ich stehen. Da standen wir nun, am frühen Morgen, inmitten von jeder Menge Menschen, die wir weder kannten noch registrierten und sahen uns an.

Lilly

Alex blickte mich an und die Welt schien ihren Atem anzuhalten. Er musterte mich nicht, beurteilte mich nicht. Er sah einfach nur mich. Seine grünen Augen schauten in meine und direkt auf meine gebrochene Seele, die ich dieses Mal selbst heilen musste. Sein Blick brannte und ich fuhr mir durch die noch immer feuchten Haare, um den Moment irgendwie aufzulösen. Es funktionierte auch. Meine Augen lösten sich kurz von ihm und sahen zum Café, in dem wir gerade noch gesessen hatten. Als ich ihn wieder ansah, war der Ausdruck auf seinem Gesicht wieder normal, fast schon leer.

Was machte ich hier nur? Ich sollte verschwinden und mich nie mehr umdrehen. Alex war mir einfach zu wichtig, um ihn weiter zu verletzen und in Angst und Schrecken zu versetzen. Verdammt, ich liebte diesen Mann und ich wollte, dass er glücklich war und ich wusste, dass mein Leben immer problematisch sein würde. Es würde immer Tote geben, immer einen Grund zu weinen. Denn so war das nun einmal beim Militär. So war das in meiner Familie. Sein Leben sollte frei von all dem sein. Er hatte das Militär verlassen und ich ihn, damit er nie wieder besorgt sein musste. Ich hatte eine Entscheidung getroffen, die mein Herz hatte brechen lassen. Aber hieß Liebe nicht genau das? Opfer zu bringen, ganz egal wie schmerzlich es auch war? Oder verteidigte ich mich bloß damit? War es meine Ausrede, damit ich mich nicht schuldig fühlte, wenn ich sah, dass Alex mich trotz allem noch wollte?

Bekümmert hob ich eine Hand an meine Schläfe. Mein Kopf brummte von dem vielen Nachdenken und Hinterfragen. Unbewusst fuhr ich mir durch die Haare und sah Alex an, welcher noch immer verloren auf dem Gehsteig stand und mich anblickte.

‚Was nun?', schoss es mir durch den Kopf.

Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern und hob kurz eine Hand. Alex sah mich einfach weiter an. Zu gerne hätte ich gewusste, was er gerade dachte. Aber mir war klar, dass seine Gedanken mich vielleicht hätten schwach werden lassen. Also wandte ich mich ab und machte die ersten Schritte in Richtung Stützpunkt und weg von Alex.

Ich war keine fünf Schritte gegangen, als mich jemand anrempelte und mich fast gegen die nächste Hauswand stieß. Wütend drehte ich mich um, um ihm etwas hinterher zu rufen, als wie aus dem Nichts Alex direkt vor mir stand. Er hob beide Hände an mein Gesicht, drückte mich an die Hauswand, mit der ich gerade fast kollidiert war und küsste mich. Perplex tat ich einen Augenblick lang gar nichts, doch als seine Zunge über meine geschlossenen Lippen glitt, ließ ich meine Tasche auf den Boden fallen, schloss die Augen und legte meine Hände an seine Seiten. Unsere Lippen verschmolzen miteinander und für einen kurzen Moment war es wieder wie am Anfang: Zwei Körper, die auf den jeweils anderen reagierten, ganz ohne irgendwelche Hintergedanken oder Erwartungen. Doch dann hörte Alex auf, mich zu küssen. Seine Stirn lehnte an meiner und wir atmeten beide schwer. Alex sah mir direkt in die Augen und sagte klar und deutlich:

The New MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt