54. Kapitel

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54. Kapitel - Leb wohl

Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.
- Albert Schweitzer

Die Wagen wurden geöffnet und die Särge, über die amerikanische Flaggen ausgebreitet waren, wurden herausgeholt. Mit Hanna zu meiner Rechten, die meine Hand hielt, lief ich neben Ryan her, der Leos Sarg mit einem unendlich leidvollen Blick ansah, bevor er danach griff und gemeinsam mit den anderen, hinter dem Pater hertrug. Hinter uns liefen James und Kevins Familien mit den Särgen. Dahinter formierten sich die übrigen Trauergäste. In einem leisen Trauerzug, liefen wir zu den vorbereiteten Gräbern. Hin und wieder war ein Schluchzen zu hören oder eine Stimme, die beschwichtigend sprach, sonst herrschte Schweigen.

Bei den Gräbern angekommen, wurden die Särge abgestellt. Hinter jedem standen ein Kranz aus Blumen, ein Kreuz und ein Foto, um das eine schwarze Schärpe gelegt war. Das Bild meines Bruders war, wie bei den anderen auch, eines in Uniform. Er lächelte und ich fragte mich, ob er wohl an jemanden gedacht hatte, als das Bild aufgenommen worden war. Vielleicht an Ryan? Oder doch an jemand Anderen?

Ryan kam zu mir und setzte sich mit mir zusammen in die vorderste Reihe von weißen, hölzernen Klappstühlen, die in mehreren Reihen vor den Gräbern standen. Hanna setzte sich neben Ryan, meine Mum setzte sich neben meinen Dad, der zu meiner Rechten saß. Als der Pater anfing zu sprechen, griff er nach meiner Hand. Dankbar drückte ich sie. Meine andere Hand reichte ich Ryan, der sie festhielt, nachdem er kurz mein Tattoo betrachtet hatte. Sein Blick dabei machte mich noch trauriger. Ich atmete tief durch, um nicht zu weinen. Ich konnte einfach nicht weinen. Nicht schon wieder. Ich war doch eigentlich längst darüber hinaus. Oder?

„Liebe Gemeinde. Heute sind wir alle zusammengekommen, um ..."

Ein Trauerredner nach dem anderen trat vor. Erst Kevins Angehörige, dann die von James, schließlich die von Leo. Meine Mutter sagte nichts. Sie konnte ohnehin nicht. Vollkommen aufgelöst saß sie auf ihrem Stuhl und verbrauchte ein Taschentuch nach dem anderen. Hanna fand es nicht angebracht etwas zu sagen, auch wenn ich der Meinung war, dass sie jedes Recht dazu hatte. Mein Dad trat vor und als er anfing zu sprechen, griff ich hinüber zu meiner Mum, um ihre Hand zu halten.

„Wir sind heute hier, weil unser Sohn Leo ... und seine Kameraden ihre Leben für dieses Land gelassen haben", begann er, wobei seine Stimme immer wieder wegbrach.

In diesem Augenblick war der Soldat verschwunden, dort stand nur noch ein Vater, der bereits sein zweites Kind verloren hatte.

„Leo war ein wundervoller Sohn, Bruder und Kamerad. Ich weiß nicht, ... ich weiß nicht, wie wir ohne ihn weitermachen sollen. Meine Frau und ich haben, wie einige wenige von Ihnen wissen, bereits ein Kind verloren. Damals hat Leo ... hat Leo uns und vor allem unserer Tochter sehr geholfen, als meine Frau und ich es nicht konnten. Jetzt da er ... da er tot ist, hat Lilly diese Aufgabe übernommen. Sie ist darüber und an ihrer Trauer über den Verlust fast zu Grunde gegangen, ein Umstand, der uns wachgerüttelt hat, als es ... fast zu spät war. Ein Kind zu verlieren ...", er hielt inne, als einige Tränen über sein Gesicht liefen.

Meine Mum drückte meine Hand noch fester. Ich sah sie an und nickte in die Richtung meines Vaters. Sie verstand, erhob sich und ging zu ihm. Dankbar griff er nach ihrer Hand, als sie sich an seine Seite stellte. Ich legte meine freie Hand auf Ryans und meine verschlungenen Finger.

„Ein Kind zu verlieren, ist ... das Schlimmste, das einem widerfahren kann. Meine Gedanken sind also nicht nur bei meiner Familie und der von Kevin und James, sondern auch bei denen, die erst vor einigen wenigen Wochen selbst ihre Kinder hier begraben mussten", fuhr mein Dad fort und schluckte schwer.

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