4. Kapitel

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Ich kann das Unverständnis und die Wut sehen, die sich auf Josés Gesicht zeigt.

Nein, nein, nein!

Als Christian mich angesprochen hat, war ich starr vor Furcht. Nicht wegen ihm, sondern weil ich Angst hatte, wie José reagiert. Nicht mal seine Stimme hat in mir das ausgelöst, was ich immer befürchtet hatte. Ich hatte nicht das Gefühl, gehorchen zu müssen. Mein Herz gehört José und ich bin frei – weil ich ihn liebe.

Mein Kopf versucht, alles zu sortieren. Aber es sind zwei Dinge, die ich weiß.

Die Vergangenheit spielt doch für ihn eine Rolle.

Und ich bin zweite Wahl. Er wollte Ana.

Der Schmerz ist nicht mal unerwartet, ich habe die ganze Zeit gewusst, dass wir zu glücklich waren. Dass ich es nicht verdiene. Aber diese letzte kleine Information zerschlägt jede Hoffnung in mir. Das und Josés Blick.

Christian ist zu einem Statisten geworden, Ana ebenso – ich starre den Mann vor mir an und warte auf irgendetwas. Aber es kommt nicht.

„Du... und sie?", höre ich die sanfte Stimme der Frau, die allen Grund hat, mich nicht zu mögen.

Ich höre die Freundschaft für ihn und auch... Zuneigung. Und Entsetzen. Ich bin nicht gut genug für ihn. Eine Tatsache, die keiner wohl besser weiß als ich selbst.

Ein letzter Blick in sein Gesicht, starr, bleich und voller Abscheu, sagt mir alles, was ich wissen muss. Jetzt weiß er auch, dass ich nicht gut genug bin. Nie gut genug sein werde.

„Schon wieder zweite Wahl", murmele ich und wende mich ab.

Ich muss hier weg.

Ich stürze durch die Menschen, fast blind vor Tränen und sehe ein Bild vor mir auftauchen. Meine nackten Füße, mit rot lackierten Zehennägeln. Nur die Lackfarbe ist farbig belichtet und man kann sehen, wieviel Liebe José in dieses Bild gelegt hat. Unter meinen Füßen ist nasser Sand, wir waren am Strand an dem Tag und haben eigentlich nur herumgealbert. Und uns geliebt.

Obwohl man nur meine Füße sehen kann, strahlt dieses Bild so viel Liebe und Verehrung aus, dass ich leise aufschluchze. Ihn zu verlieren ist das Schlimmste, was mir je widerfahren wird, begreife ich. Weil er mir näher ist, als je ein Mensch zuvor.

War, flüstert mir eine leise Stimme zu. Er war dir näher. Du bist nur zweite Wahl.

Ich komme am Eingang vorbei und stürze in die Damentoilette, wo ich mich in der letzten Kabine einschließe.

Weinend hoffe ich einfach, dass ich mich schnell fassen kann, um mir meine Sachen zu schnappen und dann hier abzuhauen. Ich will nur diesen verletzten, fast bösen Mann vergessen, der mich so ganz ohne Gefühl angestarrt hat. Ich will meinen liebevollen, verrückten Freund zurück, der es geschafft hat, mich jederzeit zu erden und zu beruhigen.

Ich weiß nicht, wie lange ich weinend versuche, einen klaren Gedanken zu fassen, aber ich zucke zusammen, als die Tür zum Waschraum aufgeht. Ich presse mir die Faust an den Mund, ich möchte nicht, dass mich jemand so sieht.

Die Tür fällt zu und ich höre Absätze, die sich den Kabinen nähern.

„Es mag unwahrscheinlich sein – und wahrscheinlich unbegründet, aber bevor wir das Chaos hier aufarbeiten, wüsste ich nur eins zu gerne...", die sanfte Stimme gehört Anastasia und ich fange an zu zittern.

Christian mag nicht mehr mein Meister sein, aber er will nicht, dass ich ihr zu nahe komme. Und was will sie wissen?

„... Leila, du hast doch keine Waffe da drin, oder?"

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