6. Kapitel

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Anastasia hat das Unmögliche geschafft. Nach über zwei Stunden mit ihr in einem Raum bin ich nicht nur wieder ruhiger, sondern sogar fast davon überzeugt, dass José nur geschockt war und er mich liebt. Ich kann fast glauben, dass doch noch alles gut wird.

Meine Selbstzweifel sind noch da, aber ihre lockere Plauderei und ihr unbefangenes Umgehen mit der doch total schrecklichen Situation ist wirklich nichts, dem man sich entziehen kann.

Als ihr Handy piept, zucke ich dennoch erschrocken zusammen. Sie liest die SMS und ist total entspannt.

„Taylor. Er hat die Männer ins Escala gefahren und kommt uns gleich abholen. Sie haben sich wohl beruhigt. Bist du bereit?"

Ich nicke zögerlich. Eigentlich schon – aber da wäre noch eine Sache.

„Ana, es tut mir so leid, was ich dir angetan habe", murmele ich und sie sieht mich ernst an.

„Das ist lange her. Und irgendwie hat es uns ja auch beiden nicht geschadet. Du hast José gefunden und ich bin dadurch damals Christian ein ganzes Stück näher gekommen. Vergeben und vergessen. Mach nur meinen besten Freund nicht unglücklich, ja?"

Ich nicke und wir gehen, unten steht Taylor und hält uns galant die Tür auf.

„Mrs. Grey, ich wurde entlassen", verkündet er grinsend und Ana seufzt.

„Schon wieder? Na ja, dann arbeiten Sie mal wieder für mich, wie es scheint. Wie sahen die Herren denn aus, als Sie sie aufgelesen haben?"

Er schmunzelt, während wir zum Audi gehen und er die Tür aufhält.

„Nach einem Ringkampf und ziemlich lädiert. Allerdings scheinen sie die verhärteten Fronten ein wenig... aufgeweicht zu haben. Ihre Kleidung legte diesen Schluss auch nahe."

Ich bin erstaunt, wie nett Taylor zu Anastasia ist und begreife, dass er sie offensichtlich mag. Sie nicht zu mögen ist schier unmöglich.

„Tja, dann gehen wir wohl mal die Überbleibsel der männlich-verletzten Egos aufsammeln und versuchen dabei, ein wenig reumütig zu wirken", Anastasia lächelt amüsiert bei diesen Worten und sogar ich kann nicht verhindern, dass mir die Komik bewusst wird.

Ich hätte nicht gedacht, dass der Abend diese Wendung nehmen könnte. Ich weiß fast alles über Theodore Raymond Grey, wir haben über die Ausstellung geredet und sie hat mich nicht nur abgelenkt, sondern, ähnlich wie José, eine beruhigende Wirkung auf mich. Mittlerweile verstehe ich auch ein wenig, warum José so extrem reagiert hat. Und sie kennt meine ganze traurige Geschichte, ebenso wie sie mich über meine Beziehung zu José ausgefragt hat. Seltsamerweise war es nicht peinlich, gerade ihr einiges zu erzählen, was ich sonst wahrscheinlich nicht über die Lippen gebracht hätte.

Trotzdem habe ich noch Angst, dass Anastasia sich irren könnte und José mich wieder so böse und enttäuscht ansehen könnte. Immerhin kann ich meine Vergangenheit nicht ändern. Sie ist da und er wird damit leben müssen. Zudem habe ich ein wenig Furcht, ins Escala zu fahren. Ich war dort eine Sub und wollte nie wieder mit etwas von früher konfrontiert werden. Und mein Freund – wenn er das noch ist – wartet wohl nur Meter von dem Zimmer entfernt, in dem ich von Christian...

Der Gedanke sorgt dafür, dass ich zittere und Ana mir einen fragenden Blick zuwirft.

„Ich kann da nicht hin", bringe ich heraus und sie drückt meine Hand.

„Es ist nur eine Gästewohnung. Ohne Räume in Rot", beruhigt sie mich und diese Aussage hilft mir ein wenig.

„Und wenn José mich nicht sehen will?", frage ich kleinlaut.

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