S E H N S U C H T

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Eine Hand auf meinem Hintern ließ mich aus meiner Starre schrecken und mich zu der Person, die in mein direktes Umfeld getreten war, umdrehen.

"Claire, heilige Scheiße, du hast mich erschreckt!", keuchte ich gespielt erschrocken und strich mir eine Haarsträhne aus dem Augenwinkel. "Ich dachte schon, es hätte sich wieder einer dieser Perverslinge zu uns in den Umkleideraum geschlichen."

"Dann wäre meine Hand jetzt unter deinem Rock, glaub mir." In ihren braunen, von Falten umringten Augen blitzte kurz etwas auf, das sie aber sofort wieder abschüttelte. "Du bist so ein junges Ding, da kann schon mal die ein oder andere Hand dort landen, wo sie eigentlich nicht sein sollte."

"Ich bin keine Anfängerin mehr, ich weiß, wie ich die Kerle total scharf mache, ohne dass auch nur einer von denen seine dreckigen Finger auf meinen Oberschenkel legen kann", beruhigte ich sie und drehte mich zurück zum Spiegel, vor dem meine neue Perücke stand.

"Du erinnerst mich oft an mein junges Ich. So selbstbewusst und schön", lächelte sie, was ihr von mir ein belustigtes Schnauben erntete.

"Rede dir das nur weiter ein, alte Frau." Ich blickte ihre bleiche Reflektion im Spiegel an, während ich mir mit dunkelroten Gloss meine Lippen anmalte. "Wärst du noch jung und schön, dann würdest du selbst auf dieser Bühne tanzen und müsstest nicht uns Mädels arrangieren, um es für dich zu tun."

"Da ist was dran", meinte sie grinsend und hob die schwarze Perücke von dem hölzernen Ständer, auf dem mein Name geschrieben stand. "Früher mussten wir wenigstens nicht diese unbequemen Flohfallen tragen."

"Früher. Heutzutage muss alles perfekt sein, da können nicht einfach drei blonde und vier brünette Mädchen da draußen tanzen. Das würde nicht passen."

Ich nahm ihr die rabenschwarze Haarpracht aus der Hand und setzte sie auf meinen Kopf, nachdem ich die letzte meiner blonden Haarsträhnen hochgebunden hatte.

"Da ich nunmal keine dunklen Haare habe, muss ich eine "Flohfalle", wie du sie nennst, tragen und Nancy da drüben nicht." Bei der Erwähnung ihres Namens drehte sie sich kurz vom Spiegel weg, und winkte mir und Claire grinsend zu.

Ich habe sie schon immer um ihre dicken, glatten, dunklen Haare beneidet, die sie fast immer in einer Hochsteckfrisur trug, was ich unglaublich schade fand.

"Noch zwei Minuten!", rief jemand zu uns in den Raum, woraufhin blanke Panik ausbrach. Jeder checkte noch ein letztes Mal sein Make Up, rutschte die Perücke zurecht, oder zog sein ohnehin schon knappes Outfit noch ein kleines Stück höher.

"Aufstellung!", befahl Claire, nachdem auch sie sich noch einmal im Spiegel betrachtet hatte, und beobachtete uns Mädchen mit einem zufriedenen Grinsen, als wir uns brav in eine Reihe stellten, bereit, um auf die Bühne zu treten.

"Also", begann sie laut, wobei sich eine graue Strähne aus ihrem Zopf löste. "Ich will, dass jede von euch ihr bestes gibt, ich will, dass ihr den Männern und Frauen da draußen zeigt, was es heißt gut zu tanzen!"

"Let's go!", schrie sie, und schon hob sich der Vorhang, während die Menge zu toben begann und ich mein bestes, falsches Lächeln aufsetzte.

In dem Moment, in dem ich mit den ersten Schritten meiner Tanzchoreographie begann, blendete ich die vielen Menschen vollkommen aus und konzentrierte mich nur noch auf meine Schrittfolge, ließ mich von der Melodie davontragen.

Escape - BuckyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt