S I E B Z E H N

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"Nein!", hallte Claires schrille Stimme durch den Saal, und ihr Mann, unser Choreograph, verzog das Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. "Du hast die halbe Drehung vergessen, Robyn! Schon wieder!"

Alle blieben stehen und richteten ihre Blicke auf mich.

Die Musik, die noch vor einigen Momenten den ganzen Saal erfüllt hatte, war abrupt verstummt, und eine unangenehme Stille hatte ihren Platz eingenommen.

"Tut mir leid, tut mir leid", versuchte ich sie zu besänftigen, doch sie war schon wieder in ihrem Element. Diese Frau fand tatsächlich Freude daran, anderen aufzuführen, was ihr nicht an ihnen passte.

"Schon den ganzen Tag bist du nicht bei der Sache! Zuerst vergisst du deine Schuhe und dann vertanzt du dich am laufenden Band!" Sie warf ihre Arme dramatisch in die Luft und sprang von ihrem Klappstuhl auf.

"Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leid tut. Was willst du noch von mir hören, Claire?", wollte ich genervt wissen und faltete meine Arme vor der Brust. Die anderen Tänzerinnen hatten sich schon hinter mir versammelt und tuschelten, doch das konnte ich momentan noch ignorieren.

Claire kam unelegant auf die Bühne marschiert, während sie leise fluchte und ihren furiosen Blick auf mich fixiert hatte. Trotzig blieb ich stehen, als sie sich beinahe, wie ein wildes Biest, auf mich warf.

"Nach vorne, Hände in die Luft, halbe Drehung, und dann machst du erst zwei Schritte zurück! Ist überhaupt nicht kompliziert, man muss nur mitdenken und seine Schritte nach der Melodie ausrichten!" Um es mir zu beweisen, führte sie die Schritte langsam, als wäre ich zu dumm schnellen Bewegungen zu folgen, vor.

Die anderen hinter mir kicherten.

"Ich kenne die Choreographie", beharrte ich und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Claires Mann die Augen verdrehte. Vor jeder Tanzstunde betonte er immer explizit, dass wir seiner Frau wegen ihrer Freude an Streitgeschprächen auf keinen Fall widersprechen sollen, doch das hatte ich bereits getan.

Voller Feindseligkeit musterte sie mich. "Du bist der Grund, weshalb wir unsere Probe heute schon zum fünften Mal unterbrechen, und du willst mir erzählen, dass du die Choreographie kannst?"

"Ich beherrsche alle Schritte! Gestern noch hast du mich dafür gelobt, dass ich sie so schnell gelernt habe." Da ich selbst nicht richtig wusste, was am heutigen Tag nicht mit mir stimmte, konnte ich nur hoffen, dass Claire es darauf beruhen lassen würde.

"Dann erkläre mir bitte, was Heute nicht mit dir stimmt, meine Liebe." Provokant grinste sie mich an, während meine Wangen sich rot färbten. "Bei welchem deiner Liebhaber verweilen deine Gedanken denn gerade, wenn sie heute nicht bei unserer Probe sind?"

Wieder ein Kichern hinter mir, doch dieses Mal gemischt mit leisem, erschrockenen Keuchen.

Empörung machte sich in mir breit, und ehe ich mich versehen konnte, war ich auch schon unter den urteilenden Blicken meiner Kolleginnen von der Bühne gestürmt, mein Blick zum Boden gerichtet, um ihnen nicht die Genugtuung zu geben, mich weinen zu sehen.

Das war definitiv ein mieser Schachzug, den ich so schnell nicht wieder vergessen würde.

Mein Kostüm landete zusammen mit der schwarzen Perücke in meinem Spind, bevor ich den dunkelroten Mantel zusammen mit meiner Alltagskleidung herauszerrte.

Escape - BuckyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt