Kapitel 68

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Liam POV.

Mit einer Taschenlampe bewaffnet, folgte ich dem vertrauten Weg. Die Blätter knirschten und knisterten unter meinen Schuhen und der Regen lief mir durchs Gesicht.

Wenn ihm bloß nichts passiert ist. Bitte. Bitte.

Ich hab das doch alles nur gemacht, weil ich dachte das... Dachte das... Das alles egal ist. Nichts und niemand ist wichtig, nur man selbst. Abhängigkeit von anderen verletzt einen nur. Ich dachte Papa hätte Mama einfach sterben lassen. Das Mama sich nicht auch ihn verlassen konnte. Aber es hat sich ja gezeigt, dass ich mich irrte. Er hat nur das gemacht, was sie wollte. Er hat sie nicht verraten. Hat ihre Beziehung nicht verraten. Er hat nur sich selbst verraten, weil er zugelassen hat, dass die Frau, die er liebte, starb.

Deshalb ist er so gebrochen. Jetzt endlich kann ich es verstehen. Er hat sich selbst verraten.

So wie ich.

Ich hab Niall versprochen auf ihn aufzupassen und hab genau das Gegenteil gemacht. Ich hab ihm weh getan, wo ich konnte. Nur um zu zeigen, dass ich stärker bin. Ich hab ihn verletzt. Ich wollte ihn von mir fernhalten, doch das hat nicht so funktioniert, wie ich wollte. Er hat nicht losgelassen. Und ich hab ihn gezwungen aufzugeben. Ich bin so ein Trottel. Idiot. Arsch.

Ich bin schuld an allem. Hätte ich ihm nicht das Dach gezeigt, wäre Niall nicht hier im Wald verschwunden.

Ich weiß wo er hin wollte. In den Tagebüchern wird ein wunderschöner Ort erwähnt. Es ist eine alte Steinbrücke, die über einen Bach ragt. Es führt kein Weg zu ihr hin und keiner weg. Man muss wissen wo sie steht, um sie zu finden. In dem dritten Tagebuch wird beschrieben, wie John auf der Brücke steht und die ganze Welt verflucht, während der Regen auf ihn niederprasselt.

Flashback zum Moment des Lesens.

"Der Regen lief über meine Wangen und der Matsch klebte an meinen nackten Füßen. Spitze Steine bohren sich in meine Fußsohlen, aber ich laufe einfach weiter und versuche den Traum abzuschütteln.

Ja du hast richtig gelesen. Ich renne nachts, im Schlafanzug und ohne Schuhe, durch den Wald. In meiner Situation hättest du das auch getan.

Aber hätte ich das nicht gemacht, wäre mir dieser Ort noch unbekannt.

Eine alte Brücke, an die sich das Efeu klammert. Der Stein ist brüchig und rissig. Das diese Brücke noch hält, ist ein physikalisches Wunder, denn eigentlich dürfte sie nicht mal mehr ihr eigenes Gewicht tragen.

Doch das hat sie. Sie hat mich, mitsamt meiner Last getragen, während ich meinen Frust über den Rand der Brücke hinweg in die Welt hinaus schrie. Ich fluchte und verwünschte alles und jeden und fragte mich, wieso ich nicht so sein kann, wie alle anderen. Wieso musste ich anders sein?

Mitten in meinen Verwünschungen riss plötzlich die Wolkendecke auf und der Mond schien in mein Gesicht. Ich stockte mitten im Satz und ließ mich nach hinten fallen. Auf der Brücke hatte sich eine dicke Schicht Moos gebildet, sodass ich weich landete und im Schein des Mondes den Regen über mich ergehen ließ. Mit geschlossenen Augen spürte ich jeden einzelnen Tropfen, bis es immer weniger wurden und schließlich der letzte, schwere Tropfen auf meiner Wände landete und langsam, wie eine letzte Träne herunterlief und vom Moos aufgefangen wurde.

Langsam machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause.

Flashback Ende

Auch ich stand schon auf dieser Brücke und hab meinen Wut und meinen Hass in die Welt geschrien. Hätte ich das in den letzten Wochen nur auch mal gemacht. Danach geht es einem immer besser.

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