Kapitel 11

86 4 0
                                    

"Ich kann dir versprechen das soetwas nie wieder vorkommt."

Dieser Satz hatte sich in den letzten zwei Tagen in meinen Kopf gebrannt. Bei allem was ich tat, musste ich an Joshs Lüge denken.

Als ich am Samstag  Abend daheim angekommen war, hatte ich mich sofort in mein Zimmer verkrochen. Dann waren auch schon die Tränen gekommen. Ich hatte mich so allein gelassen gefühlt. 

Jetzt war es Montag Mittag. Ich saß allein an einem der Cafetariatische und stocherte in einem Salat. Debbie war nicht gekommen, sie hatte Fieber bekommen. ich war fast ein wenig froh, ich wollte mit niemandem, wirklich niemandem reden.

In meinen Ohren steckten Kopfhörer. Grade kam "Plz don't tell me why I feel how I feel" von Dylan Brady. Wie passend. Ein paar mal blieb jemand an einem Tisch stehen, und sprach mich an, doch ich ignorierte sie alle. 

Um halb fünf war mein Unterricht vorbei. Es war bereits finster, als ich durch den Schnee zum Chrevrolet stapfte. Ich blieb die gesamte Heimfahrt in Gedanken, und während ich das kurze Waldstück passierte, hinter dem der Stadtteil lag, in dem ich wohnte, überfuhr ich um ein Haar ein Reh. 

Ich war erleichtert als ich sah, das noch niemand daheim war. Ich hasste es, wenn Leute merkten das mit mir etwas nicht stimmte. Stitch kam mir in den Flur entgegengetapst, und ich drückte mich erstmal fest an ihn. Vergrub mein Gesicht in seinem weichen Fell. Er fiepte ein wenig, weil er merkte, das es mir nicht gut ging. 

In der Küche trank ich etwas Saft aus dem Kühlschrank. Mein Handy vibrierte. Es war Sam. Sie und Ash versuchten mich natürlich zu erreichen. Sogar Chris hatte mir eine Nachricht geschrieben. Sie wussten sicher, was mit Josh los war. Ich fühlte mich allerdings nicht in der Lage jetzt mit einem von ihnen zu reden. Also ignorierte ich alle Kontaktaufnahmen. 

Ich machte mir gar nicht die Mühe mich auszuziehen, stattdessen nahm ich Stitchs Leine von der Gaderobe, und trat mit ihm vor die Tür. In stiller Eintracht schlenderten wir die verschneite Straße entlang, im Licht der Straßenlaternen.

Es war unheimlich ruhig. Niemand war mehr draußen. Umso mehr erschreckte ich mich als hinter mir die Scheinwerfer eines Wagens aufleuchteten. Unbewusst ging ich etwas schneller, ich hatte mich schon ein ganzes Stück von unserer Straße entfernt. 

Das Auto, ein protziger Jeep kam neben mir zum Stehen. Ich sah mit klopfendem Herzen nach dem Fahrer. Es war Mike. Er ließ das Fenster auf der Beifahrerseite herunter, und beugte sich zu mir rüber ohne das Steuer loszulassen. "He, was machst du denn hier draußen? Es ist fucking kalt!" 

Ich seufzte vor Erleichterung. "Oh, du bists nur." Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es bereits halb 9 war. "Uhm, da hab ich wohl ein bisschen die Zeit vergessen..." Meine Stimme klang matt und traurig und Mike schien das zu bemerken. 

"Alles okay bei dir?" Er wusste wohl nichts von Joshs Absturz. 

"Könnte schlimmer sein", sagte, obwohl sich das grade nicht so anfühlte. Mike sah fast besorgt, obwohl er mich ja kaum kannte. 

"Ich mach dir einen Vorschlag. Und ich akzeptiere kein Nein. Du springst jetzt mitsamt deiner Minikuh in meinen Jeep, wir trinken was Heißes, und dann bring ich dich heim."

Ich konnte und wollte nicht Nein sagen. Jetzt war mir klar wie dringend ich jetzt Gesellschaft brauchte, und wer eignete sich da besser als ein einigermaßen Außenstehender?

"Danke", murmelte ich, während ich in das riesige Auto kletterte. Stitch kuschelte sich in den Fußraum. Er hätte zwar hinten mehr als genug Platz gehabt, aber ich wollte ihn grade so nah wie möglich bei mir haben. 

In dem Auto war es warm und ich fühlte mich plötzlich so unglaublich geborgen, als ich die kalte leere Straße hinter mir ließ. Ich schnallte mich an, und Mike fuhr los. "Nichts zu danken." Im Radio lief "All I want for Christmas is you" von Mariah Carey.

"Was machst du eigentlich hier?" fragte ich ihn. "Meine Oma wohnt zwei Straßen weiter", antwortete er. "Ich hab ihr was vorbeigebracht." Ich nickte.

In einem angenehmen Schweigen fuhren wir weiter durch die Dunkelheit. Mike schien zu merken, das ich noch nicht bereit war, zu reden, und ich rechnete ihm das hoch an. 

20 Minuten später hielten wir vor einem gemütlichen Cafe in der Nähe der Innenstadt. Es gab Sessel und Sofas, allesamt kunterbunt zusammengestückelt doch das Gesamtkonzept war total stimmig.  Mike und ich ließen uns in ein rotes Samtsofa fallen, und Stitch legte sich auf den Teppich davor. 

Nachdem wir heiße Schokolade bestellt hatten, sah Mike mich erwartungsvoll an. "Also. Willst du mir erzählen, was los ist?"

Ich zögerte kurz, dann nickte ich. "Josh geht es sehr schlecht. Er... hat wieder..."

Mike schien kein bisschen überrascht zu sein. Trotzdem bildete sich eine tiefe Sorgenfalte auf seiner Stirn.  "Ich sags nur ungern, aber das war zu erwarten. Seine Familie, sein ganzes Leben ist so verkorkst, er wird da ohne dauerhafte Hilfe nicht rauskommen."

Und jetzt wurde mir klar, das ich dieses Versprechen niemals hätte ernst nehmen dürfen. Es war das Versprechen eines Junkies gewesen.

"...Ich meine es ist klar, das er Tabletten braucht und alles", fuhr Mike fort, "aber der Rest muss aufhören!" 

Ich traute mich nicht zu Fragen was der Rest war. "Er braucht einen Entzug", pflichtete ich Mike bei. Doch der lachte trocken. "Du willst nicht wissen, wie oft dieser Satz innerhalb unseres Freundeskreises bereits gesagt wurde."

Er nahm einen großen Schluck von seinem Kakao, und rieb sich die Schläfen. "Ist alles echt richtig scheiße gelaufen..." 

"Ich weiß nicht was genau damals in der Lodge passiert ist, aber 'scheiße gelaufen' ist sicherlich noch optimistisch ausgedrückt." Auch ich nippte an meiner heißen Schokolade. Sie tat gut. 

"Ich glaub, darüber will ich grad nicht reden, sonst bin ich derjenige der getröstet werden muss", antwortete Mike. Es sollte wohl witzig klingen, doch ich merkte das seine Augen etwas glänzten. 

"Ich war an dem Abend ein richtiger Arsch zu Hannah", sagte er ein wenig später. 

Ich konnte mir vorstellen, was es hier für ein Drama gegeben hatte. Hannah war schon immer bis über beide Ohren in Mike verliebt gewesen. Zu gut erinnerte ich mich an Liebesbriefe, die Beth und ich überbringen mussten, oder Stunden des hinterherspionierens, wenn Mike beim Baseball war. 

Ich rutschte ein wenig an ihn heran. Wir schienen beide ein bisschen Nähe vertragen zu können.  

"Das Ironische ist", sagte er, während er auf die Tasse in seinen Händen starrte, "dass ich sie wirklich gern hatte."

We'll Get Over ItWo Geschichten leben. Entdecke jetzt