Houston, we have a problem!

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Heute ist der 8. Juli 2016
Nach den ersten Absagen beschlich mich ein komisches Gefühl. Konnte es sein, dass die Absagen nicht auf die übliche Ochsentour sondern auf grobe handwerkliche Fehler zurückzuführen sind?

Ich hielt inne, zumal ich pro Buch und Verlag/Agentur nur eine einzige Chance habe. 

Es kann leicht passieren, dass ich zu forsch vorgehe und so meinen Namen durch das Anbieten eines unreifen Manuskript verbrenne. Um in meinem Geist Klarheit zu schaffen, habe ich die Suche nach einer passenden Agentur unterbrochen und mir ein Gutachten von Profis eingeholt, die bisher nichts mit dem Romanprojekt zu tun hatten.

Die Wahl fiel auf die Lektorin Annette Scholonek und auf den bekannten Schreibcoach Stefan Waldscheidt. Erstere bekam das ganze Manuskript zu lesen, ohne dabei ein Exposé zu sehen, während es bei Waldscheidt anders rum lief. Gespannt habe ich auf die Gutachten dieser zwei Expert_innen gewartet.

Wie lautete das Gutachten von Frau Scholonek?
Das Manuskript ist qualitativ in allen Dimensionen bereits auf einem hohen Stand, das heißt, es hat eindeutig solide Verlagsqualität. Der Plot macht einen schlüssigen Eindruck, es wird in einem angenehm zügigen Tempo erzählt. Der Sprachstil wirkt erfahren, sicher, professionell-nüchtern und moderat-kreativ, eben passend zu einem Krimi/Thriller. Auch die Form (Rechtschreibung etc.) ist auf einem hohen Niveau. Vor allem aber stimmt einfach das Krimi-Feeling. Plot, Sprachstil, Figuren und die im Roman verarbeiteten Sachkenntnisse kommen professionell daher.

Und was besonders erfreulich ist: Der Grundstoff Ihres Romans (Amoklauf in Schulen, kombiniert mit Ritterorden und modernen Verschwörungstheorien) hat genau jene gefragte Mischung aus genügend Neuigkeitswert einerseits bei gleichzeitiger Markttauglichkeit dieser Themen und bewährten Genre-Erzähltechniken andererseits.

Da sowohl marktstrategische Grundstoffe mit einem gewissen Neuigkeitswert enthalten sind als auch das daraus entworfene Storykonzept samt dessen Realisierung (Erzählweise, Sprachstil, Atmosphäre, Detailstruktur) in seinen Grundzügen überzeugend sind, ist es kein so großes Wunder, wenn einige Verlage und Agenturen zumindest ein erstes Interesse bekunden oder das Werk gar verlegen. Selbst in seinem jetzigen Zustand kann ich mir vorstellen, dass sich in der breiten Landschaft der Verlage einer finden würde, der Ihr Werk verlegt (diese Aussage stellt keine Garantie dar, aber immerhin gehört Ihr Manuskript zu jenen wenigen, denen ich echte Chancen zuschreibe).

Woran aber liegt es, dass Agenturen sich trotz eines ersten positiven Eindrucks durch Exposé und Leseprobe nicht an eine Vermittlung Ihres Werkes heranwagen?
Trotz eines professionellen Gesamteindrucks lassen sich in der Tat Schwächen in diesem Krimi ausmachen. Das heißt nicht, dass die im folgenden dargestellten Schwächen die direkten Absagegründe der bisher kontaktierten Agenturen waren, aber es sind zumindest Angriffspunkte. Und man kann auch sagen: Diese Schwächen kristallisieren sich gerade im Verlauf des Romans zunehmend stärker heraus. Je mehr man also liest, desto stärker treten sie zutage. Bis etwa Seite 100 fiel es mir als Lektorin schwer, wirklich große, entscheidende Kritikpunkte an Ihrem Werk zu finden. Danach wurde es zunehmend leichter und auch rückblickend sieht man einiges dann im anderen Licht. Also, hier die Schwächen und damit die möglichen Erklärungen für die bisherigen Absagen:

1.) Fehlende charismatische Ermittlerfigur
2.) Zu wenig Charisma der übrigen Polizeifiguren
3.) Kurt Hutnagl im Finale:
          - enttäuschte Erwartungen, 
          - fehlende epische Gerechtigkeit 
          - Nichtverfolgen der Verschwörung
4.) Auf die Dauer zu viel Wiederholungen und zu wenig wirklich neuer
       und wirklich brillanter Input.
5.) Zeitweiliges Abdriften zu Mordmotiven mit Liebesthematik bzw.
       wechselnde Tatmotive lassen den Leser zumindest stutzen.

Und was sagt Stefan Waldscheidt über das Exposé?
Kurz gesagt: Da bin ich mit Bomben und Granaten durchgefallen.

Stephan Waldscheidt bekam das Exposé und nur das Exposé nach seinen Spezifikationen (5 Normseiten alles inklusive - Pitch, Faktensammlung, Kurzexposé, Figurenliste und Synopsis) zugesandt. 

In seinem Gutachten zeigt er eine Unmenge von Schwachstellen und Knackpunkten auf. Zug um Zug zerfetzt er den "fertigen" Roman in seine Einzelbestandteile. Die Beurteilung kulminiert in folgender, wenig ermutigender Kritik:

Lieber Herr Decrinis, Sie haben einen kompletten Roman zu Papier gebracht. Damit sind Sie schon mal weiter als die meisten anderen Romanschreiber. Gratuliere. Auch die Grundidee - mögliche Verschwörung, hoher Beamter verwickelt - ist gut.

Dann aber machen Sie erstens zu wenig daraus. Und zweitens fällt  der Roman mit der Zeit in sich zusammen, da der Antagonist zunehmend unglaubhafter wird.

und später als Fazit:

Es gibt eine Menge zu tun. Grämen Sie sich deswegen nicht. Sie würden ja auch nicht erwarten, nach einem Jahr Klavierunterricht auf den großen Konzertbühnen zu spielen. Der Buchmarkt der bekannten Publikumsverlage ist das Pendant zu den großen Bühnen.

NOTE: NICHT GENÜGEND (6) 

Wie reagierte ich auf diese Katastrophe?
Damit war klar, dass die vorliegende Fassung für Stephan Waldscheidt ein wirres Anfängerwerk eines Schreiberlings mit vielleicht einem Jahr Schreiberfahrung ist.

Anfangs war ich wütend und beleidigt, aber nach ein paar Tagen intensiven Nachdenkens muss ich sowohl Stephan Waldscheidt als auch Annette Scholonek zu 100% Recht geben. Ich kann inzwischen all seine Kritikpunkte nachvollziehen. 

An eine Veröffentlichung in einem Verlag ist momentan nicht zu denken, nun gilt es, die handwerklichen Schwächen im Plot auszubessern und dies ist leider mit sehr viel Arbeit verbunden.

HOUSTON, WE HAVE A PROBLEM!

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