# 12

2.2K 94 4
                                    

Sie.

Als Baran zur Tür hinausging, ließ er mich völlig sprachlos zurück. 24 Stunden? Mit ihm? Was sollte das überhaupt bedeuten? War das sein Ernst? Die Art, wie er es gesagt hatte – als ob es keine Diskussion darüber gab – hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Ich war nicht sicher, ob er es als Witz gemeint hatte oder ob er tatsächlich verlangte, dass ich den ganzen Tag mit ihm verbringen sollte.

Aber noch bevor ich richtig darüber nachdenken konnte, war er weg. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und plötzlich war es still im Raum. Ich war allein, und die Kälte der Realität kam schnell zurück. Ich lag immer noch auf dieser verdammten Liege, mein Kopf schwirrte, und alles, was in den letzten Stunden passiert war, begann auf mich einzustürzen.

Die Gerüchte. Ich wusste, dass Baran recht hatte – die Uni würde über das reden, was passiert war. Sie hatten mich gesehen, wie ich in seinen Armen durch den Campus getragen wurde, bewusstlos, und jetzt drehte sich wahrscheinlich schon alles um diese Geschichte. Es spielte keine Rolle, dass ich ohnmächtig gewesen war. Die Leute brauchten nur einen kleinen Funken, um daraus ein Feuer zu entfachen. Und jetzt brannte es wahrscheinlich schon.

Mein Kopf schmerzte, nicht nur wegen der Krämpfe, sondern auch wegen des Drucks, der plötzlich auf mir lastete. Baran hatte das nicht kommen sehen, aber ich schon. Die Ehre meiner Familie stand auf dem Spiel, und in einer Welt, in der jede Kleinigkeit zur Katastrophe aufgeblasen wurde, war das hier definitiv keine Kleinigkeit. Besonders nicht für meinen Bruder.

Eymen. Mein großer Bruder. Derjenige, der an dieser Uni sein eigenes Erbe hinterlassen hatte. Viele kannten ihn noch – besonders die Türken. Er war einer der lautesten Stimmen in unserer Gemeinschaft, und die Ehre unserer Familie lag ihm besonders am Herzen. Und jetzt, jetzt musste ich ihm erklären, warum seine kleine Schwester in den Armen eines Kurden über den Campus getragen worden war.

Mein Herz schlug schneller. Ich musste es ihm sagen, bevor es jemand anderes tat. Bevor die Gerüchte ihn erreichten und er wütend auf mich zukam. Ich griff nach meinem Handy, meine Finger zitterten leicht, als ich die WhatsApp-Nachrichten öffnete. Da war er – Eymen. Sein Profilbild war ein Foto von ihm bei einer politischen Veranstaltung. Immer engagiert, immer ernst.

Ich atmete tief ein und fing an zu tippen.

Ich: „Abi, ich muss dir was erklären, bevor du es von anderen hörst..."

Ich hielt inne, meine Finger zitterten über der Tastatur. Wie sollte ich das formulieren, ohne dass er ausrastete? Ich fuhr mir mit der Hand durchs Gesicht und zwang mich, weiterzuschreiben.

Ich: „Mir ist heute was passiert. Mir wurde schlecht, und ich bin auf dem Campus in Ohnmacht gefallen. Baran war zufällig da, als ich zusammengebrochen bin, und hat mich in den Arm genommen, um mich ins Krankenzimmer zu bringen."

Ich drückte auf „Senden" und starrte auf den Bildschirm, mein Herz raste. Was würde er denken? Was würde er sagen? Ich wusste, dass er es nicht einfach als „Zufall" akzeptieren würde. In seiner Welt gab es keine Zufälle – nur Konsequenzen. Und die Tatsache, dass es Baran war, ein Kurde, machte alles nur noch schlimmer.

Mein Handy vibrierte. Er hatte geantwortet.

Eymen: „Was? Baran? Was hast du mit ihm zu tun?"

Ich schluckte schwer und spürte, wie sich die Angst in meinem Magen zusammenzog. Natürlich würde das seine erste Reaktion sein. Die Gerüchte hatten ihn noch nicht erreicht, aber ich wusste, dass sie bald kommen würden. Jeder an dieser Uni redete darüber. Und jetzt war es meine Aufgabe, es ihm irgendwie zu erklären.

Ich: „Ich hab nichts mit ihm zu tun, Abi. Es war einfach eine Notlage. Mir war übel, und ich wäre auf den Boden gefallen, wenn er mich nicht aufgefangen hätte. Es war nichts weiter."

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: a day ago ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Über Grenzen hinaus [eine türkisch-kurdische Liebesgeschichte]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt