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Sie.

Ich blieb stehen, mein Herz hämmerte, und in meinem Kopf drehte sich alles. Barans Worte hatten mich hart getroffen – härter, als ich zugeben wollte. Es fühlte sich an, als hätte er mich nicht nur vor Azad und Merican bloßgestellt, sondern auch vor mir selbst. 

„Asia," begann Azad, seine Stimme war ruhig, aber seine Augen fixierten mich mit einem intensiven Blick, den ich nicht ausweichen konnte. „Ist das wahr? Was Baran gesagt hat... stimmt das?"

Die Sekunden vergingen wie in Zeitlupe, während ich überlegte, was ich sagen sollte. Lügen. Du musst lügen. „Natürlich nicht!" platzte ich heraus, meine Stimme klang schriller, als ich wollte. „Er hat gelogen. Baran hat einfach..." Ich verstummte, als mir klar wurde, wie schwach meine Ausrede klang. Merican sah mich an, ihre Augenbrauen leicht zusammengezogen, als ob sie versuchte, die Worte zu verarbeiten.

„Asia..." Azads Stimme war jetzt leiser, fast sanft, aber seine Augen blieben scharf. „Bist du dir sicher? Du siehst nicht so aus, als würdest du die Wahrheit sagen."

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde, und ich wusste, dass meine Wangen rot waren. Verflucht! Ich konnte die Hitze nicht verbergen, und es machte alles nur schlimmer. Selbst wenn ich es weiter leugnete, wussten sie beide, dass etwas nicht stimmte. Azad wusste es. Merican wusste es. Und, schlimmer noch – ich wusste es.

Ich senkte den Blick, wagte es nicht, ihnen in die Augen zu sehen. „Baran... übertreibt. Er hat es falsch verstanden. Es war nicht so, wie er es gesagt hat." Ich versuchte, die Fassung zu wahren, aber meine Stimme brach am Ende fast. „Asia," sagte Merican leise. „Es ist okay. Aber du musst ehrlich zu uns sein. Du weißt, dass wir dir nicht böse sind. Wir wollen nur wissen, was wirklich passiert ist."

Ich schluckte hart. Meine Kehle war trocken, und es fühlte sich an, als ob jeder Atemzug schwerer wurde. Ich hatte das Gefühl, dass der Boden unter mir wegbrach, als würde ich in ein Loch fallen, aus dem ich nicht mehr herauskam. Ich wollte Baran für alles verantwortlich machen, für die Situation, für das, was zwischen uns vorgefallen war, aber tief in mir wusste ich, dass das nicht die Wahrheit war. Ja, es stimmte. Ja, ich wollte ihn. In diesem Moment im Lernraum... ich wollte, dass er mich küsst. 

Ich hob den Blick langsam, meine Augen brannten von den Tränen, die ich nicht zulassen wollte. „Es stimmt," flüsterte ich schließlich, meine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. „Ich wollte... ich wollte, dass er mich küsst." Die Worte brannten auf meinen Lippen, und in dem Moment, in dem ich sie aussprach, fühlte ich mich unendlich klein. „Ich habe es gespürt, okay? Diese verdammte Anziehung. Aber es ist nicht so, wie er es dargestellt hat."

Azad sah mich für einen langen Moment an, seine Miene war nachdenklich, aber nicht wütend. Es schien, als versuche er, alles zu verarbeiten, was ich gerade gesagt hatte. Merican hingegen schüttelte leicht den Kopf, nicht aus Enttäuschung, sondern aus Verständnis.

„Asia," begann sie, ihre Stimme sanft und voller Mitgefühl, „niemand gibt dir die Schuld dafür, was du fühlst. Gefühle sind nicht immer kontrollierbar, und was zwischen dir und Baran ist..." Sie hielt kurz inne, als ob sie nach den richtigen Worten suchte. „...das ist komplex. Aber du musst auch ehrlich zu dir selbst sein. Du kannst nicht so tun, als wäre nichts passiert, wenn da offensichtlich etwas ist."

Ich schüttelte den Kopf, versuchte, die Gedanken in meinem Kopf zu ordnen, aber es war ein einziges Chaos. „Baran ist... er ist ein Kurde. Und ich bin die Schwester von Eymen. Das funktioniert nicht. Es darf nicht funktionieren."

Azad verschränkte die Arme vor der Brust und nickte langsam. „Das ist der Kern, oder?" fragte er ruhig. „Es geht nicht nur um das, was du fühlst, sondern um das, was du glaubst, fühlen zu dürfen. Um die Erwartungen, die deine Familie an dich hat."

Über Grenzen hinaus [eine türkisch-kurdische Liebesgeschichte]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt