Es fühlt sich nicht gut an alleine zu sein, aber es ist einfacher, als mit jemand anderem zusammen zu sein. Dann müsste ich reden, erklären und vor allem an Dinge denken, die ich mit jeder Faser meines Körpers vergessen möchte. Also liege ich nur da und starre die weiße Wand an. Die Schmerzen sind erträglicher, seit mir die Schwester eine Schmerztablette gebracht hat, so kann ich einfach die Zeit vergessen. Irgendwann höre ich Schritte auf meine Tür zukommen. Ich schließe die Augen, denn ich möchte jetzt niemanden sehen. Vielleicht denkt derjenige, ich würde schlafen und geht deswegen wieder. Die Tür öffnet sich mit einem leisen Quietschen und ich höre Schritte, die sich meinem Bett nähern. Dann ein ersticktes Schluchzen und ich spüre, wie jemand meine gesunde Hand nimmt. Mir stockt der Atem, denn ich weiß genau, wer das ist. Die Berührung ist so sanft, dass mein Körper vor Anspannung vibriert. Langsam öffne ich die Augen und sehe sie dort stehen. Wie ein Häufchen Elend in sich zusammengesackt, der gewohnte Glanz in ihren Augen ist verschwunden. Ich habe sie noch nie so weinen sehen, denke ich, selbst damals, als sie mir erzählt hat, dass sie nach Amerika geht, hat sie die Fassung nicht verloren.
Auf einmal wird mir klar, dass das nicht stimmt. Mir werden frische Bilder zurück ins Gedächtnis gerufen. Bilder, die neue Wunden aufgerissen haben. Izzie, die schreiend über mir kniet. Schreckliche Schmerzen, die mit jeden dumpfen Schlag schlimmer werden. Ich, wie ich verzweifelt versuche mich zu wehren, einen Arm vor mein Gesicht zu nehmen, um mich zu schützen. Doch ich habe keine Chance. Er schlägt zu, immer wieder, immer heftiger, ohne Erbarmen, wie von Sinnen. Mir ist schlecht, doch ich schaffe es, den Drang mich zu übergeben, zurückzuhalten.
Als sie sieht, dass ich wach bin, zieht sie ihre Hand schnell zurück, doch ich halte sie fest. Ihre Berührung tut gut. Sie tröstet mich irgendwie. Ich schaffe es besser, mit den Bildern von gestern klarzukommen, wenn ich mich an ihr festhalten kann. Sie so zu sehen, macht mich traurig. Vollkommen hilflos und verzweifelt steht sie da und weint. Auch wenn mir nicht danach zumute ist, versuche ich zu lächeln. "Du siehst ja schlechter aus, als ich!" Sie ignoriert meine Äußerung. Wahrscheinlich war sie unangebracht, sie muss sich schrecklich fühlen. Stattdessen kommt sie noch näher. "Es tut mir so Leid." Schluchzend legt sie ihre Hand auf meine Wange. "Ich wollte nicht, dass dir jemals irgendetwas passiert. Und du hattest so Recht, ich habe mich selbst belogen. Ich liebe dich, nur dich. Ich hatte solche Angst. Was wenn dir etwas passiert wäre? Wie hätte ich dann noch weiterleben können?" Ich antworte nicht. In jedem kitschigen Hollywood Film, wäre ich ihr jetzt um den Hals gefallen und hätte ihr gesagt, dass ich sie liebe. Aber das hier ist nun mal kein Hollywood Film. Meine Seele ist auf ewig gebrandmarkt und sie ist nicht unschuldig daran.
In ihren Augen liegt Enttäuschung, als sie fortfährt. Sie hat auch auf eine Antwort gehofft. "Josh ist zurück nach Amerika geflogen. Er kriegt eine Anzeige und einen Prozess wegen schwerer Körperverletzung." Sie weint immer noch. Eigentlich sollte ich wütend auf sie sein, nach all dem, was sie getan hat, aber ich empfinde Mitleid. Ich richte mich auf und ziehe sie in eine enge Umarmung. Der Moment ist magisch. Ich wünschte, ich könnte einfach die Zeit zurückdrehen. Vor einem dreiviertel Jahr hätte ich alles gegeben, um ihr so nah zu sein. Als sie sich langsam von mir löst, schließe ich die Augen und atme tief ein. Sie riecht so gut.
Plötzlich kommt ihr Kopf näher, ich sehe wie ihr Blick auf meine Lippen wandert. Kurz bevor sie mich küssen kann, lege ich meine Hände auf ihre Brust und schiebe sie zurück. "Stopp" Dieses Mal nicht. Den Fehler mache ich nicht noch einmal. Verwirrt weicht sie einige Schritte zurück. "Ich liebe dich auch, das weißt du. Über alles. Aber genau an diesem Punkt waren wir schon einmal. Du hast mich geküsst und dann verlassen. Das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt." Leiser füge ich hinzu: "Das schaffe ich nicht noch einmal." Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Am liebsten möchte ich sie küssen und einfach nie wieder gehen lassen. Alles in mir will ihr nah sein, aber ich kann mich dem nicht hingeben, denn ich habe selbst erfahren, zu was das führen kann. Sie wiederholt sich: "Aber ich liebe dich, Jess." Ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Es fällt mir schwer überhaupt noch verständliche Worte hervorzubringen. Einmal durchatmen, zusammenreißen. "So Leid es mir tut, das ist nicht genug. Nicht nach allem, was du mir angetan hast. Andere waren die ganze Zeit für mich da, wo warst du?" Vor mir sehe ich Keiras enttäuschtes Gesicht, als sie heute Morgen mein Zimmer verlassen hat. Ich seufze. "Weißt du, wir müssen aufhören ständig vor unseren Problemen wegzulaufen. Wir sollten uns ihnen stellen. Du bist bis nach Amerika gegangen, weil du Angst hattest dich selbst zu akzeptieren. Und das kann ich nicht mehr. Ich kann nicht mit dir zusammen sein, wenn du nicht zu uns stehst." Sie hat sich mittlerweile einigermaßen beruhigt. "Ich werde zu dir stehen, das verspreche ich." Ich nicke. "Dann beweise es mir." Sie nickt auch. Immer noch enttäuscht, aber ich glaube, sie hat verstanden. "Geh jetzt bitte."
Sie dreht sich um und geht zur Tür. Kurz davor bleibt sie stehen und schaut mich noch einmal an. Wieder einmal bildet sich auf ihrer Stirn diese eine Falte, die ich so süß finde. Sie ist unglaublich hübsch. "Es tut mir wirklich, wirklich Leid" Ich versuche zu lächeln und dieses Mal klappt es. Ein trauriges Lächeln zwar, aber wenigstens etwas. "Ich weiß, Izzie, ich weiß." Ich habe das Gefühl, dass ich noch etwas sagen muss. Ich versuche ihr zu erklären, was in mir vorgeht. "Ich wünschte, das wäre nie passiert. Und ich wünschte, ich könnte dir einfach verzeihen, um so zu tun, als wäre nichts passiert. Aber das kann ich nicht, denn jede einzelne Narbe wird mich daran erinnern. Das tut mir Leid." Sie schluckt schwer. Ihre Unterlippe zittert, während sie versucht die Tränen aufzuhalten. Kurz sieht es so aus, als wolle sie noch etwas sagen, doch dann verlässt sie den Raum, ohne ein weiteres Wort.
Es ist wie ein Déjà Vu. Wie oft hat einer von uns den anderen jetzt schon so zurückgelassen? Aber dieses eine Mal hoffe ich, dass wir eine Chance haben. Ich hoffe, dass ich ihr irgendwann einmal verzeihen kann. Und ich wünsche mir so sehr, dass sie so lange warten kann.
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She - Als mein Leben ins Wanken geriet
Teen FictionEine fiktionale Geschichte über eine unglückliche Liebe, den Wunsch nach Anerkennung, Selbstfindung und die Verwirrung, die zurückbleibt, wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie es schien. "Unsere Blicke treffen sich und dieses Mal kann sie nicht we...