Kapitel 10

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Ich blieb in der zweiten Reihe zurück, mit ihrem Kaffee-, Rauchduft und noch irgendeinem schönen Geruch in der Nase.
Mit einer Marleen, die mich komisch von der linken Seite betrachtet.
Blick auf die Uhr: Die Stunde läuft erst seit zwei Minuten, dennoch kam es mir wie eine Ewigkeit vor. Totale Zeitlupe. Verrückt.
Mein Bauch kribbelt wieder, alles fühlt sich heiß und kalt an.
Ohjee, vielleicht bin ich wirklich krank geworden... Zum Glück sind es nur noch zwei Stunden.
Nun sprach sie wieder französisch: "Ihr hattet sicher schöne Ferien, oder? Jedenfalls waren sie lange. Für manche sicherlich trotzdem immernoch zu kurz.", lächelt sie warm in die Runde.
Genau. Man, ihr Französisch klingt so sanft und rein, akzentfrei. Nicht wie diese alten Schrullen meiner alten Schule, bei denen ich die Fehler zählen konnte. Naja, sie hat vermutlich auch französische Wurzeln, laut des Namens.
Ich sah, wie sich ihre Lippen weiterbewegten, aber nahm keine Notiz. Als säße ich in einem Stummfilm und sie wäre die Leinwand. Hm, schön genug für einen Film ist sie ganz bestimmt...
Wieder ein Stoß von Marleens Ellenbogen in meine Seite, bevor mein Verstand sich wieder beschweren konnte.
"Hey! Wir sollten uns partnerweise erzählen, was wir in den Ferien gemacht haben, um wieder etwas in die Sprache einzusteigen und das 'Freie Sprechen' zu üben!", flüstert sie auf Deutsch.
Uuups, doch kein Stummfilm!
"Achja, ich möchte kein Wort deutsch bei euch hören! Falls euch Wörter fehlen, umschreibt sie, oder denkt nach. Sonst kommt ihr doch nicht weiter.", sprach sie kühl, mit dem Blick auf Marleen, Hände in die Hüften gestemmt, Augenbrauen zusammengezogen. Da ist sie wieder. Die Lehrerin in ihr.
Ich musste lächeln. Ich habe meine Augen keinen einzigen Moment von ihr gelassen.
"Fang du an, Milena!", meint Marleen.
Da ich den brennenden Blick von Mme Bruyères auf mir spürte - sie will wahrscheinlich wissen, wie gut beziehungsweise schlecht ich bin - kann ich mich nicht widersetzen. Ich war ganz nervös, meine Hände feucht. Da hilft auch das ganze Selbstbewusstseinstraining der Sommerferien nichts mehr.
Ich machte schnell eine Atemübung für Ruhe. Mit Erfolg.
"Na gut. Ich habe fünf Wochen in Südkorea verbracht, davon die ersten Drei und die Letzte bei meiner Familie in der Hauptstadt Seoul. Meine Mutter ist Koreanerin, solltest du wissen. Sie und meine kleine Schwester sind mit mir geflogen. Mein Vater musste noch arbeiten.", begann ich, zu Marleen gewandt, obwohl ich es eher einer bestimmten anderen Person erzählte. Dieses kribbelnde Gefühl ihres Blicks verschwand nicht. Sie hörte garantiert jedes Wort. Huii... ruhig bitte, Milena.
"Direkt nach der Landung mussten wir uns für die Beerdigung meines Opas herrichten, der drei Wochen vorher verstorben war. Man hat damit gewartet, bis wir eintrafen. Darüber war ich sehr traurig, da wir immer eine enge Verbindung hatten, obwohl wir uns sprachlich nur sehr schlecht verständigen konnten. Ich hätte ihn so gerne nochmal gesehen.", fuhr ich fort. Sprachliche Schwierigkeiten hatte ich bis jetzt keine, im Gegensatz zu manchen anderen. Um uns herum hörte ich viele "Ähm's" und "Euh's", deutliche Fuchtelbewegungen, wenn ein Wort fehlt.
Sicher alles Vokabeln, die sich im Hinterkopf versteckt haben und nach sechs Wochen nicht mehr auffindbar sind. Tja, auf die Idee, ein französisches Buch für einen leichteren Einstieg zu lesen, kam wohl nicht jeder.
Dafür wurde ich ein wenig sentimental, wegen Harabodsi (Koreanisch für Opa). Tränen in meinen Augen.
"Nach zehn Stunden Flug ist das auch nicht mehr unbedingt angenehm. Eher sehr anstrengend.
Naja. Die nächsten drei Wochen, bis mein Vater kam, wohnten wir bei meiner Oma, haben Familienmitglieder und Freunde quer durch Seoul besucht, dort Geschenke verteilt und bekommen, viel unternommen. Mit ihm und der Familie einer Tante sind wir für eine Woche in den Osten in eine kleine Stadt gefahren - Sokcho - die einzige Stadt dort, in der Pokémon Go gespielt werden kann. Pilgerziel vieler Fans - wie ich - weißt du ja. Auch dort viel besichtigt, Berge hochgestiegen am Strand entspannt. Die Landschaft dort ist wirklich sehr abwechslungsreich und schön. Die letzten paar Tage verbrachten wir wieder in Seoul.
Insgesamt ein schöner Urlaub, aber nichts wirklich besonderes. In Korea bin ich fast jedes Jahr. Wieder in Deutschland habe ich mich ein paar Tage auf die Schule vorbereitet, notwendige Dinge besorgt und viel entspannt. Wie waren denn deine Ferien?", beendete ich meine kleine Erzählung mir einer Gegenfrage.

Stolen Moments - Liebe Scheut Kein Gesetz!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt