Kapitel 3

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Ich liege auf der Wiese, Arme und Beine von mir gestreckt. Das Gras kitzelt mich leicht an den Unterarmen wenn der Wind die Bäume zum rauschen bringt, weil ich die Ärmel meiner Strickjacke hochgekrempelt habe.
Den Himmel über einem zu betrachten ist schon etwas faszinierendes. Die kleinen Vögel, die über einem hinweg fliegen und dabei nichts als Freiheit verspüren. Die Wolken, die an einem vorüber ziehen und die für einen immer die Form eines Tieres, eines Symboles oder eines Gegenstandes haben, sind angenehm zu betrachten. Es erinnert mich an früher, an meine Kindheit, bevor mein Vater uns verlassen hat. Und es erinnert mich an die richtige Welt in dieser unechten Welt.

Ich warte schon eine ganze Weile auf der Lichtung auf das rosa farbene Mädchen, doch sie kommt nicht zurück. Irgendwann ist mir das Ganze auch zu blöd, zumal ich mich etwas beobachtet fühle und so erhebe ich mich von der Wiese.
Da ich die Lichtung anscheinend ja nicht weiter überqueren kann, gehe ich den Weg zurück den ich hergekommen bin. Das kleine Waldstück ist wieder viel zu schnell zu Ende und ich bin dazu gezwungen am Fluss weiter entlang zu gehen.
Hier befindet sich zwar kein Regenbogen und hier zwitschern auch keine Vögel, aber es beunruhigt mich auch nichts an dieser Strecke oder zumindest rede ich mir das die ganze Zeit ein. Insgeheim sehe ich nämlich die Umrisse von Gestalten in den Schatten der Bäume neben mir. Ich bin eigentlich ziemlich froh darüber das hier der Weg am Wasser entlang verläuft und nicht durch den Wald, auch wenn es nicht gerade angenehm ist ihn direkt neben einem zu haben, wenn man erahnen kann was sich darin so befindet. Doch ich versuche mir von meiner Unbehaglichkeit nichts anmerken zu lassen.

Als dann nach einigen Metern urplötzlich dichter Nebel aufzieht und die Schatten immer mehr zu werden scheinen bin ich auch nicht mehr so cool drauf wie am Anfang des Weges noch. Ehrlich gesagt mache ich mir vor Angst fast schon in die Hose.
Ein Knacken ertönt aus dem Wald, dann Geraschel.

Ich nehme die Füße in die Hand und renne los. Hinter und neben mir höre ich jetzt immer mehr Geräusche, doch ich renne einfach nur blind für die Umgebung um mein Leben.
Durch den vielen Nebel sehe ich kaum meine eigene Hand vor Augen, doch die Geräusche um mich herum sporen mich zu neuen Höchstleistungen an. Meine innere Stimme schreit mir zu, dass ich bloß nicht stehen bleiben soll, denn es könnte mich das Leben kosten.
Ich kann es immer noch nicht glauben das ich angeblich tot sein soll, ich kann mich mit diesem Gedanken einfach nicht abfinden und deswegen kämpfe ich oder besser gesagt renne ich auch um mein Leben. Schon komisch wie man verzweifelt am Leben festhält, auch wenn dir irgendetwas sagt das es schon längst vorbei ist.

Als mir langsam die Puste ausgeht und ich das schnelle Tempo nicht mehr so weiter halten kann, werde ich am Handgelenk gepackt und zurück gezogen in starke Arme, die mich an der Hüfte umschließen. Panik steigt in mir auf und ein markerschütternder Schrei entweicht meiner Kehle.
"Nicht", flüstert mir jemand ins Ohr und legt mir eine Hand auf den Mund, um meine Schreie zu ersticken, "da ist eine Klippe." Ich erkenne die Stimme auf Anhieb und beruhige mich allmählich. Ich will mich zu ihm umdrehen, doch er hält mich eisern fest.
"Schließ deine Augen und sieh dich nicht um", haucht er liebevoll und nimmt seine Hand von meinem Mund.
"Aber-...", will ich protestieren, doch er verstärkt seinen Klammergriff um meine Taille.
"Ich sagte schließ deine Augen und sieh dich nicht um, hast du mich verstanden?" Er knurrt fast schon. Ich nicke bloß und wimmere leise. Ich bin es nicht gewohnt das er so mit mir spricht.
Sanft streicht er mir mit den Fingern über mein Gesicht und gibt mir einen Kuss auf den Hinterkopf.
"Tut mir leid, du weißt das ich normalerweise nicht so bin, aber es ist mir wirklich ernst Phoebe", meint er dann. Ich höre die Aufrichtigkeit aus seinen Worten heraus.

Langsam schließe ich meine Augen und lasse meinen Kopf nach hinten auf seine Brust fallen. Mit einer Hand verdeckt er zusätzlich meine Augen. Wahrscheinlich hat er zu große Angst davor das ich mich doch umschauen könnte.
Sein Körper dirigiert mich. Wenn er sich nach rechts wendet, gehe ich automatisch auch nach rechts. Immer noch höre ich die vielen Geräusche um mich herum, doch ich habe keine Angst mehr, denn Kilian ist jetzt bei mir. Seine Anwesenheit beruhigt mich jedes Mal aufs neue.
In dieser Welt ist für mich zwar alles unecht, doch seine Wärme und generell seine ganze Präsenz sind in diesem Moment echt. Er ist immer für mich da, so wie er es mir einst versprochen hat. Ich weiß das seine Anwesenheit, wenn ich dem Ganzen hier glauben schenke, bedeutet das er auch tot ist, doch ich will das einfach nicht glauben. Kilian und ich sind nicht tot!

Wir reden kein Wort mehr miteinander, bis er stehen bleibt.
"Öffne deine Augen", sagt mein bester Freund und nimmt seine Hand weg, nur um sie mir darauf ans Becken zu legen.
Ich tue was er mir sagt und sehe vor mir einen Steg ins Wasser des Flusses ragen.
"Ich möchte das du in das Boot steigst, wenn es gleich kommt. Es bringt dich von hier weg."
"Wo bringt es mich hin und was ist mit dir?", frage ich ängstlich. Ich will nicht das er mich verlässt, nicht jetzt in dieser bizarren Situation.
"Es kann immer nur eine Person transportiert werden. Ich möchte das du da auf mich wartest wo der Fährmann dich raus lässt, bis ich bei dir bin. Verstehst du? Rühr dich nicht von der Stelle bis ich dich holen komme", redet er eindringlich auf mich ein.
"Okay", gebe ich kleinlaut von mir mit Tränen in den Augen. Verschwommen sehe ich wie ein Boot auf uns zufährt.

Er dreht mich zu sich um und zieht mich ganz feste in seine Arme. Beruhigend streichelt er mir über den Kopf.
"Shhh, nicht weinen. Ich weiß das du Angst hast und jetzt lieber nicht alleine sein möchtest, doch die momentanen Umstände lassen dies nicht zu. Ich verspreche dir das ich so schnell zu dir komme wie ich nur kann", gibt er mir sein Wort.

Dann lässt er mich los, dreht mich wieder herum und schiebt mich in die Richtung des kanuähnlichen Dings auf dem Wasser.
Der Fährmann hat eine schwarze Robe an. Die Kaputze hängt ihm tief ins Gesicht.
"Einen Obolus", krächzt er und hält mir seine faltige Hand entgegen. Hilfesuchend wende ich mich an Kilian oder besser gesagt ich bin im Begriff das zu tun, doch hinter mir steht kein Kilian mehr. Erneut breitet sich Panik in mir aus.
"Einen Obolus", ertönt es erneut. Ich richte mich wieder dem Fährmann zu.
"Ich... Eh... Habe keinen Obulus", stottere ich zitternd.
"Du meinst Obolus und du hast sehr wohl einen, denn sonst wäre das Binsenboot nicht ans Ufer getrieben worden", gibt er klugscheißerisch von sich. Ich greife in meine Hosentaschen und in die Taschen der Strickjacke, nur um ihm dann meine leeren Hände zu zeigen.
"Unter deiner Zunge", sagt er nur kühl.
"Als ob ich unter meiner Zunge dieses komische Obolus Dingen habe", keife ich und fasse mir zum Beweis in meinen Mund.

"Sehen Sie-", fange ich stolz an, doch muss mich augenblicklich selbst unterbrechen als ich eine kleine Münze auf meiner Hand sehe.
"Na geht doch", stößt er seufzend aus und nimmt es von meiner ausgestreckten Hand. Ich zucke leicht zusammen bei seiner plötzlichen, kalten Berührung. Er umfasst mein Handgelenk.
"He, was machen Sie da?", frage ich sauer.
"Sie haben den Obolus bezahlt, also bringe ich sie jetzt in den Hades."
"Was? Ich will aber nicht in den Hades!", schreie ich fast schon und lehne mich gegen seinen Griff.

Doch es ist nutzlos, er zieht mich einfach aufs Boot und drückt mich an der Schulter runter auf eine Art Sitzbank.
Sofort will ich aufspringen und von dem Boot flüchten, doch ich kann nicht. Das Holz der Bank hat sich um meine Beine geschlungen bis hinauf zu meinem Becken und lässt mich mich nicht bewegen.
Also sitze ich bockig mit verschränkten Armen da und starre nur stur in der Gegend herum.

"Charon", ertönt auf einmal die Stimme des Fährmanns.
"Wie bitte?", frage ich nach, weil ich nicht so genau weiß was er mir damit jetzt sagen will.
"Mein Name ist Charon", informiert er mich. Ich hätte nicht damit gerechnet das er mit mir Small Talk betreiben möchte während der Fahrt.
"Ich heiße Phoebe", lasse ich ihn wissen.
"Ich weiß", meint er und schaut in die Ferne. Verwirrt mustere ich ihn von der Seite.

Ich entscheide mich dagegen ihn deswegen zu fragen, denn vor uns befindet sich eine Schlucht, die meine Aufmerksamkeit viel zu sehr für sich beansprucht.
Wir steuern auf zwei übergroße Männer mit Roben zu, die in den Stein gemeißelt sind. Der eine hält ein Schwert, der andere einen Dreizack. Zwischen ihnen befindet sich ein großes Tor. Je näher wir ihm kommen, desto mehr öffnet es sich. Rotes Licht dringt durch die Spalte und beleuchtet den leichten Nebel um uns herum.
Jetzt mache mir vor Angst wirklich noch in die Hose. Panisch kralle ich meine Finger in das alte Holz der Sitzbank. Wieso kann er mich denn nicht an einen schöneren Ort als in den Hades bringen?
Mein Blick gleitet zum Wasser. Auf dessen Oberfläche sehe ich das Boot und Charon gespiegelt und... Moment mal. Ich schaue einem Mädchen mit braun-roten Augen entgegen. Ihre Haare sind violett und mit einem roten Band zusammengebunden.
Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter's Ohr und beobachte wie das Spiegelbild es mir gleich tut.
Erschrocken weiche ich zurück. Seit wann habe ich lilane Haare und rotbraune Augen und noch viel wichtiger, seit wann sehe ich aus wie eine Anime Figur?

Viel weiter kommen meine Gedanken nicht, denn da werde ich auch schon vom roten Licht verschluckt und mein Verstand setzt aus.

Götterfluch-The Empire of Hades (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt