Kapitel 9

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Der Wagen parkte in einem Industrieviertel am Ende der Stadt. Es war ruhig und es roch nach Benzin. Niemand verirrte sich in diesen Teil, nur jene, die eingeladen wurden. Unerwünschte Besucher verschwanden innerhalb von Minuten und wurden nie gefunden. Der Ort strahlte etwas Unheimliches aus, doch für die kleine Gruppe, die aus dem Auto stieg, war dies Alltag.

Durch eine kleine Gasse liefen sie in Richtung des verabredeten Treffpunkts, einem Gebäude, welches von Aussen komplett nutzlos erschien. Die Fenster waren mit Brettern zugenagelt worden und die Farbe der Hausfassade blätterte an mehreren Stellen ab. Hank umrundete das Gebäude und blieb vor dem Hintereingang stehen. Dort klopfte er zweimal an die schwere Metalltüre. Eine Klappe öffnete sich auf Augenhöhe und ein Gesicht war zu erkennen, welches genervt fragte: „Passwort?"

Alessandro schüttelte den Kopf. „Da sind wir die einzigen Gäste und müssen ein verdammtes Passwort nennen?" Hank grinste,  holte mit der rechten Faust aus und traf inmitten des Gesichtes, welches sich nicht mehr ducken konnte. Ein Stöhnen war zu hören. Aber die Tür sprang auf. Der Mann, der sich dahinter verbarg, hielt sich die blutende Nase und warf der Gruppe einen mörderischen Blick zu. Dennoch liess er sie passieren, nicht ohne aber vorher noch zu murmeln, dass sie froh sein könnten, dass der Boss sie sprechen wollte.
Hank ging den Gang entlang voraus, wobei Lorenzo sich etwas hinter der Gruppe hielt. So war der grösste Schutz für Alessandro geleistet, auch wenn es diesen überhaupt nicht kümmerte. Eine weitere Metalltür wurde sichtbar, die geöffnet wurde, sobald sie davor standen. Im Inneren angekommen warfen sie einen Blick nach unten. Ein einzelner Tisch war aufgestellt worden, umringt von einigen Stühlen. Ein Mann in Alessandro's Alter hatte als Einziger Platz genommen, während ein dutzend Männer im Raum verteilt standen. Hank stieg die Treppe hinunter und der Rest folgte ihm. Alessandro steuerte sogleich den Stuhl gegenüber des Mannes an und setzte sich. Hank blieb auf der linken Seite stehen, Lorenzo auf der Rechten.

„Willkommen, kleiner Bruder. Schön dich zu sehen."
„Spar dir die Schmeicheleien Matteo, dafür bin ich nicht hier", erwiderte Alessandro gereizt, während er seinen Bruder musterte. Sein Gesicht war hart und auch im dämmrigen Licht war die Narbe klar zu sehen, welche sich quer über sein Gesicht streckte. Er sah Alessandro sehr ähnlich, nur die Augen waren verschieden. Mit den blauen Augen hatte sein Bruder einen durchdringenden Blick, der ihm schon als Kind Angst machte. Es wurde aber schlimmer, nachdem Es passiert ist.
Matteo's Züge erhärteten sich, wenn dies überhaupt möglich war. Er setzte sich gerade hin und legte seine Hände auf den Tisch. „Was kann ich für den allmächtigen Alessandro tun? Sag kleiner Bruder, soll ich wieder für dich töten? Aber dann würde ich ja sehr dumm vor Mama dastehen, nicht war? Ich, das schwarze Schaf der Familie. Falls du dich daran erinnern kannst, war ich in Mexico, als ich die Nachricht bekam. Und ich habe sie", er verzog das Gesicht, „nicht einmal mehr sehen können. Sag mir, ist das fair? Du kommst hier reingeschneit.." Beschwichtigend legte ein Mann Matteo die Hand auf die Schulter. Dieser nahm einige lange, schwere Atemzüge und entspannte sich. „Entschuldigt bitte, meine Freunde, er treibt mich immer zu so etwas. Also, was willst du?"

Jedes Mal, wenn Alessandro auf seinen Bruder traf, schien es ihm, als würde dieser mehr und mehr in den Abgrund gerissen. Es schmerzte ihn, Matteo so zu sehen, aber ändern konnte man es nicht. Die Familie war zerbrochen, nachdem es passiert ist. Versuche wurden unternommen, alle sind gescheitert. Wenn das Licht fehlte, konnte niemand mehr zusammenfinden, damit hatte Alessandro Jahre gekämpft, es aber akzeptieren müssen.
„Etwas Grosses kommt auf uns zu Matteo. Wir müssen bereit sein. Wir haben die Chance verpasst, Josepho ist noch am Leben. Er schart seine Anhänger um sich und es ist schwierig, an ihn heranzukommen. Ich habe Leute geschickt, aber die konnten nichts ausrichten. Sie wussten, dass jemand kam. Es geht dem Ende zu und auch wenn wir uns voneinander entfernt haben Matteo", er sah seinem Bruder in die Augen, „müssen wir jetzt als Familie zusammenhalten."
Matteo lachte auf. „Zusammenhalten? Wir? Du, kleiner Bruder, hast alles bekommen, was du wolltest. Ich habe auf das Erbe verzichtet, weil ich für sie da sein wollte. Was hat es mir gebracht? Einmal war ich nicht da und jetzt ist sie weg. Für immer. Und das nur, weil ich DIR aus einer scheiss Krise hinaushelfen wollte! Was hast du für mich getan, hmm? Was hast du für diese Familie getan?"

Wütend stand Matteo auf und wanderte durch den Raum.
„Weisst du, kleiner Bruder, ich hatte Grosses vor. Erinnerst du dich an Marina? Wir wollten heiraten. Stell dir vor, ich und heiraten. Aber ich konnte mir es vorstellen, mit ihr. Jetzt ist sie irgendwo am Pazifik mit einem Peter, den sie irgendwo kennengelernt hat. Weil ich anscheinend zu wenig da war. Kannst du dir diese Ironie vorstellen? Ich war zu wenig da!"
Alessandro blieb ruhig auf seinem Stuhl sitzen. Dieses Stadium kannte er nur zu gut, und er wollte seinen Bruder nicht reizen. Auch wenn es ihn in den Fingern zwickte, ihm eine zu verpassen. Alessandro war da, nur hatte er sich noch um andere Dinge zu kümmern, wie zum Beispiel das Familienvermächtnis, aber in solchen Situationen konnte sein Bruder sich nur selbst bemitleiden. Dass andere auch litten, war ihm unbekannt.

„Matteo. Wir können uns jetzt über das unterhalten, was passiert ist, oder wir können nach Vorne sehen und Josepho bezwingen, bevor er uns allen die letzte Kugel verpasst. Sterben oder nicht sterben, welche Wahl triffst du?"
„Ich habe gar keine Wahl, hab ich recht?"
Alessandro schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich."
Matteo seufzte. „Nur dieses eine Mal Alessandro. Nachher ist es vorbei. Ich möchte nichts mehr damit zu tun haben."

Welche Ironie, da er mit einem Dutzend Männer umringt in einem Raum sass, nur um seine Macht aufzuspielen. Viele Leute dachten am Anfang, Matteo wäre die geeignete Wahl und einige dachten dies noch immer. Aber die meisten hatten Alessandro's Autorität anerkannt, was gut war.

„Danke Matteo. Ich schulde dir was."
Matteo zuckte mit den Schultern. „Komm morgen vorbei, es beginnt am Mittag."
„Ich kann das nicht Matteo, wirklich."
„Wenn du sie geliebt hast, kommst du. Auf Wiedersehen, kleiner Bruder."
Alles, was gesagt wurde, war gesagt, das wusste auch Alessandro. Er stand auf und lief aus dem Gebäude, gefolgt von Hank und Lorenzo.

Draussen angekommen, schlug Alessandro mit voller Wucht in die Hausmauer. Schmerz durchzuckte ihn bis auf's Innerste, seine Knöchel waren blutig und er war sich sicher, dass irgendetwas gebrochen war. Aber es hatte sich gelohnt.
„Hey Boss, komm runter. Er ist es nicht wert. Du weisst doch, dass er dich nur provozieren will."
„Ist mir so was von scheissegal!", schnaufte Alessandro. „Sagt dem Chauffeur ich rufe ihn an, ich gehe ein Stück."
„Bist du sicher dass du..", begann Lorenzo, unterbrach sich aber, als er Alessandro anschaute, „vergiss es, alles klar, nimm dir Zeit, ruf mich nachher an."
Alessandro drehte sich um und ging ein Stück, als er Schritte hinter sich hörte.
„Hank, auch du kommst nicht mit."

Danach setzte er seinen Weg fort. Er brauchte Zeit um sich zu beruhigen. Wenigstens hatte er seinen Bruder halbwegs auf seiner Seite. Er musste einen kühlen Kopf bewahren, aber wenn er an Morgen dachte, wurde ihm schlecht. Ausgerechnet dorthin zu gehen, drehte ihm schon jetzt den Magen um. Aber vielleicht brauchte er diese Begegnung, um sie endlich loslassen zu können.



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Hallo liebe Wattpadder, ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Ich versuche jetzt, längere Kapitel zu schreiben, mal sehen, wie es laufen wird.
Was denkt ihr, wer ist sie? Und was hat sie mit all dem zu tun?

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