Kapitel 10

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Tee wurde im Zuhause von Marie's Eltern aufgebrüht. Das machte man in ihrer Familie immer so, bei schlechten Nachrichten half er immer. Die letzten Kekse wurden aus dem Ofen genommen und feinsäuberlich auf einem Teller arrangiert. Dieser wurde nach draussen in den Garten getragen, wo Marie als kleines Mädchen mit ihren Schulkameraden herumtollte. Bei diesem Anblick hatte sie all die schönen Momente vor Augen, welche sie hier erlebt hatte. Ihr sechster Geburtstag, als ihre Mutter einen Kuchen backte und ein Kind in das Krankenhaus gebracht werden musste weil es die Zuckerkrankheit hatte. Wie sie alle vor dem Krankenbett sassen und mit Puppen spielten. Alles war friedlich gewesen. Sie schaute sich um und ihr Blick blieb bei der Schaukel hängen, welche zwischen zwei Bäumen gespannt war. Sie war froh, hatten ihre Eltern dieses schöne Stück behalten.

Als sie ihren Namen hörte, schüttelte sie ihre Gedanken ab und setzte sich zu den anderen an den Tisch. Nachdem Dr. Wilson sich die Zeit genommen hatte, allen die aktuelle Lage vorzutragen, hatten sie miteinander die nächsten Schritte besprochen. Schon am nächsten Tag sollte Marie sich auf der Station melden, um ihre erste Chemotherapie über sich ergehen zu lassen. Dr. Wilson informierte ihre Eltern und Anna, dass Marie in dieser Zeit Beistand gebrauchen könnte. Er tat dies mit einem Lächeln, als sei er froh, dass Marie es über sich gebracht hatte, endlich ihre Liebsten einzuweihen. Sie war ihm unendlich dankbar für alles, was er für sie getan hatte.

Nun sassen alle in ihrem Elternhaus im Garten, während Katrina ihren Lieblingstee servierte.

„Danke, meine Liebe", meinte Alexander, als er von seiner Frau eine Tasse eingeschenkt bekam. „Nun, Marie, wie du weisst hat Doktor Wilson uns nahe gelegt, dass wir dich unterstützen. Dies steht natürlich ausser Frage. Wir haben vorher besprochen, dass du gerne wieder in dein altes Zimmer kannst, wir müssen vorher nur wieder deine Sachen hineinstellen."

„Das ist sehr nett von euch, wirklich, aber ich hab mich schon so an meine Wohnung gewöhnt und fühle mich da sehr gut. Aber ich freue mich immer über Besuch", versuchte Marie, ihren Vater zu beschwichtigen.

„Ausserdem werde ich bei ihr einziehen!", unterbrach sie Anna.
„Wie bitte?" Marie blickte sie erstaunt an.
„Na klar, es war doch schon immer geplant, dass wir mal zusammen wohnen. Und ich möchte dich im Auge behalten, nur, damit du keinen Unsinn anstellst. Aber deine Wohnung ist sehr klein, also schaue ich mal nach anderen Optionen."
Marie lächelte ihrer Freundin dankend zu und drückte ihr die Hand. Wieso hatte sie nur so lange gewartet, es jemandem zu sagen? Vieles wäre ihr erspart geblieben. Sie merkte jetzt schon, wie es ihr seelisch besser ging.

„Ich muss nochmals eine Frage stellen, bitte entschuldigt, dass ich das Thema schon wieder anspreche, aber ich möchte sicher sein, dass ich über alles informiert bin. Ich habe dieses Arztgerede von der Chemotherapie nicht ganz verstanden Schatz, kannst du mir das nochmals erklären?" Ihre Mutter schaute sie mit einem entschuldigenden Blick an.

„Natürlich. Also, die Chemotherapie ist immer unterschiedlich auf die Patienten zugeschnitten. Ich bekomme eine Infusion in die Schulter, bei der die Medikamente dann in den Blutkreislauf geraten. Sie hemmen den Zellwachstum."
„Moment, aber wieso hemmen? Du brauchst doch mehr, oder hab ich da etwas falsch verstanden?", unterbrach sie Anna.
Marie schüttelte den Kopf. „Nein, meine Krankheit hat zur Folge, dass zu viele weisse Blutkörper herumschwimmen, die müssen mal pausiert werden, verstehst du?"
„Ah, jetzt kapier ich's. Sorry für die Unterbrechung, mach weiter."
„Gut, wo war ich. Genau, die Infusion. Also ich bekomme die, dann muss ich Pausen machen, dann wieder Infusionen und so weiter, damit sich der Körper erholen kann. Dazu mach ich dann die Strahlentherapie, ihr wisst schon, was immer in den Filmen kommt."
„Was macht eigentlich diese Bestrahlung? Reicht das nicht mit der Infusion? Verlierst du dann die Haare?"
„Anna!", rief ihre Mutter entsetzt.

Marie kicherte über ihre Freundin. Sie konnte einfach kein Blatt vor den Mund nehmen.

„Ist schon gut Mama, ich möchte ja, dass ihr alles wisst und versteht. Also, die Strahlen vernichten die Krebszellen, und bevor du fragst, ja, fast nur die Krebszellen. Die können sich nicht so gut reparieren wie die gesunden Zellen. Und doppelt hält besser, dass ist auch bei der Therapie so, darum wird die Infusion gemacht und die Bestrahlung. Und du hast recht, mir fallen die Haare aus. Das liegt daran, dass trotzdem ein paar gesunde Zellen beschädigt werden. Also bitte nicht erschrecken, wenn es passiert."

„Ich hab eine Idee, wir machen es so wie in den Filmen, rasieren sie dir vorher ab und kaufen zusammen eine wunderschöne Perücke! Ach, wird das ein Spass werden!"

„Ich glaube, ich brauche noch einen Tee", warf Katrina ein. Sie sah aus, als sei sie kurz davor, aus Entrüstung in Ohnmacht zu fallen.

„Das sehen wir dann, wenn es so weit ist. Auf jeden Fall mache ich Morgen wieder die Infusion und dann beginnen wir mit der ersten Bestrahlung. Dann muss ich das über etwa drei Wochen jeden Tag machen, aber am Wochenende bin ich ganz frei. Oh, ich muss Nina noch Bescheid geben, aber das sollte kein Problem sein."

„Ach Marie, ich habe ein bisschen recherchiert und etwas Tolles gefunden. Morgen Mittag ist so eine Veranstaltung für Patienten und Angehörige, was haltet ihr davon, mal hinzugehen?", fragte ihr Vater.
„Gute Idee Schatz, dann können wir uns mit anderen austauschen. Marie, was denkst du?
„Hmm, ich müsste später nachkommen, um neun Uhr startet die Behandlung, aber wenn ich fit genug bin mach ich mich danach auf den Weg."
„Ich komme auch mit! Ich wollte schon immer einen Tag frei machen, so wie ich bisher geackert habe!"
„Anna, du arbeitest nur an vier Tagen in der Woche", lachte Marie.

So sass die Familie zusammen und redete. Jeder versuchte, das Thema hinter sich zu lassen. Ihre Mutter erzählte von den Sportwetten, die ihr Vater abschloss und wie sehr es sie nervte. Ihr Vater wiederum beschwerte sich über den fast fanatischen Einkaufstrieb, den seine Frau hatte. Anna erzählte von ihren Liebhabern, doch dieses Thema wurde ganz schnell boykottiert. Marie hörte zu, brachte ihre Argumente ein und als ihre Mutter eine Pizza bestellte, sie, als perfekte Hausfrau, kam Marie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Auch, als schon Kerzen aufgestellt werden mussten, weil es dunkel wurde, kam es keinem in den Sinn, aufzubrechen. Sie redeten und lachten, tauschten Erinnerungen, und Marie fühlte sich frei. Sie blickte zwischen den Gesichtern hin und her und kam nicht umhin, sich zu fragen, wie sie eine so tolle Familie verdient hatte. Sie gaben Marie Kraft, mit dem umzugehen, was noch kommen würde. Sie wusste, es würde schlimm werden. Es könnte das Schlimmste eintreten. Aber sie war nicht mehr allein, sie konnte wieder Lachen und sie hatte wieder gute Momente.

Als es dann schliesslich doch Zeit wurde, zu gehen, fuhr Anna Marie nach Hause. Sie verabschiedeten sich mit einer festen Umarmung und als Marie den Schlüssel in das Schloss steckte, fühlte sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit geborgen. Es war friedlich, als sei ein böser Geist aus ihrer Wohnung gewichen. Und aus ihrem Herzen. Diese Nacht schlief sie friedlich, ohne Albträume. Ihr Körper konnte sich endlich von den Strapazen der letzten Monate erholen. Das Wichtigste jedoch war die Hoffnung. Eine kleine Hoffnung, die Marie spürte, bevor ihr die Augen zufielen. Die Hoffnung, dass vielleicht doch alles gut werden würde.





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Hallo ihr Lieben!

Teilt mir mit, ob es euch gefallen hat, damit ich weiss, dass ich auf dem richtigen Kurs bin, das würde mir sehr weiterhelfen:) Allen einen wunderschönen Tag!

Liebe Grüsse

Jessica

P.S. Klickt auf dieses kleine Sternchen;)

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