Kapitel 16

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Macht euch auf ein bisschen Action gefasst!

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Geschäftig packte Marie einige Tage später die bestellten Produkte in die Regale. Heute war ein guter Tag, denn Anna kam vorbei, um Nina kennenzulernen. Marie wollte, dass heute alles perfekt lief, darum gab sie sich extra Mühe und achtete pingelig auf Ordnung und Sauberkeit. Anna landete ein paar Stunden zuvor am Flughafen, und Marie konnte es kaum abwarten, ihre beste Freundin zu ihrer Reise ausfragen. Anna arbeitete als Sekretärin für eine grosse Werbeagentur, weshalb sie auf Kosten des Arbeitgebers regelmässig die schönsten Flecke der Erde besichtigen durfte. Zwei Tage nachdem sie das Festival besuchten, hatte sie wieder Glück und man schickte sie nach Los Angeles. Anna hatte stets die besten Geschichten zu erzählen, über die Marie herzhaft lachen konnte.

"Hello dear, guess who's back?!", hörte sie eine Stimme hinter sich kreischen. Ja, das war definitiv Anna. Marie drehte sich um und konnte gerade noch rechtzeitig die Arme öffnen, bevor Anna wie ein Blitz auf sie zugeschossen kam und sich in ihre Arme warf.
"Ich hab dich so vermisst! Ich hatte Angst, dass dir was passiert, oh Gott, was ich mir alles ausgemalt habe!"
Beruhigend tätschelte Marie Anna's Rücken.
"Keine Angst, es geht mir gut."
"Natürlich, es geht dir super, kann ich sehen. Du bist weiss wie eine Kirchenmaus, hast Haare verloren und abgenommen. Und du willst mit weismachen, dass es dir gut geht?!"
"Ganz ruhig, dass sind nur Nebeneffekte der Chemotherapie. Jetzt halt die Klappe, Nina kommt."
"Oh, wer hat denn hier ein loses Mundwerk?", lachte Anna, und schon war die düstere Stimmung weg.

Jetzt wurde es erst recht interessant. Anna hatte ein Sommerkleid mit High Heels kombiniert, dazu ein riesiger Hut und eine Sonnenbrille, die fast zu gross für ihren Kopf war. Eine echte Fashiondiva.
Nun betrat Nina den vorderen Bereich des Ladens. Sie hatte sich komplett schwarz angezogen, schwarze Boots reichten ihr bis zu den Knien. Ihre Augen wurden von schwarzem Kajal und dunklem Smokey Eye umrundet, einzig ihr Mund blieb heute frei von Farbe. Die beiden waren äusserlich total gegensätzlich.
"Du musst Anna sein, du bist ja schon berühmt hier!" Nina steuerte sogleich auf Anna zu und umarmte sie. "Na, das nenne ich eine angenehme Begrüssung", sagte diese grinsend. "Wow, ich liebe dein Makeup, das musst du mir unbedingt mal zeigen!"
"Aber gerne! Marie, hast du unserem Gast schon einen Kaffee angeboten?"
"Es ist dein Geschäft Chefin", zwinkerte Marie Nina zu. Sie blühte in der Gegenwart der beiden förmlich auf. Im Geiste machte sie sich eine Notiz, von jetzt an unbedingt Ausflüge zu Dritt zu planen.
"Da hast du natürlich recht. Ein Cappuccino für die Dame?"
"Aber gerne doch meine Liebe!", antwortete Anna im selben Ton, und alle begannen zu lachen.
Sie setzten sich zusammen an die Theke und Anna berichtete von ihrem Trip.
"Kannst du dir vorstellen, wie die anderen mich beneidet haben? Er hat mich ausgewählt als seine Begleitung! Mich! Christopher Peez! Natürlich habe ich mir nichts anmerken lassen. Auf der Gala hat er mich dann allen Bekannten vorgestellt und wir haben zusammen an einem Tisch gegessen. Und ich kann euch sagen, die Amerikaner haben einen Sinn für Stil! Keiner kam in Jeans, ich fühlte mich so unglaublich wohl. Und erst die Männer, hach", Anna fächelte sich gespielt Luft zu, "Sahneschnittchen sage ich euch!"
"Hast du ein Leben!", seufzte Nina, "und erst noch Christopher Peez! Den würde ich nicht von der Bettkante stossen!"
"Habe ich aber," grinste Anna verschmitzt.
"Nicht dein Ernst!", sagten Marie und Nina gleichzeitig.
"Doch, ich muss mich doch schmackhaft machen. Es hüpft jeder sofort mit ihm ins Bett, und ihr wisst doch das Männer einen Jagdinstinkt haben. Wenn ich also das nächste Mal dort bin, geht es richtig zur Sache."
"Du weisst, wie es geht, Schwester, ich bin beeindruckt!", lachte Nina.
"Ach wisst ihr", begann Anna, wurde aber von einem lauten Quietschen von Reifen unterbrochen. Irritiert sah Marie aus dem Fenster und vor dem Laden hielten zwei Geländewagen. Zwei Männer stürmten durch die Tür und hielten sie auf, gefolgt von weiteren Männern, die einen Körper zu tragen schienen. "Lorenzo!", kreischte Anna und hielt sich die Hände vors Gesicht. Als Letztes betrat Alessandro den Salon, bleich im Gesicht und mit einer hängenden Schulter. Er stützte sich auf einem grossgewachsenen Mann, der mehr Tier als etwas Menschliches war.
"Bringt ihn nach hinten, räumt einen Tisch frei!", schrie einer die Anweisung, während Marie das Geschehen mit Entsetzen verfolgte. "Wer ist hier der Besitzer?"
"Das bin ich, und ich möchte sofort wissen, was hier verdammt noch mal eigentlich passiert!" Nina's Augen schossen Blitze. Marie fragte sich, wie Nina ihm so gefasst antworten konnte.
"Mein Name ist Dominic, es gab einen Schusswechsel und wir brauchen dringend Medikamente und Verbandsmaterial!"
"Verbandsmaterial ist im Kasten unter der Theke, mit Medikamenten kann ich nicht dienen, es sei denn, ihr wollt ihn mit Hundemedikamenten füttern", antwortete Nina gelassen. Dominic rief einer seiner Männer zu sich, der dann sogleich den Verbandskasten suchte und ihn nach hinten brachte.
Anna sass auf dem Stuhl und weinte bitterlich, während Marie Mr. Morano anstarrte. Was zur Hölle war hier los?
"Ich habe Medikamente."
Dominic sah sie fragend an. "Wie bitte? Wer bist du überhaupt?"
"Das ist Marie, und ich würde dir raten einen anderen Ton anzuschlagen Dom", stiess Mr. Morano aus zusammengebissenen Zähnen heraus. Er schaute Marie flehend an. "Bitte bringen Sie ihm die Medikamente Marie."
Sie nickte. Dann stand sie auf und ging ins Bad. Dort zog sie aus einer Ecke einen Beutel gefüllt mit Pillen heraus. Sie hoffte, dass Doktor Wilson keine Fragen stellte, wenn sie schon früher neue Medikamente orderte. Sie atmete tief durch, lief aus dem Bad und in den Bereich des Ladens, in welchem einige Männer Lorenzo bereits auf den Tisch gehieft hatten.
Ruhig wanderte sie zwischen den Fremden hindurch, bevor sie neben Lorenzo hielt. "Lorenzo, ich bin es, Marie. Es wird alles gut."
Sie drückte seine Hand und sah, wie seine Augen flatterten. Er hatte sie gehört.
Sie drehte sich zu den Anwesenden und richtete sich mit leiser Stimme an sie.
"Ich weiss nicht, wer ihr seid, oder was passiert ist. Aber er braucht Privatsphäre. Kennt sich einer mit Verletzungen dieser Art aus?"
Ein Mann nickte.
"Gut, du bleibst hier. Der Rest nimmt bitte im vorderen Bereich Platz. Vielleicht könnte sogar jemand die Autos wegstellen?", fragte sie zögerlich.
"Machen wir!" Zu ihrer Verwunderung kamen alle ihrer Bitte nach. Als alle den Raum verlassen haben, nahm Marie zwei Stühle und bot ihrem Gegenüber einen an.
"Ich bin Marie." Sie streckte zur Begrüssung ihre Hand aus.
"Ich bin Matt." Er nahm ihre Hand und schüttelte sie leicht.
"Also Matt, was machen wir als Erstes?"
"Ich brauche eine Schere, um ihn aus dem Anzug zu befreien."
Schnell drehte sie sich um, öffnete einen Schrank und nahm daraus eine Schere, welche sie ihm entgegenstreckte.
"Danke. Für später brauche ich etwas Spitzes, um die Kugel herauszuholen und Blutstopper, hast du so etwas?"
Marie nickte Matt zu und legte alles in seine Nähe. Danach gab es für sie nicht viel zu tun, also nahm sie an Lorenzo's Seite Platz und hielt ihm die Hand. Sie flüsterte ihm beruhigende Worte zu und strich ihm mit einem kalten Lappen den Schweiss von der Stirn.

Plötzlich verdunkelte sich das Licht am Eingang. Marie sah auf und blickte auf Mr. Morano, der gegen die Tür lehnte und sich stützte. Er wagte sich vorsichtig hervor und stand Marie gegenüber an die andere Seite von Lorenzo, während Matt noch immer an der Bauchwunde arbeitete.
"Es tut mir so Leid Enzo." Seine Stimme war so gefüllt von Trauer, dass Marie kurz keine Luft mehr bekam. Die Wunde an seiner Schulter fiel ihr auf und sie entschloss sich, ihn darauf aufmerksam zu machen.
"Mr. Morano, Sie sind verletzt. Möchten Sie, dass ich mir das anschaue? Ich habe vorher jeden Schritt bei Matt beobachtet", erklärte sie.
"Nein." Er nahm einen tiefen Atemzug.
"Nein Marie, ich muss zuerst sicher sein, dass es ihm gut geht. Er hat mir das Leben gerettet."
Er beugte sich zu seinem Freund und legte die Stirn gegen seine. "Lass mich bloss nicht im Stich." Dann lehnte er sich zurück, zog einen Stuhl in die Nähe und nahm Platz. Gemeinsam warteten sie, bis Matt mit der Prozedur fertig war. Marie erzählte Lorenzo weiter Geschichten, um ihn abzulenken. Er war noch da, konnte aber nicht sprechen. Als sie sah, wie er die Augen fest zusammendrückte, holte sie ein Glas Wasser und stellte es neben sich. Dann hielt sie mit einer Hand seinen Kopf und gab ihm eine Schmerztablette, gefolgt von einigen Schlucken von Wasser. Als es sich zum Ende neigte, musste die Wunde genäht werden und Marie gab Matt, was er brauchte.
Matt gab ein erleichtertes Stöhnen von sich.
"Wie ich das sehe, ist er fast über den Berg. Er hat aber zu viel Blut verloren, was wir ihm dringend wieder geben müssen. Ich schlage vor, dass wir im Head ein Zimmer einrichten und einen richtigen Arzt kommen lassen, was sagst du, Boss?"
Der Angesprochene nickte müde. Matt holte Dominic und dieser gab die Anweisungen an die restlichen Leute weiter. Schon trugen sie Lorenzo vorsichtig zum Auto und fuhren los.
Vier Männer waren geblieben, offensichtlich, um auf den Boss zu warten.
Dieser bewegte sich nicht von der Stelle und starrte auf den Tisch, auf dem Lorenzo zuvor gelegen hatte.
"Mr. Morano? Kann ich mir jetzt Ihre Wunde ansehen? Matt ist mit Lorenzo mitgegangen."
Vorsichtig näherte sich Marie Alessandro. Er schien in Schock zu sein und sie wollte keine aprupten Bewegungen machen.
"In Ordnung." Seine Stimme klang total erschöpft. "Ach und Marie, ich denke es ist an der Zeit, dass Sie mich Alessandro nennen."

Marie antwortete mit einem kurzen Nicken und half ihm, die Jacke auszuziehen. Wie zuvor Matt schnitt sie sein Hemd auf und machte die Wunde frei. Konzentriert machte sie sich an die Arbeit, immer darauf bedacht, ihm so wenig Schmerzen wie möglich zu bereiten. Die Zeit verging und die Stimmen von Aussen wurden leiser. Anna hatte aufgehört zu weinen, wahrscheinlich wurde sie von Nina beruhigt.

Als Marie die Kugel entfernt und die Wunde vernäht hatte, holte sie den Rest des Verbandmaterials und wickelte es um seine Schulter.
Sie stützte ihn, als er aufstand und brachte ihn nach vorne in den Eingangsbereich. Alessandro's Gefolgsleute standen da wie Eisstatuen und rührten sich nicht.
"Lasst sie doch durch verdammt noch Mal", keifte Nina, die eine, nun lautlos weinende, Anna in den Armen hielt.
Die Männer lösten sich aus ihrer Starre und wichen zur Seite, so dass Marie ihren Patienten auf der, normalerweise für wartende Kundschaft zur Verfügung stehende, Couch legte.
Dann setzte sie sich auf den Boden, strich vorsichtig die Hand über seinen Kopf und fragte: "Was um Himmels Willen ist denn passiert?"

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Damit hätte keiner gerechnet! Was ist denn "um Himmels Willen passiert?"

Habt Erbarmen mit mir, ich habe das ganze Kapitel auf dem Handy geschrieben. Wenn ihr Fehler entdeckt, dürft ihr gerne korrigieren!

Dieses Kapitel ist folgenden Personen gewidmet:

@AmaraYildiz
@Lesegirl23

Danke für eure Votes, das bedeutet mir viel!

Sein WunderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt