...B wie Brief...

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Wollen wir alle nicht immer jemand anderes sein? Bis wir begreifen, dass wir alle anders wären, wenn wir nur wir selbst sein dürften.

Es gab Tage, da vergaß man völlig, was dort draußen alles abging. Man saß in seinem Bett, las ein gutes Buch, während der Regen dort draußen unaufhörlich gegen die Fensterscheibe klopfte. Ich war einer dieser Menschen, die nichts dagegen hatten, wenn sie einfach einmal an einem Sonntag Zuhause bleiben konnten, in ihrem Bett und der gewohnten Umgebung. 

Es waren Ferien, die Schule war vorbei und irgendwie war ich immer noch unsicher, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Sollte ich studieren, mir eine Arbeit suchen oder wie die meisten meiner Freunde, ein Jahr Pause machen und reisen? Vielleicht hätte ich mir all diese Dinge ein bisschen früher überlegen sollen, aber die Zeit verging so schnell. 

Irgendwer klopfte zaghaft an meiner Tür. 

"Owen?", rief ich und legte das Buch verkehrt auf meine Decke. 

Die Tür öffnete sich ganz langsam einen spaltbreit und ein ferngesteuertes, kleines Feuerwehrauto fuhr in mein Zimmer. 

"Es brennt hier nicht!", seufzte ich und erhob mich aus dem Bett. Nun war es aus und vorbei mit der Ruhe.

Owen steckte seinen blonden Wuschelkopf durch die Tür. Um seinen Mund befanden sich Reste von der Schokoladen-Creme, welche es heute gegeben hatte. 

Das Feuerwehrauto fuhr zu meinen Füssen und blinkte ununterbrochen auf. 

"Ma sagt du willst mit mir spielen.", sprach er ziemlich überzeugt und rannte zu seinem roten Auto. Das war typisch für unsere Familie. Hatte einer keine Zeit, wurde ein anderer ausgesucht.

Ich ging in meinem Kopf sämtliche Ausreden durch, als das Telefon klingelte. " Nur eine Minute.", rief ich eilig und hastete die Treppenstufen hinunter.

Der schwarze Telefonhörer lag auf dem Küchentisch. Eilig hob ich ab.

"Zoey Summers", sprach ich und wartete. Am Anderen Ende erklang ein merkwürdiges Rauschen. 

"Zoey?", kam es nach einiger Zeit. Es war eine Männerstimme und irgendwoher kam sie mir bekannt vor.

"Ja?" Ich drehte meinen Kopf und suchte nach meinen Eltern, doch sie waren nirgends zu sehen. Bestimmt war der Anruf für sie. 

"Vielleicht erinnerst du dich noch an mich. Ich bin Thomson, du hast dich bei uns in der Forschungszentrale angemeldet und den Vertrag unterschrieben."

Ich hielt inne und überlegte einen Moment. Das waren die Kerle mit dem dicken Vertrag gewesen. Ich hatte seit Monaten nichts mehr gehört und angenommen, dass sie das Experiment abgebrochen hätten.

"Ja", antwortete ich etwas leise. 

"Gut, sehr gut." Es rauschte wieder etwas und ganz leise hörte man Musik im Hintergrund.  "Dein Auftrag startet in einer Woche. Es hat alles gedauert, bis wir die Dinge regeln konnten." Er räusperte sich.

"Mein Auftrag?" 

"Sie haben den Vertrag unterschrieben.", erklärte der Mann ziemlich monoton. Ich konnte mir genau vorstellen, wie er in einem kleinen Cafe saß, das Telefon am Ohr, die Haare zurück gekämmt und die dicke Lederjacke neben sich auf den Stuhl. Wie er sprach und immer wieder auf sein Getränk vor sich starrte.

"Den Vertrag..", wiederholte ich und versuchte mir die Seiten in Erinnerung zu rufen.

"Du hast die Möglichkeit , einige Monate auf einer Insel an einer Schule zu verbringen. So weit ich weiß, hast du keine anderen Verpflichtungen, welche dich davon abhalten könnten." Er räusperte sich wieder. 

"Was?" Ich schüttelte den Kopf.

"Wir haben jemanden gesucht, der bei einem Austauschprogramm mitmacht und eine gewisse Person dabei im Auge behält. Du hast dich gemeldet und den Vertrag unterschrieben." Seine Stimme hatte einen kräftigen Tonfall. 

"Ich habe den Vertrag für was anderes unterschrieben.", murmelte ich und sah mich um. Meine Eltern durften davon nichts erfahren. Immerhin predigte mir mein Vater fast Tagtäglich ein, dass ich alles durchlesen sollte.

"Ich bin nicht aufgelegt zum Scherzen. Der Plan muss durchgeführt werden. Der Vertrag ist unterschrieben und bei Vertragsbruch zahlst du unserer Firma einige Millionen." Die Musik im Hintergrund wurde immer lauter. Anscheinend war er aufgestanden.

Ich schluckte. "Ich muss jemanden im Auge behalten?", fragte ich zögerlich.

"Nur anfreunden, ein bisschen mehr herausfinden über ihn. Was er gerne isst, was er liest und wie er seine Freizeit verbringt, dass ist alles." Der Mann beruhigte sich langsam wieder.

"Warum?" Mein Herz klopfte bis zum Hals. Das war nicht gut.

"Sagen wir es einfach so, du kriegst von uns bezahlte Monate auf einer Insel und dafür musst du dich nur mit jemanden anfreunden. Alles andere folgt." 

"Ich denke, dass ich vielleicht mit der Polizei darüber reden sollte." Ich schluckte erneut und presste den Telefonhörer näher an mein Ohr.

"Was willst du ihnen sagen? Dass du einen Vertrag nicht einhalten willst? Dass du keinen sonnigen Aufenthalt an einer Schule brauchst? Dass du dich nicht mit Mitmenschen anfreunden kannst?" Er lachte. Es war das selbe Lachen wie damals, als wir über mein Gehalt diskutiert hatten. "Zoey, nichts davon ist illegal. Es sind nur einige Monate und sobald du wieder in deinem Heimatort bist, lösen wir den Vertrag auf. Wenn es nicht klappt, dann macht es auch nichts." Seine Stimme klang wie die einer Teleshop Verkäuferin, welche einem gesunde Proteine aufzwingen wollte. 

Es war eine Möglichkeit. "Wohin soll es gehen und was soll ich meinen Eltern erzählen?", flüsterte ich etwa unbehaglich.

"Nach Kuando, ein kleines Sufer-Städchen.Der Strand liegt gleich in der Nähe und die Schule hat erst vor kurzem Angefangen. Du kriegst eine Unterkunft und sobald du willst, brechen wir das alles ab. Du kannst deinen Eltern von einem Sprachaufenthalt erzählen."

Ich sagte nichts, blickte einfach auf den Küchenboden vor mir und ging gedanklich all meine Bedenken durch. Es war eine Möglichkeit. Ich könnte etwas machen, anstatt hier nur herum zu sitzen und darauf zu hoffen, dass mir eine Lösung einfallen würde.

"In eurem Briefkasten liegt ein schwarzer Umschlag, da findest du alles. Ich melde mich." Er beendete den Anruf, ohne dass ich etwas erwidern konnte.

Warum sollte Post in unserem Briefkasten liegen? Es war Sonntag...

Ich drückte noch einige Male auf den roten Hörer um sicher zu sein, dass das Gespräch beendet war und lief dann nach draußen um diesen Umschlag zu suchen. 

Es war kalt und der Regen wurde immer dichter. Ich öffnete den Briefkasten und tatsächlich lag dort ein etwas grösserer Umschlag. Irgendwer musste ihn erst gerade kürzlich hinein gelegt haben, die Kälte hatte ihn noch nicht befallen. Unsicher suchte ich die Gegend ab, doch nichts.

Mit zitternden Händen öffnete ich den Umschlag. Flugtickets, ein neuer Pass, einige Dokumente und ein Bild eines Jungen befanden sich dort drinnen. Es war unheimlich und ich fühlte mich nicht wohl bei der Sache. 

"Zoey?" , meine Mutter stand bei der Tür, die Arme um den Körper geschlungen und blickte zu mir. "Alles in Ordnung?", fragte sie, während der Regen um meine Haare wirbelte.

"Ich..." Ich blickte auf den Umschlag. Wenn ich aufhören wollte, konnte ich das alles abbrechen. Die Flugtickets sahen echt aus und auch der Pass war kaum vom Original zu unterscheiden. Nur der Name war anders und das Bild wirkte ein wenig bearbeitet. Kuando lag auf einer kleinen Insel, die im Sommer besonders beliebt bei Touristen war. Meine Tante lebte auf dem Festland davor und falls etwas wäre, wäre ich in kürze bei ihr. Auf einem kleinen Plan war eine Unterkunft aufgezeichnet und daneben die Beschreibung davon. Ich würde es mir ansehen, verlieren konnte ich nicht viel und einige Millionen hatte ich nicht.

"Ich habe mich bei einem Sprachaufenthalt angemeldet, die Unterlagen sind angekommen.", rief ich gegen den Regen und drückte den Umschlag eng an mich.

"Das ist doch toll, komm wieder herein." Meine Mutter lächelte und irgendwie fühlte ich mich nicht wohl dabei, sie anzulügen. 

Bad Exchange, der VertragWo Geschichten leben. Entdecke jetzt