Kapitel 15 -Voller Sorgen

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Stille breitete sich aus. Als ein plötzliches Schluchzen ertönte, drehten sich alle um. Doch Astrid hatte sich bereits umgedreht und war weggestürmt, damit die anderen ihre Tränen nicht sahen. Sie rannte auf den Wald zu. Eigentlich weinte sie nie, doch sie hatte auch noch nie jemanden so geliebt wie Hicks. Und sie hatte noch nie solche Angst um jemanden gehabt. Und nun sollte er sterben, ohne das er wusste, was sie für ihn empfand? Als sie auf ihrer Lichtung ankam, zog sie ihre Axt und schleuderte sie so kräftig gegen den Baum, dass gleich ein ganzes Stück Holz heraussplitterte. So machte sie immer weiter, bis der Stamm mehr oder weniger komplett zerhackt und zerstückelt war. Noch immer rannen Tränen ihre Wangen herunter. Endlich, um Atem ringend, und komplett aufgelöst, ließ sich Astrid auf einen Stein nieder und fing nun bitterlich an zu weinen, wie sie es bisher noch nie in ihrem Leben getan hatte. Ihr gingen all die Erlebnisse durch den Kopf, all die Abenteuer, die sie und Hicks zusammen mit den anderen erlebt hatten. Es gab ganz genau zwei Themen bei denen sie anfangen würde zu weinen. Hicks und ihre Eltern. Wenn einer der drei sterben würde, wüsste sie nicht, ob sie das verkraften könnte.
Wie lange sie dort gesessen hatte? Keine Ahnung. Plötzlich merkte sie, wie sich eine Hand auf ihre Schulter legte. ,,Hey...",hörte sie Heidruns belegte Stimme. Auch sie schien, als hätte sie nach dieser Verkündung mit den Tränen zu kämpfen gehabt. ,,Ich weiß wie es dir geht. Aber wir werden ihn retten. Du wirst ihn wieder sehen."
,,Werde ich das Heidrun? Werde ich das wirklich?"
,,Ja das wirst du!",sagte Heidrun mit nun festerer Stimme. ,,Weißt du, was das Schlimmste an dieser ganzen Sache ist?",fragte Astrid ihre beste Freundin. Sie wartete keine mögliche Antwort ab, sondern fuhr fort: ,,Ich habe Hicks nie gesagt, was ich für ihn empfinde. Und jetzt wo er fort ist, spüre ich es ganz deutlich. Nun bin ich mir endgültig sicher: Ich liebe ihn."
Weinend lehnte sich Astrid an ihre Freundin und Heidrun nahm sie sofort in den Arm. Sie hielt Astrid fest und spendete ihr Trost. Nach gefühlten Stunden, versiegte ihr Tränenfluss.
,,Wir werden dafür sorgen, dass du diese drei Worte Hicks persönlich sagen kannst. In den letzten Tagen haben wir einen wirklich guten Plan ausgearbeitet. Unsere Strategie ist ganz anders jetzt." Astrid nickte noch ein wenig schniefend. ,,Lass uns zu den anderen zurückgehen.",schlug Heidrun vor.
,,Ja ich will wissen, wann wir endlich aufbrechen." Damit machten sie sich auf den Rückweg.

Nachdem Astrid in den Wald gerannt war, trat Rotzbakke einen Schritt auf Haudrauf zu. ,,Bist du dir sicher, dass diese Information stimmt? Ich meine, vielleicht hat Johann es einfach nur falsch aufgeschnappt oder es war gelogen?",fügte er hoffnungsvoll hinzu. Er machte sich ebenfalls Sorgen, auch wenn er es nicht so zeigte. Schließlich war Hicks sein bester Freund neben Hakenzahn. Haudrauf schaute Rotzbakke an. Er seufzte. ,,Ich wünschte es wäre so. Erst habe ich auch daran gezweifelt, aber dann kamen Pütz und Mulch zurück, die auf der Insel der Verbannten waren. Alvin hatte das Gleiche gehört. Es hatte sich auf seiner Insel wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Schließlich kennen sie alle dort Hicks." Verzweifelt blickte das Oberhaupt zu Rotzbakke und flüsterte: ,,Das hier ist leider real. Viggo wird meinen einzigen Sohn töten, wenn wir ihn nicht aufhalten können."

Die Sonne war bereits untergegangen, als Astrid und Heidrun das Clubhaus betraten. Dort saßen alle Wikinger und aßen die letzte Mahlzeit des Tages. Die beiden jungen Kriegerinnen liefen zielstrebig auf Haudrauf zu. ,,Wann brechen wir auf?",fragte Astrid.
,,Morgen bei Sonnenaufgang.",lautete die Antwort.
,,Was?! So spät erst?" Ihre Stimme wurde lauter. ,,Es geht hier um deinen Sohn Haudrauf! Um Hicks! Wir können nicht einfach bis morgen warten! Wir müssen schon heute Nacht losfliegen! Sonst ist es vielleicht schon zu spät!",rief sie aufgebracht. Eigentlich widersprach man dem Oberhaupt nicht, aber Astrid konnte sich nicht zurückhalten, wenn es um Hicks ging.
Haudrauf verteidigte seine Entscheidung und sprach: ,,Ich wünschte, wir könnten bereits jetzt los, aber wir bringen Hicks nichts, wenn wir halbtot dort ankommen. Viele von uns haben seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen. Unsere Drachen sind von dem Flug zur Basis erschöpft. Wir würden niemals so einen Kampf durchhalten!"
Astrid wollte gerade Luft holen, um dem etwas entgegenzusetzen, doch Heidrun schritt schlichtend ein: ,,Haudrauf hat recht Astrid. So würden wir Hicks keine Hilfe sein."
,,Na gut." Astrid sah es ein. Doch sie wandte sich noch einmal an Hicks Vater. ,,Doch wir fliegen noch vor dem ersten Hahnenschrei los!"
,,Worauf du dich verlassen kannst!",lautete die Antwort.

Astrid und Heidrun gingen zu Astrids Hütte. Sie sprachen nicht mehr viel miteinander, sondern zogen sich schnell um und gingen zu Bett.
Doch mitten in der Nacht schreckte Astrid hoch. Sie hatte wieder den Albtraum gehabt. Dort wo Hicks vor ihren Augen brutal erstochen wird. Tränen glitzerten erneut in ihren Augen.
,,Astrid?", fragte eine verschlafene Stimme. Anscheinend war Heidrun aufgewacht. ,,Alles in Ordnung? Hast du schlecht geträumt?"
,,Ja habe ich",sagte die junge Drachenreiterin und erzählte von ihrem wiederkehrenden Albtraum. ,,Ich hoffe bei Thor und allen Göttern, dass mir dieser Anblick erspart bleibt. Das Hicks leben kann. Mit mir."
,,Das wird er Astrid. Das wird er."

Bevor die Sonne aufging, und bevor Taff's Hühnchen erwachte und überhaupt die Chance hatte, als Wecker zu fungieren, saßen alle Drachenreiter bereits in ihren Sätteln. Es war noch dunkel draußen. Fischbein hatte eine Karte in der Hand. ,,Wir müssen als erstes gen Osten fliegen. Dann nach gut drei Stunden drehen wir bei, Richtung Nordost."
,,Okay!",rief Haudrauf. ,,Retten wir meinen Sohn."
'Und die Liebe meines Lebens',setzte Astrid im Gedanken hinzu, bevor sich Sturmpfeil in die Lüfte erhob und Kurs auf die aufgehende Sonne nahm.

Don't let me aloneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt