02|- Lieblingseis

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02| Brooklyn

Müde gähnte ich, als ich schlurfend meinen trostlos aussehenden Spind anstrebte, welcher -wie alle anderen- in einem leicht bläulichen Grau angemalt wurde und an der weißen Wand befestigt war.

Ich war verdammt fertig von der letzten Nacht, mit dessen Erinnerungen mich mein Gewissen immer noch leicht fertig machte. Luke konnte mir noch so oft sagen, dass er wollte, dass ich ihn anrief, dass er mir gerne zuhörte, mir half und dass es ihm nichts ausmachte, wenn ich ihn mitten in der Nacht weckte. Schließlich hatte er das schon oft genug getan. Es war mir trotzdem immer noch extrem unangenehm und ich wusste, dass ihm dies ebenfalls bewusst war. Aber ebenso wussten wir beide, dass er mich gut genug kannte und den Schmerz, spätestens am nächsten morgen, aus meinen rot unterlaufenden Augen lesen konnte. Luke bestand schon praktisch darauf, dass ich ihm bescheid gab, wenn ich mal wieder nicht schlafen konnte, weil ich mich in so eine Sache reinsteigerte. Und spätestens, wenn ich die ersten Worte sagen würde, wüsste er sowieso, dass er mich mal wieder verletzt hatte.

Immer noch verschlafen, den Lärm der anderen Schüler auszublenden versuchend, öffnete ich die kleine, quietschende Metall-Tür. Das erste, was mir ins Sichtfeld sprang, war mein grausam aussehendes Ich, welches sich in dem Spiegel meines Spinds abzeichnete. Unter den roten, dicken Augen, schimmerten dunkle Ringe durch die Haut, welche ich nicht einmal mit Concealer hätte abdecken können. Meine Lippe war trocken, spröde und in der Mitte ein wenig aufgerissen.
Für mich würden meine nächtlichen Heulattacken wohl nicht so schnell normal und erst recht niemals zur Gewohnheit werden.

Ich hatte auf Grund der mehr als fehlenden Motivation heute morgen, meine welligen, schulterlangen, türkis-grün gefärbten Haare in einen hohen Zopf gebunden. Als ich darüber nachdachte, wie ich zu dieser Haarfarbe gekommen war, musste ich leicht schmunzeln.

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag vor anderthalb Wochen. Luke kam zu mir und gemeinsam gingen wir in die Stadt. Kurzerhand beschloss ich, dass mir meine alte, Straßenköterblonde Haarfarbe zu langweilig war und kaufte Directions in der farbe Alpine green. Eine wirklich schöne Mischung aus Grün und Türkis, die ich einfach mal ausprobieren wollte. Mein bester Freund erklärte sich dazu bereit meine Haare zu färben.
Im nachhinein hätte ich mir vielleicht lieber jemand anders suchen sollen, denn wir lachten uns kurzzeitig beinahe tot und er fand es äußerst lustig, mir einen langen Streifen auf die Stirn zu malen, mit dem ich knappe drei Tage rumlaufen musste. Mal davon abgesehen, dass er wohl einfach krass unbegabt darin war, was die Mischung Farbe und Haare anging.

Naja, Spaß hatten wir auf jeden Fall, denn mal davon abgesehen, dass Luke und ich sowieso immer was zu lachen hatten, fiel ihm bestimmt drei mal fast der Farbtopf runter und wenn das nicht schon genug wäre, hatte dieser zum Schluss wirklich noch Bekanntschaft mit dem Boden gemacht. Er war wild herum gesprungen, hatte irgendeinen Mist gesungen und gemacht und sich darüber lustig gemacht, dass er nicht Schuld sei, wenn es am Ende scheiße aussehen würde, schließlich hatte ich es so gewollt und er könnte angeblich nichts für sein fehlendes Talent in dieser Sache.

Das minimale Grinsen auf meinen Lippen, bei dem Gedanken an diesen schönen Tag verschwand, als ich die Sachen, welche ich für den Deutschunterricht brauchte, in meiner Tasche verstaut hatte und meinen Spind schloss. Ich erschreckte mich, zuckte fürchterlich zusammen und setzte zum schreien an, als Luke in einem rot-schwarz karierten Hemd hinter der kleinen Tür zum Vorschein kam, mich angrinste, während er locker an den anderen Spinden lehnte. Meine Hand legte sich auf die Stelle, an der mein Herz eben einen Satz gemacht hatte und atmete erleichtert aus.

,,Ich schwöre dir, eines Tages bringst du mich noch um."
Redete ich ihm mit heiserer Stimme ein schlechtes Gewissen, ehe ich mich kurz räusperte und meine Tasche auf meine Schulter hievte. Wenn dieser Junge denn überhaupt eines besaß, denn anstatt sich dafür bei mir zu entschuldigen, dass ich wegen ihm beinahe einem schrecklichen Herzstillstand zum Opfer gefallen wäre, grinste er mich nur weiterhin breit an, sah mir dabei zu, wie sich meine Hand wieder von meinem Dekolletee entfernte. Er schien nicht einmal halb so erschöpft von der letzten Nacht zu sein, wie ich es war. Nur kleine dunklen Schatten waren unter den strahlenden blauen Augen zu erkennen und er wirkte sogar wirklich gut gelaunt, wie er mir so schön seine süßen Grübchen und seine geraden, weißen Zähne präsentierte, auf die ich schon so einige Male ziemlich neidisch gewesen war. Aber Luke war auch nicht derjenige, der bis viertel vor zwei durchgehend geflennt hatte, weil sein Freund ihn mal wieder sitzen gelassen hatte, ohne eine Nachricht oder einen Anruf zu hinterlassen.

Cure ↬ l.h. *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt