Sternschnuppen und Wünsche

33 5 8
                                    

"Komm jetzt.", sagt sie schroff. "Ich wollte dir noch mehr zeigen."
Damit ist sie aus dem Raum verschwunden.

Er trottet ihr hinterher und sieht sie gerade noch die Treppen hinaufsteigen. Er folgt ihr still die restlichen Stufen hoch, bis sie in einem Raum stehen in der eine weitere kleine Treppe zu einer geöffneten Tür führt.

Sie gehen hindurch und ein atemberaubender Ausblick entgegnet ihnen. Sie stehen direkt auf dem Dach - ohne Absperrung. Die Fläche ist groß und gerade, trotzdem hält er sich lieber in der Mitte auf um kein Risiko einzugehen.

Doch sie läuft unbeirrt in der Entfernung einer Fußbreite an der äußeren Kante entlang. Dann bleibt sie stehen und dreht sich zum Abgrund. Und da bleibt sie stehen, dreht ihr Gesicht gen Himmel, als sollten die nicht vorhandenen Sonnenstrahlen ihr Gesicht wärmen.

Er setzt sich auf den Boden. So vergehen einige Minuten. Sie steht nur da und er schaut in die Ferne. Von hier oben hat man das Gefühl die ganze Stadt sehen zu können.

Schließlich setzt sie sich ihm gegenüber, die Hände in den Taschen.

"Erzähl mir, wer der Junge ist.", sagt er dann. Ohne Eifersucht, wie man es vermuten könnte. Sondern mit voller Aufrichtigkeit. Etwas sagt ihm, dass er dieser Junge ihr wichtig ist.

Sie schaut auf den Boden. "Er ist nicht der Rede wert.", antwortet sie.
"Das glaube ich dir nicht. Auf dem Bild seht ihr so vertraut aus. Er muss dir doch was bedeuten."
"Nicht mehr.", ihre Stimme ist tonlos, sie schaut ihn eindringlich an.
"Wieso?", Einfühlsamkeit liegt in seinem Blick.

Doch sie antwortet nicht. Er erwartet es auch nicht, er erwartet nichts von ihr. Doch trotzdem wird er weiter versuchen, etwas von ihr zu erfahren.

Beide schauen in die Ferne, es dämmert bereits und die Lichtkugel über der Stadt zeigt sich langsam.

"Das ist ein wirklich schöner Ort. Einsam, aber er hat was. Ich würde mich nur nie alleine hier hin trauen.", durchbricht er die Stille.
"Ja, es ist schön, nicht wahr.", sagt sie, mit dem Blick auf die Dächer der Stadt gerichtet. Die Lichter glänzen in ihren Augen.
"Eigentlich würde niemand alleine hier hin gehen. Vor allem nicht nachts. Deshalb habe ich auch keine Angst, wenn ich mal hier übernachte.", ein leichtes Lächeln liegt auf ihren Lippen.

"Aber es ist doch scheiße, dass du nirgendwo hin gehen kannst, wenn du Stress zuhause hast. Dass du überhaupt so viele Probleme zuhause hast ist scheiße.", sagt er und dreht seinen Kopf zu ihr. Er schaut in ihre braunen Augen.
"Ja. Es ist scheiße. Doch was soll ich machen? Ich kann viel schlechtes über meinen 'Vater' sagen. Doch er gibt mir Essen und ein, naja relativ warmes, zuhause. Ich bin dankbar, überhaupt jemanden zu haben. Der ganze Stress fing erst an, als seine Frau ihn betrogen und danach verlassen hat. Menschen sind grausam."

Er schaut in den Himmel. Einige Sterne werden langsam sichtbar.
"Nicht alle.", entgegnet er leise. Eher zu sich selbst gesprochen.

Er sieht eine Sternschnuppe schnell über den Himmel fliegen. Im selben Augenblick ist sie wieder erlischt.

"Wünsch dir was.", sagt er zu ihr, während er die Augen schließt und in Gedanken selbst einen Wunsch äußert.

"Ich glaube nicht an sowas. Warum sollte ein Wunsch in Erfüllung gehen, nur wegen einer Himmelserscheinung, die dich weder sehen, geschweige denn 'erhören' kann?", fragt sie rhetorisch.
"Weil es einem Hoffnung gibt irgendwie...", antwortet er trotzdem.
"Das ist nichts für mich."

"Was hast du dir denn gewünscht?", fragt sie nach einer Pause und legt ihren Kopf auf die angezogenen Knie.
"Dass du nicht so negativ bist.", sagt er.
Ein leicht verächtliches Schnauben ist aus ihrer Nase zu hören.
"Das wird leider nicht in Erfüllung gehen."
"Vielleicht irgendwann.", ergänzt er sie.
Sie schließt die Augen und lacht leise.

Die Sonne ist mittlerweile untergegangen, der Himmel schwarz.
Sie steht plötzlich auf.

"Mir wird kalt, lass uns gehen.", sagt sie und streckt ihre Hand nach ihm aus, um ihm hoch zu helfen.

Wie weit darfst du gehen?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt