"So kitschig das auch klingt, ich bin ab heute dein Schutzengel. Der Rest kann mich nicht hören oder sehen, nur für dich existiere ich noch. Ich bin hier, damit du dich aufrichtig bei mir entschuldigst, dann werde ich endlich erlöst. Ansonsten komme ich ins Limbo und lieber küsse ich dir dein liebreizendes Hinterteil, als dass ich dahin gehe. Das heißt leider auch, dass ich dich vor deiner eigenen Dummheit retten muss, wenn du zum Beispiel vorhast, von 'ner Brücke zu springen oder dir nen Strick zu drehen. Also, ich beschütz' dich, du schenkt mir ein Ticket in den Himmel. Kapiert?"
Ich raufte mir noch immer ungläubig die Haare, schluckte den Schock herunter und fixierte ihn. Das in den Arm zwicken hatte ich mittlerweile sein lassen, der Typ verschwand ja doch nicht. Wenn da nur nicht die riesige offene Wunde an seinem Hals wäre, würde ich die Tatsache, einen Schutzengel bekommen zu haben, wahrscheinlich besser verkraften. Unaufhörlich quoll da neues Blut hervor, aber ohne Flecken auf dem Pullover zu hinterlassen. Es verschwand einfach nach kurzer Zeit spurlos. Und obwohl ich mich zwang, nicht allzu oft hinzustarren, hatte er es bemerkt. "Kein schöner Anblick, was?", fragte er und drehte sich so, dass ich einen noch besseren Blick darauf hatte, "Schlimmer als es aussieht, wenn dich das beruhigt. War ein grausamer Tod. Wenn mein 'Leben' nicht von dir abhinge, würde ich dir dasselbe wünschen. Langsam und allmählich verbluten, während du um Hilfe rufst und schmecken kannst, dass du's nicht mehr schaffen wirst. Ohh ja..." Seine Augen blieben eiskalt, während sein Mund sich zu einem fiesen Grinsen verzog, was ihn aussehen ließ wie einen Wahnsinnigen. Aber mich machte seine Art aktuell nur wütender auf ihn: "Ach, ehrlich? Na ganz toll dass du mir das erzählst, jetzt fühle ich mich total ermutigt dazu, dir aus der Patsche zu helfen. Warum nur, keine Ahnung. Vergiss nicht Junge, du brauchst grade meine Hilfe!"
"Und ich werde dich dafür bis an dein Lebensende heimsuchen wenn du nicht mitmachst. Ich hab hier momentan die Hosen an Kollege, also denk besser nochmal drüber nach!", gab er überlegen zurück und beobachtete mich, wie ich mir stöhnend an den Kopf griff. "Okay, verstanden. Es tut mir leid, dass ich dich umgebracht habe. Reicht das?"
Ein hämisches Kopfschütteln. War zu erwarten gewesen. Er machte eine tiefe Verbeugung vor mir, legte sich eine Hand auf die Höhe seines Herzen und grinste verächtlich zu mir auf: "Das muss schon direkt aus deiner Seele heraus kommen. Ich hab die Regeln nicht gemacht, aber vorher wirst du mich nicht los!"
Ich nickte entnervt. "Dann halt mit mehr Gefühl, hab verstanden!" Seufzend konzentrierte ich mich auf meinen Gegenüber, der noch immer in seiner kasprigen Haltung vor mir stand und gespannt wartete. Die triefende Wunde war von meiner Position aus weiterhin gut sichtbar und tatsächlich hatte ich ein wenig Mitleid mit dem Kerl. Er hatte Familie gehabt, vielleicht sogar eine Freundin, sie alle mussten jetzt ohne ihn zurecht kommen. Bestimmt trauerten sie sehr um ihn. "Es tut mir leid, dass ich dich getötet habe", wiederholte ich langsamer und bedachter. Tat es mir wirklich, auch wenn er mich gerade eindeutig veralberte. Er sollte mal ein wenig Respekt vor mir haben, ich war immerhin drei oder vier Jahre älter war als er! Eigentlich erwartete ich keine Antwort, nur irgendeinen wunderlichen Effekt der mir verriet, dass es funktioniert hatte, aber entgegen dieser Vermutung sagte der Junge plötzlich: "Und ich vergebe dir deine Sünde!"
Nichts passierte. Nicht nach fünf Sekunden, nicht nach zehn. Und danach wurde es mir zu blöd, weiter tatenlos zu warten. "Dankeschön dass du mir so einfach vergibst", brummte ich sarkastisch und fuchtelte mit meinen Händen in der Luft als Zeichen, dass er jetzt gehen konnte. Er schaute mich an, als sähe er den ersten Höhlenmenschen vor sich. "Checkst du es nicht, du Möchtegern-Held? Es hat nicht funktioniert! Ich bin immer noch an dich gekettet, weil du es einfach nicht ernst meinst! Aber gut, ich kann warten, so lange bis du alt und faltig bist." Endlich löste er sich aus seiner Verrenkung, holte eine Packung Kippen aus den Taschen seines ausgebeulten Pullovers und steckte sich eine an. "Schutzengel rauschen?", fragte ich ihn spöttisch. Zornig funkelte er mich an: "Klappe! Mach dich nützlich oder so, aber geh mir nicht auf die Eier!"
Da bemerkte ich endlich den feinen Unterschied zwischen den beiden Malen, in denen ich ihn zu erlösen versucht hatte. Seine Pupillen hatten jetzt statt dem starren Rostrot die angenehme, satte Farbe von Kirschbaumholz angenommen. "Hey, du siehst ja endlich mal halbwegs normal aus und nicht so, als wolltest du gleich einen Amoklauf veranstalten!", berichtete ich stolz. "Hm?", grunzte er und zog missgelaunt eine Augenbraue hoch. Ich deutete auf meine Augenpartie: "Nicht mehr rot. Das ist ein Fortschritt, oder?"
Mein Gegenüber schaute mich trotzdem nur weiter griesgrämig an. "Oh, ja, großartig. Riesiger Erfolg! Vielleicht schaffst du es ja beim nächsten Mal noch das da", ein Fingerzeig auf seinen Hals, "wegzuzaubern, oh großer Houdini. Dann wäre ich dir wirklich sehr verbunden, das Blut riecht auf Dauer echt wie Scheiße!"
Ich wollte noch etwas patziges darauf erwidern, als der Typ plötzlich aufsprang, mich in eine Seitengasse zog und seine Hand auf meinen Mund presste. Sofort wehrte ich mich wütend und versuchte um mich zu schlagen, bis ich sah, wie er einen Finger warnend auf seine Lippen legte. Tatsächlich hörte ich nicht weit entfernt wieder Sirenen, die die Straße vor uns mit ihrem schrillen Lärm erfüllten. Blau blinkende Lichter tasteten an unserem Versteck vorbei, das Auto glitt kurz in mein Sichtfeld und verschwand genau so schnell wieder, ohne langsamer zu werden. Das hätte auch anders enden können!
Erst als der Alarm längst verhallt war merkte ich, dass ich die ganze Zeit angespannt die Luft angehalten hatte. "Puhh, Scheiße war das knapp", japste ich, während der Junge mich losließ und auffordernd anschaute. Was? Wartete er auf 'ne Umarmung oder so? Konnte er vergessen, er hatte schließlich mehrfach betont wie egal ich ihm war, solange ich ihn nur irgendwann freisprach.
"Cooler Zug man", meinte ich also bloß achselzuckend. Mir fiel ein, dass ich nicht einmal seinen Namen kannte. Natürlich hatte ich versucht, mich in den Zeitungen über ihn zu erkundigen und ich hatte auch einen kleinen Artikel über seinen damals noch ungeklärten Tod gefunden, aber keinen noch so winzigen Hinweis darauf, wer genau er gewesen war. Ich wusste es war ein Fehler, ihn solche Sachen fragen zu müssen, aber irgendwann musste ich es wissen und von allein würde mein Gegenüber wohl nicht damit heraus rücken. "Sagst du mir noch deinen Namen damit ich weiß, wer jetzt dauerhaft wie eine Klette an mir hängt?"
"Ist das dein Ernst?" Der Junge riss seine Augen vor Unglauben weit auf. "Also, wenn ich einen Jugendlichen so abgeschlachtet hätte wie du, dann wäre das ja wohl das Mindeste gewesen, was ich als Wiedergutmachung getan hätte!" Wieder dieser provozierende Blick, der jetzt aber zum Glück schon nur noch halb so bedrohlich wirkte, sondern eher genervt und müde von den ganzen Streitereien. Ich war's mittlerweile auch satt. So kamen wir nicht weiter und Mitleid würde er dafür auch keines von mir kriegen. Wenn er sich nicht um ein gutes Verhältnis bemühte, kam halt keins Zustande. "Also, dein Name?", versuchte ich es nochmal ruhiger mit gedämpfter Stimme und bekam endlich "Steven" als Antwort. Na also, war das so schwer gewesen?
"Okay, Steven", jetzt befanden wir uns immerhin auf gleicher Ebene. Aber eine Sache musste ich dringend noch klar stellen. "Das was ich getan habe, das war kein kaltblütiger Mord. Es war Notwehr! Ich-"
Er unterbrach mich mit einem lauten Lacher, der mich zusammenfahren und hektisch umher schauen ließ. "Ha, Notwehr? Gegen jemanden, der dich um ein Feuerzeug gebeten hatte? Das kannst du gern deinen Penner-Kumpels erzählen, aber nicht mir!"
"Es war mitten in der Nacht, du hast mich am Arm fest gehalten und-"
Steven unterbrach mich schon wieder: "Jaja, was auch immer. Los, ich hab keinen Bock mehr, hier rum zu stehen. Beweg dich, tu was du sonst so tust und wenn du dich dabei nicht in Gefahr begeben könntest, wäre ich dir sogar dankbar dafür!"
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Sins
FantasyAuf der nicht enden wollenden Verfolgungsjagd vor der Polizei bekommt der streunende Dan Hilfe von unerwarteter Seite! Er erhält einen Schutzengel, der ihm helfen und aus dieser misslichen Lage retten muss. Aber der Schein trügt, denn der rüpelhafte...