Eins

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Ich habe gelernt, dass es ungesund ist, wenn ich mir vorstelle, wie ein Treffen zwischen dir und mir ablaufen würde. In meiner Fantasie ist es so:
Ich fahre mit meinem Auto von der Schule nach Hause, es ist kalt. Ich sehe dein Auto an einer Kreuzung stehen, ich habe Vorfahrt und muss das Pumpen meines Herzens unter Kontrolle bringen, wie jedes Mal, wenn ich dein Nummernschild sehe.

Doch dann übersiehst du mich und fährst mir rechts in die Seite. Es knallt, wir sind aber nicht verletzt.

Stattdessen steige ich wutentbrannt aus meinem alten Auto, für das ich mich jedes Mal schäme, wenn ich damit fahre und knalle die Tür zu, während auch du aussteigst. „Spinnst du?", würde ich dich anschreien. „Hast du keine Augen im Kopf?"

Dein noch perplexer Ausdruck würde sich gegen einen ebenso sauren Ausdruck tauschen und du würdest zwei Schritte auf mich zukommen, nachdem du ebenso deine Autotür zugeknallt hast. „Bevor du mich so dumm anmachst, solltest du vielleicht lernen, deinen Blinker auszuschalten!"

Ich würde so tun, als wäre diese Aussage nichtexistent. „Schon mal was von rechts vor links gehört? Guck dir an, wie verbeult mein Auto ist!" Zornig zeige ich dann auf mein Auto und, so romantisch es klingt, keife ich noch: „Das wirst du bezahlen!"

Und dann würde ich so tun, als würde es mich nicht beeindrucken, wie viel du gewachsen bist. Du warst schon immer sehr groß, mittlerweile aber bestimmt 1,90 Meter. Deine Haare, mir würde auffallen, dass sie nun, nach vier Jahren, kürzer sind. Sie haben noch immer den leichten rot - blonden Stich und wellen sich ein bisschen, aber früher, als deine Haare länger waren, lockten sie sich. Ich weiß, dass ich diejenige war, die dir immer wieder sagte, dass du dir deine Haare schneiden solltest.

Auch wenn es mir schwer fallen würde, würde ich weiterhin so tun, als wäre ich zornig, obwohl ich eigentlich erst verstehen müsste, dass du gerade vor mir stehst. Nach so vielen Monaten, nach so vielen Jahren und Nächten, in denen ich an dich dachte und glaubte, dass du nicht an mich denkst.

Aber du würdest die Augen verdrehen (so wie du es oft tatst, wenn wir stritten) und dich wegdrehen. „Bist du wenigstens unverletzt?", fragst du in meiner Vorstellung, auch wenn es genervt klingt.

„Ein Wunder, dass dich so etwas Nichtiges interessiert", zicke ich dann und betrachte meine eingebeulte Tür. „Aber ja, ich bin unverletzt." Ich müsste mich zwingen, mich nicht mit tausend Fragen um deine Gesundheit zu scheren, deswegen sage ich beiläufig: „Was ist mit dir?"

Du sagst: „Passt schon", und daraufhin würdest du die Polizei rufen.

Irgendwie eine seltsame Vorstellung, dass meine fantasierte Geschichte damit weitergehen würde, dass wir beide auf dem Weg ins Revier der Polizei ins Gespräch kommen, bemerken, wie sehr wir uns gefehlt haben und wir es uns am Ende des Tages gestehen und darüber lachen, dass du mein Auto gerammt hast. Du würdest noch so etwas sagen wie „Hätte ich gewusst, dass wir so enden, hätte ich dich schon viel früher angefahren".

Dann würde ich lachen, weil ich immer gelacht habe, wenn du etwas sagtest und dann würde ich meinen Kopf auf deine Schulter legen. Ich würde mich fühlen, als wäre ich zuhause und du würdest mir das Gefühl geben, du seist endlich dort angekommen, wo du immer hingehörtest.

Aber weißt du, solche Vorstellungen sind die schlimmsten Vorstellungen.

Denn, es gibt da diese Momente in meinem Leben, ... sie passieren ziemlich oft, aber sie werden immer schmerzhafter, umso öfter sie vorkommen.

Ich denke an dich. Dann erinnere ich mich an dein Lachen und wie du lachen konntest, ohne einen Laut von dir zu geben. Und wie deine Witze die tollsten für mich waren und wie du mir mal sagtest, dass du mich hübsch finden würdest, hätte ich eine Glatze, nachdem mein heutiger Ex-Freund behauptete, ich wäre unzumutbar, würde ich mir die Haare abrasieren.

What I'd never tell youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt