Sechs

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Es war tiefster Winter, als ich dein Auto an der Tankstelle in unserem Dorf erblickte. Ich fuhr keine fünfzig Stundenkilometer mehr, sondern schlich mit zwanzig daran vorbei.

Du saßt in deinem Auto und starrtest auf dein Handy.

Mein Herz schlug so wild, mein Hirn setzte aus und ich drückte auf das Gas, als du deinen Kopf hobst.

Ich fuhr zweihundert Meter weiter zum nächsten Supermarkt, von dem ich weiß, du bist hier öfter.

Ich stellte mich mit beschleunigtem Puls auf den Parkplatz, auf dem sonst immer dein Auto stand.Ich war mir so sicher, du würdest gleich hier auftauchen.

Und dann wartete ich sechsundfünzig Minuten auf dich.

Nach zehn Minuten fühlte ich mich wie ein Vollidiot. Nach zwanzig Minuten waren meine Glieder bereits eingefroren, weil mein Auto keine Heizung besitzt. Nach dreißig Minuten legte ich meinen Kopf hoffnungslos auf das Lenkrad. Nach vierzig Minuten versank ich tieftraurig im Sitz und betete, mich würde niemand für verrückt halten, wenn er mich so sehen könnte.

Und nach fünfundfünzig Minuten begriff ich, dass ich bereits verrückt war.

Ich hasste mich eine Minute lang und verfluchte die Liebe, verfluchte dich, verfluchte diesen Supermarkt und dass du mich dazu brachtest, mich eine Stunde in ein eiskaltes Auto zu setzen, auf nichts zu warten, obwohl ich schon längst zuhause in meiner beheizten Wohnung sitzen könnte.

Ich wusste nicht einmal, was ich tun würde, würdest du hier sein. Ich würde den Supermarkt betreten, nachdem du es getan hättest und dann würde ich dich ansehen, während du durch die Gänge schlenderst.

Wahrscheinlich würde es mir wehtun, dich zu sehen, weil du nicht einmal wüsstest, dass ich hier wäre. Denn du würdest keine sechsundfünzig Minuten in der bitteren Kälte auf mich warten.

Ich verließ den Parkplatz, als ich realisierte, dass mich eine weitere Minute zum Weinen gebracht hätte.

What I'd never tell youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt