2. Unsichtbar

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Sie zog ihn ausgelassen über die grüne Wiese. Immer wieder beschleunigte sie das Tempo, nur um dann wieder langsamer zu werden, zu ihm zurück zublicken, ihn anzulächeln und anzutreiben. Er bemerkte wie ein Gefühl in ihm aufkeimte, welches in ihrer langen Abwesenheit in Vergessenheit geraten war. Er fühlte sich gut, nein mehr als das, er war einfach glücklich, nichts konnte dieses Gefühl trügen und erspürte wie sein Herz erfüllt wurde, von der Liebe für dieses strahlend schöne Wesen. Der Wind trug ein warmes helles Lachen zu ihm herüber, er hatte es viel zu lange nicht gehört.

Er betrachtete die Gestalt vor ihm genauer, während sie ihn weiter und weiter in Richtung Ziel, eine kleine Hütte am Ende der Wiese, zog. Ihre langen welligen blonden Haare wehten ihr immer wieder ins Gesicht, aber sie lies sich davon nicht stören. Ihre tiefblauen Augen, umrahmt von dichten Wimpern, waren voller Liebe und strahlten eine unbändige Kraft aus. Und diese Lippen, er konnte seinen Blick nicht davon abwenden. Es machte ihn fast wahnsinnig, wie sie jetzt begann auf ihnen herumzukauen. Erst jetzt bemerkte er, das sie beide stehen geblieben waren und sie ihn erwartungsvoll anblickte. Ein Lächeln umspielte seinen rechten Mundwinkel und seine Augen blitzten schelmisch auf, bevor er sich langsam zu ihr hinunter beugte.

Doch bevor sein Verlangen Erfüllung finden konnte, veränderte sich die Atmosphäre schlagartig. Die Wärme, die die Frau zuvor ausgestrahlt hatte, veränderte sich in Eiseskälte, sodass der Mann augenblicklich anfing zu zittern. Mit einem Blick in ihr Gesicht, stellte er erschrocken fest, das ihre Lippen, die zuvor so einladend gewirkt hatten, blau anliefen. Während die grüne Wiese, um sie herum, von Dunkelheit verschluckt wurde, konnte er nur noch hilflos beobachten,wie auch ihr restlicher Körper immer blasser, kälter und steifer wurde. Schließlich verschwand auch der kraftvolle Ausdruck in ihren Augen und an seine Stelle trat eine alles einnehmende Leere. Ihr Körper sackte leblos in seinen Armen zusammen und er sank verzweifelt mit ihr zu Boden.

Ein markerschütternder Schrei durchzuckte die Dunkelheit und im nächsten Moment wachte er schweißgebadet in seinem Zimmer auf und schaute sich panisch nach allen Seiten um. Schwer atmend wurde ihm bewusst das er nur geträumt hatte. Er ließ sich erschöpft zurück in die Kissen fallen und schloss resigniert die Augen. Auch nach all den Jahren konnte er ihr Gesicht mit jedem Detail vor sich erkennen.

Seine Zimmertüre wurde aufgerissen und er fuhr ruckartig wieder nach oben. Im Türrahmen stand, ein in Alarmbereitschaft versetzter, Elijah und schaute seinen Bruder fragend an. Als er sich vergewissert hatte, dass dieser keinerlei akuter Gefahr ausgesetzt war zupfte er sein Jacket zurecht und stellte fest: „Du hast geschrien."

Niklaus seinerseits erhob sich von seinem Bett, streifte sich ein Hemd über und begann es zuzuknöpfen. „Es war nichts." Sein Bruder hob zweifelnd eine Augenbraue. „Es war nur ein Traum." und etwas leiser fügte er hinzu: „Sie ist fort. Selbst in meinen Träumen sehe ich ihren Tod" Elijah blickte seinen Bruder überrascht an. Er wusste zwar wie sehr sein Bruder die Frau geliebt hatte, von der er nun zu sprechen schien, aber er war sich nicht im Klaren darüber gewesen, das er auch nach über 90 Jahren noch um sie trauerte. „Ich wusste nicht, das.."
Schon wurde er von dem Hybriden unterbrochen: „So ist es nicht. Selbstverständlich, in all den Jahren habe ich immer an sie gedacht, von ihr geträumt und mich nach ihr gesehnt. Mir kam ihr Tod und das Leben ohne sie so sinnlos vor und selbst mein Streben nach Rache konnte diese Gefühle nicht lindern. Aber...aber es war seit Jahren nicht mehr so intensiv, wie in den letzten Wochen. Ich komme kaum zur Ruhe. Immer und immer und immer wieder sehe ich sie. Nicht nur im Traum, nein, auch im wachen Zustand....Manchmal sehe ich sie in einer Menschenmenge und im nächsten Moment ist sie wieder verschwunden. Bruder, ich glaube der Wahnsinn holt mich nun doch nochein."

Während seiner kurzen Rede hatte sich der „junge" Mann aufs Bett sinken lassen und verbarg nun das Gesicht in seinen Händen. Sein Bruder war näher an ihn herangetreten und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das hat er schonvor langer Zeit, Niklaus. Dafür haben Mikael und Esther früh genug gesorgt." Er hielt einen Moment inne und lies den Blick seines Bruders über sich ergehen, dann fügte er nachdenklich hinzu: „Wenn es wirklich der Wahnsinn ist, der dich Yvaine sehen lässt, dann hat er mich wohl auch eingeholt." Klaus blickte ihn entgeistert an. „Was soll das heißen, Bruder?"

„Ich kann es mir genau so wenig erklären wie du, Niklaus. Wie du sagtest, seit einigen Wochen scheint sie überall zu sein. Ich hatte eigentlich beschlossen dir nichts davon zu erzählen, um dich nicht zu erzürnen oder von unserer Sache abzulenken."
Sein Gegenüber sprang auf und in seinen Augen blitzte Übermut auf. „Meinst du es könnte sein? Ist sie nicht tot? War es keine Einbildung? Ist Yvaine am Leben?! ELIJAH? Ist sie am Leben?" Seine Stimme bekam einen drohenden Unterton.

„Ruhig, Bruder! Ich kann es mir nicht vorstellen...Wir waren schließlich dabei als sie starb, als sie..von ihm.. getötet wurde! Wir haben sie begraben, um sie getrauert.... Es muss eine Einbildung sein. Erzeugt von unserer Mutter, um uns zu verwirren und von ihren Plänen zuüberzeugen!" Niklaus zuckte zusammen. Auch jetzt noch fiel es ihm schwer an ihren Tod zu denken, auch wenn sein Unterbewusstsein ihn den schlimmsten Moment seines jahrhundertelangen Lebens regelmäßig durchleben lies. Wieder kochte Wut in ihm hoch. Er war wütend auf seinen Vater, den Mörder seiner Geliebten, auf seine Mutter, die sehr wohl in der Lage wäre solche Halluzinationen hervor zu zaubern, nur um sie leiden zu lassen, aber auch auf Elijah weil er ihm keine Hoffnung machte und auf sich selbst, weil er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und sich schon längst von den Erscheinungen von ihren Plänen ablenken lies. Hasserfüllt und mit voller Wucht lies er seine Faust gegen die Zimmerwand neben der Türe schnellen, um seiner Wut Luft zu machen.

„Was ist denn hier los?" fragte die junge Frau empört, die gerade das Zimmer betreten wollte und stattdessen erschrocken zurück wich.„Verschwinde!" zischte Niklaus böse funkelnd und an Elijah gewandt fügte er ein „Du auch!" hinzu. Der stolze Vampir sah ihn vielsagend an und wandte sich dann an die blonde Frau: „Camille, gerade ist kein guter Zeitpunkt. Wir sollten lieber gehen. Begleite mich doch nach unten. Vielleicht kann ich dir irgendwie weiterhelfen. Niklaus ist heute nicht in bester Laune."

Besagter Vampir knallte die Tür hinter den beiden zu und schmiss sich gereizt zurück ins Bett. Ihm war die Lust vergangen. Er wollte weder weiter den Schlachtplan gegen seine Mutter verfolgen noch wollte er Irgendjemanden sehen müssen. So schlief er einige Zeit später wieder ein, nur um erneut von Träumen geplagt zu werden.

Ich trat näher an sein Bett heran und musterte seine wilde Anmut. Seine Gesichtszüge zuckten, er wurde wieder einmal von einem Alptraum gequält. Ich wusste was in ihm vorging. Viele Male hatte ich, während der vergangenen 95 Jahre, neben ihm am Bett gesessen und genau wie er darunter gelitten, ihn nicht wirklich berühren zu können. Zu viele von seinen Träumen hatte ich mit angesehen. Ich war in sie eingetaucht und hatte versucht seine Schmerzen zu lindern, oder die Abfolge der Ereignisse zu verändern. Nur selten mit Erfolg. Meine Kräfte waren auf der anderen Seite weitaus geringer, als zu Lebzeiten. Zu oft hatte sich dann mein Herz, gemeinsam mit seinem, zusammengezogen.

Aber es hatte sich etwas geändert. Denn als ich diesmal meine Hand, wie schon so oft zuvor, an seine Wange legte und beobachten konnte wie sich sein Gesichtsausdruck entspannte, verschwand meine Hand nicht. Stattdessen berührte ich seine weiche Haut und spürte seine Wärme an meiner Handfläche. Mir entwich ein freudiger Schluchzer. Den Augenblick bewusst auskostend, beugte ich mich zu ihm hinab und legte meine Lippen auf die Seinen. Doch bevor er seine Augen überrascht aufschlagen konnte, war ich auch schon wieder verschwunden.

Der Urvampir blickte sich desorientiert im Zimmer um und griff sich irritiert mit zwei Fingern an die Lippen. Eine einzelne Träne, ein Überbleibsel seines Traumes, lief seine Wange hinunter. Verborgen im Schatten griff ich mir an mein Herz, als ich ihn leise meinen Namen flüstern hörte. Die Situation hatte mich zu sehr aufgewühlt. Aber ich durfte mich einfach noch nicht zeigen. Mein einziger Vorteil gegenüber Esther und Mikael war es, das niemand meine Rückkehr bemerkt hatte. Es war noch zu früh und zugleich so schwer.


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His Greatest WeaknessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt