Land of Truth

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Liam zog seine Regenjacke aus und steckte seinen Schirm in die dafür vorgesehene Halterung, bevor der noch das ganze Treppenhaus einnässte. Schon seit zwei Tagen goss es wie aus Eimern, die Straßen Londons ähnelten Sturzbächen. Sicher, in England regnete es öfters, aber so heftig hatte Liam es schon länger nicht mehr erlebt.

Er schloss die Haustür auf und sofort stieg ihm der vertraute Geruch von Hühnersuppe in die Nase. Juniper, die vor einer Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden war, stand an der Küchenzeile und rührte in dem großen, dampfenden Topf auf dem Herd. Liam konnte Rosie im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzen sehen und hörte, wie sie sich geräuschvoll die Nase putzte. Bestimmt das schon fünfhundertste Taschentuch am heutigen Tag, denn es war, wie es immer war: Sie hatte weder auf ihn, noch auf ihre Schwester gehört, war einige Mal ohne Jacke nach draußen gegangen und nun glich ihre Nase der eines beständigen Säufers Mitte Fünfzig. Sie war rötlich, geschwollen und tropfte unentwegt vor sich hin.

Liam ließ seine Schuhe auf der Türmatte liegen und brachte seine tropfende Jacke ins Badezimmer, bevor er sich zu den beiden Frauen gesellte.

Juniper küsste er zur Begrüßung, Rosie verpasste er einen lieb gemeinten Klaps auf den Hinterkopf.

Wenn man die Drei so sah, müsste man meinen, dass alles in Ordnung wäre. Doch das war es leider nicht.

Ihre Vertrautheit täuschte nur für einen kurzen Augenblick darüber hinweg, dass Harry von den Ärzten mittlerweile noch einmal operiert und in ein künstliches Koma versetzt worden war.

Juniper hatte ihre restlichen Verhöre bei Cathcart hinter sich gebracht, seitdem jedoch nichts mehr von den Ermittlungen mitbekommen. All das hinterließ bei Liam kein gutes Gefühl, weshalb er nach ihrer Entlassung nicht nur seine Freundin, sondern auch deren Schwester zu sich nach Hause geholt hatte. Das war ein hartes Stück Arbeit gewesen, denn Jack, der Vater der beiden Frauen, war natürlich auch im Krankenhaus gewesen und von Natur aus ein sehr sturer Mann. Liam wusste genau, wo diese Charaktereigenschaft sowohl bei Juniper als auch bei Rosie herkam. Es hatte ihn viel Überredungskunst, die Aussicht darauf, Florence pflegen zu dürfen und einen Test seiner Fäuste gekostet, um Jack davon zu überzeugen, dass seine Töchter bei ihm in guten Händen waren. Doch es hatte sich gelohnt. Seit der Entlassung war nichts Neues mehr passiert. Liam wusste noch immer nicht, was Niall und Zayn für Aussagen bei Cathcart gemacht hatten, weil der Polizist ihnen verboten hatte, darüber zu reden. Doch solange keiner mehr den Kopf hinhalten musste, war ihm das momentan egal.

Das einzige Sorgenkind in der Runde war nun Harry, dessen Gesundheitszustand sich zwar stetig, aber nur sehr langsam verbesserte.

Dass der größte Schock ihnen noch bevor stand, sollte Liam zu dem Zeitpunkt, als Juniper die Suppenteller aus dem Schrank holte, noch nicht ahnen ...


„Und dann hat Dave gesagt, dass es ihm scheißegal wäre, was Dad denkt und ...", schniefte Rosie beim Essen vor sich hin, als Junipers Handy zu klingeln anfing.

„Kannst du das nicht ausmachen?", quengelte ihre Schwester sie an, als sie danach griff und es beim Anblick des Namens wortlos an Liam weiterreichte.

Ian Cathcart.

„Hallo, hier ist Liam", meldete Liam sich und Rosie verstummte augenblick. Cathcart hatte nach der letzten Vernehmung gesagt, er würde sich erst melden, wenn es neue Erkenntnisse gab.

„Hallo Mister Payne, Ian Cathcart hier", sprach der Polizist. „Ist Miss Rackham zu sprechen?"
Liam machte Juniper ein Zeichen, dass er mit ihr sprechen wollte, doch sie schüttelte vehement den Kopf. Deshalb antwortete er: „Ja, aber sie isst gerade. Gibt es Neuigkeiten?"

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