- Die ‚Palladio'

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Die ‚Palladio’

Morgens erinnerte nichts mehr an den Regen oder die Frösche in der Nacht. Wir verließen den Zeltplatz, noch bevor jemand anderes aufgewacht war. In der Innenstadt saßen wir lange in einem Café und tranken zu viele Espressi. Dann schlenderten wir durch die Altstadt, bis wir den Hafen erreichten.

Von einem Platz im Schatten überschauten wir die ganze Bucht und schlossen, Rücken an Rücken auf einer breiten Kaimauer sitzend, die Augen, zum Knattern der Mofas und Roller. Wir sogen die frische Morgenluft des Meeres ein und das Geschrei der Möwen und das Geschimpfe von Müttern mit ihren schreienden Kindern.

Unsere Fähre, die Palladio, legte an, und die Autos und Lastwagen krochen aus ihrem Bauch. Schweigend schauten wir zu, rauchten.

Sobald es uns erlaubt war, gingen wir an Bord. Wir wankten über die bebende Laderampe, während neben uns alte Kleinlaster vollbeladen über die Nähte der Stahlplatten bollerten.

Ohne uns abzusprechen, suchten wir den Weg auf das Achterdeck und lehnten uns an die Reling, gleich über der geöffneten Ladeklappe. Wir schwiegen die meiste Zeit, es war, als würden wir eine weitere Schwelle überschreiten, als läge eine nicht näher zu benennende Spannung über uns, die sich erst in dem Moment lösen würde, wenn die Taue von den Pollern im Hafen eingeholt waren und das Schiff abgelegt hätte.

Langsam füllte sich das Deck, immer mehr Fahrzeuge rumpelten über die verbeulte Metallplatte in den Laderaum der Palladio. Abgasschwaden nebelten die Menschen auf dem Deck ein, und die Hitze der Motoren ließen die Cafés an der Promenade wie eine Fata Morgana aus Stein und Stahl flimmern.

Die meisten Passagiere an Bord waren albanische LKW-Fahrer und Händler, die zwischen ihrem Heimatland und Italien hin- und herpendelten. Neben einigen Familien gab es ein paar zwielichtige Gestalten, die sich offenbar alle kannten, aber so taten, als hätten sie nichts miteinander zu tun. Auch dort wurde wenig erzählt, geraucht wurde viel.

Als sich die Ladeklappe schloss, die Taue nacheinander ins Wasser klatschten und die Vibrationen der Schiffsschrauben das Deck erzittern ließen, während sich das Schiff vom Kai entfernte, entspannten sich die Körperhaltungen der Menschen. Und als das Nebelhorn der Palladio ertönte, während es auf die Hafenausfahrt zusteuerte, war es wie ein gemeinsames Aufatmen seiner Passagiere.

Das Festland entfernte sich von uns. Eine krächzende Lautsprecherdurchsage teilte uns mit, jeder müsse sich nun zur Zollstation begeben. Manche beeilten sich. Jeder außer uns wusste, wo sie zu finden war. Wir folgten den Leuten und kamen uns vor wie Beobachter.

Ein Pulk Menschen stürzte an den Schalter im Inneren der Fähre. Da Carlo bisher aufgrund seines Sprachschatzes jene Angelegenheiten in Italien geregelt hatte, war es nun an mir, etwas für unsere Reise zu tun.

Wie jeder andere in dem dichten Pulk drängte ich mit Ellenbogen und Schulter in schmale Menschenschneisen, die sich hin und wieder unverhofft auftaten. Meine blauen Flecken im Rippenbereich zählte ich bald nicht mehr. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich vor dem Zollbeamten stand, der hinter einem weißen Tisch saß, bewacht von zwei Kollegen. Vor ihm stand eine graue geöffnete Stahlschatulle, die ihm als Kasse diente. Verknitterte unsortierte Lirascheine schrumpelten sich über den Rand, als wollten sie sich davonstehlen. Ein abgenutztes, von zahllosen Schnitten mit Küchenmessern eingekerbtes Holzbrett diente als Ablage für die Geldnoten. Ich musste mich an dem Tisch festhalten, damit ich von der Menge nicht weggedrängt wurde. So fühlte sich die erste Reihe in einem Rockkonzert an.

Der Zöllner fragte nach unseren Tickets und den Pässen. Beides hatte ich wohlweislich eingesteckt und zeigte mit dem Daumen hinter mich über die drückende Menge zu Carlo, der neben einem leeren Feuerlöscherhaken stand. Der Zöllner reckte den Hals, nickte und schlug dann meinen Pass auf, schaute hinein, schaute mich erstaunt an, schaute wieder hinein und mich an.

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