Kapitel 24

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Rony's Sicht

Ich schüttelte den Kopf. Ich würde mich bestimmt nicht entschuldigen. Dafür war mir mein Stolz zu groß.
Ich lief entschieden weiter und beachtete James und Jane einfach nicht, die mir folgten. Auch als ich in der Zentrale ankam, setzte ich mich einfach irgendwo hin ohne auch nur irgendjemanden zu beachten.
"Ich finde es ist am fairsten, wenn Andy die Abstimmung leitet.", sagte ich an niemand bestimmten gerichtet und eigentlich wollte ich noch eine Erklärung hinzufügen, doch ich ließ es bleiben. Die Erklärung könnten sie sich selbst denken. Allgemeine Zustimmung füllte den Raum.
"Okay!", setzte Andy an, brach aber dann ab, weil er Husten musste. Ich konnte nicht anders, als ihn mitfühlend anzuschauen. Dieser Wurm zeigte wirklich ziemlich schnell Wirkung.
"Fangen wir an", sagte Andy schließlich heißer. Ich schloss meine Augen und kaute auf meiner Unterlippe herum.

"Jane!"
Nach kurzer Zeit hörte ich ein leises Lachen von Andy, welches eigentlich nur wieder in Husterei ausartete. Trotzdem konnte ich mir denken, dass er lachte, weil Theo sich gestreckt hatte.

"Rony!"
Plötzlich schmeckte ich Blut. Verdammt!  Ich hatte mir vor Aufregung die ganze Lippe aufgebissen. Ich schluckte das Blut runter und versuchte mich darauf zu konzentrieren, ungefähr die Anzahl der Stimmen herauszuhören. Auch wenn ich eigentlich nichts anderes erwarten sollte, erschütterte mich, was ich hörte. Natürlich wurde ich wieder am meisten gewählt. Und ich war ernsthaft so dumm und naiv, die Hoffnung zu haben, nicht zur nächsten Prüfung gehen zu müssen.

"Toby!"
Unbemerkt spannte ich meine Musekln an. Und als ich es merkte, konnte ich den Grund nicht leugnen. Ich mochte Toby und ich wollte nicht, dass er stirbt. Auch wenn mein Kopf mir einredete, dass das alles Einbildung sei, mein Herz sagte etwas anderes. Und als es dann so klang, als würden viele für ihn stimmen, sammelte sich ein Tränenkloß in meinem Hals. Ich versuchte ihn herunter zu schlucken, jedoch vergeblich.

"Theo!"
Erstaunlicherweise hörte es sich so an, als würden ziemlich viele für Theo stimmen. Längst nicht so viele, wie für mich, aber dennoch eine bedeutend hohe Anzahl. Und ich war mir so gut wie hundert Prozent sicher, dass Jane darunter war. Ich meine, Jane hasste Andy. Verständlich. Er musste sie ja auch immer provozieren. Und Theo war der beste Freund von Andy. Mich würde es mehr wundern, wenn Jane nicht für ihn stimmt als dass sie für ihn stimmt. Und trotzdem waren es gefühlt weniger Stimmen als bei Toby, leider.

"Alice"
Als aus zwei verschiedenen Richtungen, vermutlich von James und Jane, ein Schnauben zu hören war, musste ich fast lachen. Aber auch nur fast.

"James"
Ich hielt die Luft an. Nicht wegen James, sondern deswegen, weil er der letzte war und gleich gesagt werden würde, wer am meisten Stimmen hatte, obwohl mir das eigentlich schon ziemlich klar war.

"Okay, ohne um den heißen Brei zu reden: am meisten Stimmen haben Rony und Toby.", verkündete Andy.
Und dann kam es mir vor als wäre ich in einer Zeitschleife gefangen.
Wie gestern konnte ich es, obwohl ich es bereits vorher wusste, nicht ertragen zu hören, dass ich zur nächsten Prüfung gehen musste.
Wie gestern ging dann alles auf einmal ganz schnell.
Und wie gestern fand ich mich plötzlich in dem kleinen Nebenraum der Zentrale wieder.

Ich lehnte meinen Kopf an die Wand hinter mir und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
Was zur Hölle machte ich blos falsch? Wieso mochte mich niemand? War ich wirklich so schlimm?
Fragen, die unbeantwortet blieben.
Und schließlich schlief ich ein.

-

Schreiend riss ich meine Augen auf und schreckte hoch. Als ich merkte, dass alles nur ein Traum war, verstummte ich schlagartig. Mein Atem ging unregelmäßig und ich zitterte am ganzen Körper. Ich sackte zusammen und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

"Hey", hörte ich Tobys Stimme. Ich sah auf. Besorgte Augen schauten in meine "Was ist los?", fragte er. "Ich...", schluchzte ich, "hab einfach nur schlecht geschlafen. Alles gut." Er setzte sich bequemer hin, "Nichts ist gut!", sagte er trocken. Ich nickte, "Nichts ist gut!"
Schweigen.
"Worum ging es denn?"
"Bei was?"
"Bei deinem Traum!"
Ich schniefte, achso! "Er stand vor mir, hielt mir ein Messer an die Kehle."
"Wer?" Ich schauderte.
"Der Tod! Er... kam um mich zu holen. Ich lag inmitten von Innereien und Blut. Und er, lief auf mich zu und hielt mir das Messer an die Kehle. Ich... Ich wollte schreien! Ich wollte mich wehren! Aber konnte es nicht! Es war so schlimm für mich, nichts tun zu können! Du weißt, gleich passiert das, wovor du dich am meisten fürchtest, aber kannst rein gar nichts tun. Das ist ein schreckliches Gefühl!", ich wischte mir die Tränen weg und schaute ihn an.
"Komm her!", sagte er nur und breitete seine Arme aus. Dankbar ließ ich mich hineinfallen. "Schlaf noch ein bisschen!" Ich nickte.
Und so lagen wir da, an der Wand angelehnt und schliefen gemeinsam ein.

-

Als ich meine Augen öffnete, verspürte ich einen ungeheuren Schmerz in meinem Nacken. Ich sollte wirklich nie wieder in dieser Position einschlafen.
Ich sah Toby und auf einmal waren alle Schmerzen vergessen.
"Guten Morgen!", sagte ich und lächelte.
Er hob den Kopf und sah mich mit verschlafenen Augen an. Er lächelte, "Guten Morgen!"
Einen Moment lang sahen wir uns nur an und lächelten. Und für einen Augenblick schaffte ich es, alle Sorgen und Probleme aus meinen Gedanken zu verbannen.
Plötzlich tropfte etwas dunkelrotes auf seine Stirn. Blut.
Er wischte es sich verwirrt weg und wir schauten nach oben. Die neue Prüfung glänzte in blutrot an der Wand.
Wir standen auf und lasen sie uns durch.

8. Prüfung

Auf der gegenüberliegenden Wand sind zwei Kapseln, in denen jeweils eine Bombe mit zwei Kabeln, einem roten und einem blauen, platziert ist. Ihr müsst beide in jeweils eine Kaspel und eines der beiden Kabel mit der dafür bereitliegenden Zange durchtrennen. Bei einem von beiden Kabeln sterbt ihr bei dem anderen nicht.

Ich atmete tief durch und schaute zu Toby. Die Art, wie man getötet werden würde, wurde nicht erwähnt. Im Kopf malte ich mir bereits alles möglich aus.
"Bringen wir es hinter uns!", sagte Toby und ich nickte.
Als wir zu den Kapseln gingen, versuchte ich mich damit abzufinden, womöglich gleich zu sterben. Und auch wenn ich alles versuchte, ich liebte das Leben. Und ich wollte es nicht einfach so aufgeben. Ich war nicht bereit zu sterben und wäre am liebsten weggerannt.

Ich ging zu der rechten Kapsel und Toby zu der linken. Zitternd machte ich die Tür auf und ging hinein. Erschrocken zuckte ich zusammen, als hinter mir die Tür ins Schloss fiel.
Tief durchatmen! erinnerte ich mich, da ich bemerkt hatte, dass mein Atem nur noch ganz flach ging.
Ich nahm die Zange in die Hand und drehte sie ein paar mal bevor ich sie an das blaue Kabel ansetzte. Oder doch das rote? Ich wollte schon zum Roten ansetzen, stoppte aber mitten in meiner Bewegung. Schmerzlich wurde mir bewusst, dass diese Scheiße hier über Leben und tot entscheidet. 50:50-Chance! Hätte schlimmer kommen können! Und trotzdem schien es mir unglaublich unwahrscheinlich das hier zu überleben.
Als sich die Tränen in meinen Augen sammelten, schaute ich zu Toby herüber. Im selben Moment schaute er zu mir. Er lächelte mich aufmunternd an. Ich lächelte zurück und schnitt irgendeins der Kabel durch ohne überhaupt hinzusehen. Und ich hatte nicht einmal eine Ahnung, welches es war.

Spiel des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt