12:00 - Zwölf Uhr

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Der Himmelblaue Stoff ihres Ballkleides knistert wie rotglühendes Feuer. Ihre rabenschwarzen Locken kringeln sich um ihre Schultern, die Haarsträhnen tanzen im Wind. Ihr Körper bewegt sich ästhetisch unter dem fahlen Mondlicht, ihre blasse Haut schimmert bläulich, taucht ihre Gesichtszüge in einen dunklen Schatten. Unter ihrer weißen Ballmaske mit den silbernen Akzenten strahlen ihre Augen, schenken mir ein undefinierbares Funkeln. Auf ihren roten Lippen liegt ein verschmitztes Lächeln.

Mitten im Wald unter dem Mondschimmer, tanze ich mit einer fremden Frau, deren Namen ich nicht kenne. Ihre Lippen verließen seit Betreten des Waldes kein Wort, wir führen stumme Dialoge, bilden Sätzen rein mit unseren Bewegungen. Mit ihren kreisenden Hüften, den eleganten Tanzbewegungen, zieht sie mich in ihren Bann, führt mich, spielt mit mir. Ich bin die hilflose Marionette und sie meine Führerin. Doch die Seile um meine Handgelenke zerreißen, als in naher Ferne das Uhrleuten unserer Dorfkirche Mitternacht ankündigt, unseren lautlosen Tanz somit unterbricht.

Ihre zarte Hand entzieht sich meiner. Sie schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. Ein eindeutiges Zeichen für mich: Sie wird gehen, in dem Nichts verschwinden aus dem sie gekommen war.

„Warte!", keuche ich außer Atem, ehe sie sich wegdrehen kann. „Verrate mir deinen Namen, bitte." Hoffnungsvoll strecke ich die Hand nach ihrer aus, doch sie weicht zurück.

„Nein", raunt sie mit einem verschwörerischen Lächeln. Ihre raue Stimme erfüllt die ganze Nacht, honigwarm und tiefer als ich ihr zugetraut hätte. Dieser wundervolle Stimmklang lässt meinen Körper einen angenehmen Schauer durchfahren. Ich kann ihr die Ablehnung noch nicht mal verübeln.

„Weshalb?" Reiz lässt meine Finger erneut nach ihr zucken, diesmal beobachtete sie mich stumm und lässt zu, wie meine Hand sich auf ihre warme Wange legt.

„Wenn du mich nicht kennst, werde ich niemals in Vergessenheit geraten", haucht sie mir zu, ihr angenehm warmer Atem kribbelt in meinem Gesicht. Eindringlich sehe ich in ihre dunklen Augen, versinke in diesem Meer aus Emotionen.

„Ich werde dich nicht vergessen, selbst wenn ich dich kennenlerne", verspreche ich ihr, wie in einer Trance. Es ist keine Lüge, die meine Lippen verließ. Ich kenne die Frau kein bisschen, doch der schnelle Herzschlag und der rasende Puls bezeugen, dass ich bereits nach diesen wenigen Minuten verrückt nach ihr bin.

Da sie nichts sagt, will ich meine Worte nochmals wiederholen, sie anders formulieren. Ich würde ihr dieses Versprechen hunderte von Malen geben, dasselbe endlos wiederholen, bis sie mir glaubt.

„Ich –" Sie schneidet mir das Wort ab, indem sie ihren behandschuhten Finger auf meine Lippen legt.

„Du willst mich kennenlernen?" Ein verschmitztes Grinsen breitet sich auf ihren Lippen, ihre Zähne blitzen auf. „Dann finde mich." Mit diesen Worten krallen sich ihre Finger in den blauen Stoff. Schwungvoll dreht sie sich um und wird von ihren Füssen über den Waldboden getragen. In hohen Schuhen und dem langen Kleid läuft sie solange, bis ihre atemberaubende Gestalt von der Nachtschwärze verschluckt wird. Alles was von dieser mysteriösen Frau zurückbleibt sind ihre Fußspuren in der trockenen Erde und der silberne Tanzschuh, den sie auf ihrer Flucht verlor.



Autorkommentar:

Mir ist bewusst, wie viele angefangene Geschichten ich auf Wattpad bereits veröffentlicht habe. Ich wollte auch keinen neuen mehr hochladen, da Mitternachtstanz jedoch bereits beendet ist, habe ich mich letztlich zum Veröffentlichen entschlossen.

Ansonsten hoffe ich, der Prolog hat euch gefallen. :')

GLG~


Mitternachtstanz [Cinderella Story]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt