11:00 - Elf Uhr

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In einer eleganten Pirouette drehe ich mich schwungvoll um meine eigene Achse. Die Rüschen an meinem Kleid schlängeln sich um meine Kniekehlen. Die fuchsroten Krauslocken wirbeln um meine Schultern und die Absätze meiner braunen Knöchelstiefel klackern auf dem Holzboden. Meine Finger fassen in den rotschwarz karierten Rock, ehe ich eine erneute Drehung mache.

Ein Lächeln breitet sich auf meinen lippenstiftroten Lippen. Ich tanze als wäre ich frei, als würde ich fliegen, wie eine weiße Taube. Dieser Augenblick ist reines Glück, ein einziger Traum.

Der Schlüssel klickt im Schloss, die Haustüren öffnen sich und der Traum stirbt.

Abrupt bremse ich ab, kicke die hohen Schuhe ab meinen Füssen um nach diesen zu greifen. Auf leisen Sohlen versuche ich schnellstmöglich zu verschwinden, doch da tritt meine Stiefschwester vor mich. Als würde der hochnäsige Blick nicht genügen, lässt sie ein abschätzendes Schnauben verlauten.

„Das ist ja lächerlich", angewidert deutet sie auf mein Gesicht, meine roten Lippen, die getuschten Wimpern und den Liedschatten. „Du kannst das nicht tragen, sieh es ein. Das ist doch scheußlich." Eine rosarote Kaugummiblase bläht sich vor ihrem Gesicht auf. Mit der Zunge zerplatzt sie diese, lässt die rosarote Substanz auf ihr Gesicht spritzen. Grinsend zieht sie das klebrige Zeug zurück in ihren Mund, ehe sie auf dem Absatz kehrtmacht und erhobenen Hauptes davonstolziert.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich ihr nachsehe. Ich mag meine Stiefschwester nicht besonders, deswegen verabscheue ich das Eingeständnis, dass sie recht behält.

Zitternde Finger klammern sich um meinen Unterarm. Grob werde ich herumgerissen und im nächsten Moment wird meine Wange von stechendem Schmerz durchzuckt. Reflexartig kneife ich die Augen zusammen, lasse diese Ohrfeige willenlos über mich ergehen. Vorsichtig blinzle ich, sehe meiner Stiefmutter unsicher ins Gesicht. Ihre Miene ist eisern, ihre Augen voller Abscheu.

„Was hat mir dein Vater nur für ein Balg hinterlassen", zischt sie herablassend. „Kannst du dich nicht normal anziehen?" Ein Zittern durchfährt meinen Körper, mein Blut pulsiert vor sich anstauendem Zorn. Krampfhaft ballen sich meine Hände zu Fäusten. Durch das tragische Todesunglück meines Vaters hat sie all das Hab und Gut erhalten, badet in Geld. Dennoch wagt sie es, so über ihn und mich zu sprechen.

„Meinen Vater lässt du aus dem Spiel! Außerdem darf ich mich anziehen, wie ich will", erwidere ich trotzig, verschränke demonstrativ die Arme. Erneut holt meine Stiefmutter aus. Ein peitschender Laut erklingt und in der nächsten Sekunde breitet sich auf meiner Wange ein brennendes Kribbeln aus.

„Jungs tragen keine Kleider", kreischt sie mir hysterisch ins Gesicht, wie eine Wahnsinnige. Ihre Fingernägel krallen sich in den roten Haarschopf und reißen mir gewaltsam die Perücke ab dem Kopf. Unwillkürlich stolpere ich zurück und verliere beinahe das Gleichgewicht.

Ich wehre mich nicht, als sie anklagend den Finger auf mich richtet und eine Drohung an mich richtet: „Nie wieder werde ich dich so sehen, andernfalls werde ich dich auf die Straße setzen, hast du verstanden?" Ich fahre zusammen, nicke daraufhin wie in Trance. Kalte Furcht kriecht meinen Rücken hinauf, lässt all meine sehnlichen Wünsche verblassen.

Ich bin gefangen in dem Käfig, der meine Stiefmutter mir schuf.

          *           

Schwarze Schlieren zieren meine Wangen. Tränen, gefärbt von Wimperntusche, bahnen sich den Weg über meine Wangen. Mein Herz zieht sich zusammen, wird zu einem schmerzlichen Pochen in meiner Brust.

„Das bin nicht ich", flüstere ich meinem eigenen Spiegelbild entgegen, belüge mich, indem ich wiederhole, was sie alle sagen. Alle die mich als Frau sahen und nicht akzeptieren wollten, was sie höchstwahrscheinlich auch niemals tun.

Energisch fahre ich mit dem Handrücken über meine Lippen, verschmiere die rote Farbe über meine rechte Wange. Nun widert mich mein Spiegelbild mehr als ohnehin schon an. Ich habe gelernt, dass ich wertlos bin, wenn ich mich der Gesellschaft nicht anpasse. Ich bin nicht besonders, lediglich anders. Wer aus der Masse heraussticht wird als Abschaum abgestempelt.

Betrübt senke ich den Kopf, weiche dem Blick meines hässlichen Ebenbildes aus.

Tief atme ich durch, lasse die Luft lautstark meinem Mund entweichen, doch der Schmerz verweilt.

           *             


Hallo~ Da das hier eine Kurzgeschichte ist, werden sich die Kapitel stets um diese Länge halten. Ich hoffe, dass ich trotz den wenigen Worten Gefühle vermitteln kann. 

GLG~


Mitternachtstanz [Cinderella Story]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt