Konfrontation mit der Wahrheit

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Die Häuser ziehen immer schneller an uns vorbei und werden nach und nach weniger. Mein Bauch brennt immer noch vor Schmerz, doch ich lasse mir nichts anmerken. Wie besessen starre ich aus dem Fenster. Ein Gefühl des Verrats und der Auslieferung verdreht mir den Magen. Auch ohne zu fragen, weiss ich ganz genau wo es hingeht. Und das macht es nurnoch schlimmer. Niemand wagt etwas zu sagen, sodass nur das leise Rauschen des Fahrtwinds und der sich immer schneller drehenden Reifen auf dem schwarzgrauen Asphalt zu hören sind. Nicht das mir zum Reden zumute wäre. Trotzdem kann ich immer noch nicht glauben, dass sie wirklich auf Denise geschossen hätten, wäre ich nicht dazwischen gesprungen.

Das werde ich ihm garantiert nicht so schnell verzeihen.

Allmählich wird der Wagen langsamer, bis er kurz vor einem riesigen Stahltor hält und dann, nachdem es sich geöffnet hat, die Auffahrt bis zum Haupthaus hinauf fährt und vor der riesigen, braunen, überaus protzigen Eingangstür anhält. John wird von dem Schwarzhaarigen die Tür aufgehalten, während der Glatzkopf meine Tür öffnet. Ich steige aus und unterdrücke das Gefühl, welches mich anfleht und bettelt, alles in meiner Macht stehende zu tun um so schnell wie möglich wieder von hier wegzukommen, weil ich weiss, dass es mir eh nichts bringen würde. Ich kenne dieses Anwesen. Von hier zu verschwinden ist zu Fuß nahezu unmöglich, doch noch unwahrscheinlicher ist es, dass sie mich überhaupt erst wegrennen lassen würden. Eher würden sie mich erschießen, oder alle Leute auf diesem Anwesen auf mich hetzen. Vielleicht lässt der glatzköpfige Mann aus eben diesem Grund seine Waffe stecken und macht eine Kopfbewegung in Richtung Tür. Ich gehe voran und laufe auf die Tür mit dem goldenen Türklopfer in Form eines Löwenkopfes zu. John klopft dreimal, woraufhin uns kurz darauf die Tür geöffnet wird. Ein älterer Mann mit weißem Haar und Anzug empfängt uns freudig. "Erwin! Wie schön dich wiederzusehen! Komm doch rein!" Ein zaghaftes Lächeln bildet sich auf meinen Lippen, als ich erkenne, wer es ist.

Als wir alle eingetreten sind, umschließt der um einige Jahre gealterte James mit beiden zitternden Händen mein Gesicht und sieht lächelnd zu mir auf. "Wie groß du geworden bist. Wie lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben ?" "13 Jahre", sagt John bitter. Er hat sich von uns abgewandt und starrt eines der Gemälde an. James sieht kurz erstaunt zu John, bevor er seinen Blick wieder mir zuwendet. "So lange schon ?", sein Lächeln scheint langsam zu zerbrechen und kleine Tränen bilden sich in seinen Augenwinkeln. Er klopft mir noch einmal auf die Schulter, bevor er sich von mir abwendet und sich unauffällig die Tränen wegwischt. "Eduard wartet schon. Ich bringe euch zu ihm." Langsam läuft James den riesigen Korridor entlang, wobei jeder seiner Schritte durch das gesamte Haus zu hallen scheint. Wir folgen ihm. Mir fällt sofort auf, dass er bereits Schwierigkeiten haben muss zu laufen, da er nur sehr stark nach vorn gebeugt geht und ziemlich kleine Schritte macht. Ich bin zwar froh, dass ich wenigstens eine Person hier habe, der ich vertrauen kann, dennoch widerstrebt es mir, dass er in so einem hohen Alter immer noch als Butler arbeiten muss. James führt uns 2 Treppen nach oben, in den Ostflügel des Anwesens. Ich weiss noch, dass ich hier nie hin durfte als ich kleiner war. Wir laufen an etlichen Porträts und anderen Gemälden vorbei, bis wir es endlich zu dem Zimmer geschafft haben. Zu meinem Unwohlsein ist es ausgerechnet das Büro meines Vaters. Schlimme Erinnerungen drohen wieder hochzukommen, als James bereits die schwere Tür aus Eichenholz öffnet. Ich trete ein. Mein Blick fällt auf das Bild an der Wand, hinter dem Schreibtisch. Mein Vater starrt mich durch seine kühlen, emotionslosen Augen an. Seine Arme verschränkt, er selbst steht in einer anmutigen Pose. Das Bild ist genau das Selbe wie vor 13 Jahren. Ich hasse es. Dennoch scheint etwas anders zu sein. Das Bild scheint grauer als sonst. Mein Blick schweift nach unten. Der schwarze Ledersessel ist den großen Fenstern zu beiden Seiten des Bildes zugewandt. "Erwin ist hier.", sagt James mit müder Stimme. Der Sessel dreht sich um und Eduard kommt zum Vorschein. Auch er scheint sich kaum verändert zu haben, bis auf ein paar Falten und graue Haare. Ich verkrampfe mich. "Erwin, lange nicht mehr gesehen." Unruhe macht sich in mir breit. "Nicht lang genug.", gebe ich kühl zurück. Er lacht kurz auf, doch man merkt, dass es kein echtes, aufrichtiges Lachen ist. Es wirkt angespannt. Er macht eine kurze Handbewegung und signalisiert damit James und den Anderen, dass sie uns allein lassen sollen. Mit einem 'Klack' schließt sich die Tür auch schon wieder. "Setze dich doch." Ich zögere kurz und entscheide mich dann doch, mich auf dem Stuhl gegenüber dem meines Vaters zu setzen. "Was willst du von mir, Eduard ?" Eduard lacht kurz leise in sich hinein, bevor er sich zurücklehnt. "Wir kommen wohl gleich zur Sache, was ? Wie wäre es mit ein bisschen Small-talk ? Ich will mich nur ein bisschen mit dir unterhalten, du musst nicht so verkrampft sein." Mein Kiefer spannt sich an. "Ich glaube nicht, dass du mich nur, weil du mit mir reden willst, mit einer Waffe bedrohen lässt und dabei den Tod einer Schülerin in Kauf genommen hättest." Eduard sieht mich leicht verdutzt an. "Den Tod einer Schülerin ?" "Sie hat gesehen wie ich bedroht wurde. Hätte ich John und seine Männer nicht aufgehalten, hätten sie sie erschossen!" "Ihr Auftrag war es dich hierher zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn es nicht anders möglich war, dann ist es halt so. Die Hauptsache ist, dass du jetzt vor mir sitzt." Ich schlucke meine Wut herunter und versuche ruhig zu bleiben. "Worüber willst du mit mir reden ?", frage ich deshalb und lenke das Thema wieder in die richtige Richtung. Eduard atmet hörbar aus und lehnt sich nach vorn, seine Unterarme auf den Schreibtisch gestützt. "Ich muss mit dir über das Attentat reden." "Was für ein Attentat ?" "Du hast sicherlich schon von dem Bombenanschlag gehört. Es kam überall in den Nachrichten." Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. "Du meinst den Autobomben-Anschlag ?" "Genau." Ich habe ein schlechtes Gefühl. "Was ist damit ?" Seine Miene wird finster. "Es war einer unserer Männer, den es erwischt hat." Ich muss schwer Schlucken. "Wer ist es ?" Eduard schließt kurz seine Augen, atmet noch einmal tief ein und richtet seinen Blick wieder auf mich. "Dein Vater, Erwin." Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. "Du machst Scherze." Das kann nicht wahr sein. "Es tut mir Leid, Erwin." Sein Blick ist hart, sein Gesicht ist zu einer Grimasse verzogen.

Das kann nicht wahr sein.

Ich forme meine auf den Armlehnen ruhenden Hände zu Fäusten. So fest, dass meine Fingernägel sich in meine Handflächen bohren. "Wer war es ?", frage ich nach einem Moment der Stille, in dem mir das Blut in den Adern gefror. "Eine gegnerische Familie. Sie hatte es schon länger auf uns und vorallem auf deinen Vater abgesehen. Dein Vater hatte bereits vorausgesehen, dass sie etwas Größeres planten, doch wir konnten nichts gegen sie unternehmen, weil wir nichts genaueres wussten. Dein Vater hat daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, doch ist eines nachts ohne Personenschutz verschwunden. Am nächsten Tag, fand man ihn tot auf." Ich ziehe meine Augenbrauen voll Misstrauen zusammen. "Warum sollte mein Vater so etwas tun ?" Eduard reibt sich die Stirn. "Das wissen wir leider auch nicht. Das ist für dein Vater ein ziemlich untypisches Verhalten. Was diesen Punkt angeht, ermitteln wir momentan noch daran." Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich habe es zwar gehört, doch es kommt irgendwie nicht an. Ich glaube es nicht. Ich kann es einfach nicht wahrhaben. "Woher wusstet ihr, dass er es war ?" Eduard öffnet eine Schublade des Schreibtisches und zieht eine durchsichtige Plastiktüte hervor, welche von der Polizei für Beweismaterial verwendet wird und knallt sie auf den Tisch. Mit einem Nicken bedeutet er mir, dass ich es mir näher ansehen soll. Ich nehme sie in die Hand und sehe ein ziemlich mitgenommenes, silbernes Feuerzeug. Es hat mehrere Dellen, braune bis schwarze Stellen und ein Wappen. Unser Familienwappen.

Der kleine Junge wurde von dem bedrohlich wirkenden Mann zu einem Zimmer gezerrt und hinein geschubst. Der Vater des Jungen saß zurückgelehnt in seinem Stuhl und zündete sich gerade eine Zigarre an. Das silberne Feuerzeug blitzte silbern auf und schnappte wieder zu. Dann ließ der blondhaarige Mann es wieder in seine innere Westentasche gleiten. Er zog den Rauch tief ein, bevor er ihn wieder aus seinem Mund bließ und endlich, nach nervenzerreißendem Warten etwas sagte: "Was hat er diesmal angestellt ?"

"Du weisst genauso gut wie ich, das er nirgendwo hin ohne sein Feuerzeug gegangen ist. Es war ein Familienerbstück. Es soll dir gehören Erwin." Ich starre es noch eine Weile an, bevor ich wieder fähig bin, weiter zu fragen. "Ist das nicht Beweismaterial ? Was ist mit den Polizeilichen Ermittlungen ?" "Lass das mal meine Sorge sein." "Warum wurde dann in den Nachrichten behauptet, dass die Identität des Opfers unbekannt ist, wenn ihr es von Anfang an wusstet ?" Eduard lehnt sich wieder zurück. "Die Öffentlichkeit sollte da nicht mit reingezogen werden. Wir versuchen es so lange wie möglich geheim zu halten, aber du weisst ja, dass sich so etwas wie ein Lauffeuer verbreitet, vorallem bei anderen Familien." Wieder starre ich auf das Feuerzeug. Schweigend, wie hypnotisiert. "Erwin, das ist nicht der einzige Grund, wieso ich dich hergebeten habe." Hergebeten. Das ich nicht lache. "Du weißt was das bedeutet, oder ?" Ich schweige weiterhin. Ich weiss sehr gut was das bedeutet.

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Was meint Eduard ? Wie wird es nun weitergehen ? Was erwartet Erwin jetzt wohl ?

Vielen, vielen Dank für's lesen und euren Support! >///<

Ich wünsche euch noch viel Spaß beim Lesen von anderen Büchern auf WP!

Bis zum nächsten Mal! \(*v*)/

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