Immer und immer wieder, wie ein endloser Film, spielt sich die Erinnerung vor meinem inneren Auge ab. Ich weiss nicht wie lange ich schon so in meinem Sessel sitze. Ich verliere jegliches Gefühl von Zeit. Doch wie aus dem Nichts, verspüre ich den Drang mich zu bewegen. Zu dem Ort zu gehen, denn ich über alles in der Welt hasse. Der Ort, welcher mich bis heute in meinen Träumen verfolgt. Der Ort, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat.
Ich erhebe mich von dem Sessel, laufe durch das Zimmer auf die Tür zu und öffne sie leise. Die Lichter wurden bereits ausgeschaltet und es herrscht Totenstille. Ich schließe meine Hand fester um das Feuerzeug und laufe los. Nur das schwache, durch die Fenster einfallende Licht weist mir den Weg durch die düsteren Gänge des Gebäudes. Ich laufe die Treppen runter in die Eingangshalle. Hier befindet sich kein Läufer, sodass man nun die Schritte unheimlich von den Wänden widerhallen hört. Doch ich weiche nicht zurück. Ich kehre nicht um. Nur noch wenige Meter bin ich von meinem Ziel entfernt. Von meinem Schmerz. Von meinem Albtraum.
Ich bleibe vor einer unscheinbaren Tür stehen. Meine Hände beginnen zu zittern. Mein Körper versucht sich vehement dagegen zu wehren. Ich hatte mir geschworen nie wieder einen einzigen Fuß in dieses Zimmer zu setzen. Und doch stehe ich hier. Ich balle meine Hände zu Fäusten und bewege langsam meine rechte Hand auf die Türklinke zu. Es dauert, bis meine Hand schließlich die Türklinke umschließt. Mein Herz schlägt schneller und schneller gegen meine Brust. Ich drücke die Türklinke und öffne die Tür.
Es war ein schöner, sonniger Tag. Der kleine Junge saß gelangweilt und betrübt am Fenster. Wie gerne er jetzt rausgehen würde um Fußball zu spielen. Doch er durfte nicht. Sein Vater hatte es ihm verboten. Er war seit Tagen nicht mehr draußen. Seine Freunde durfte er auch nicht sehen. Er fühlte sich einsam. Er konnte einfach nicht verstehen, wieso sein Vater ihn hier einsperren wollte. Wenn er seinen Vater danach fragte, wies er ihn nur ab. Sagte, er sei noch zu klein um das verstehen zu können. Das machte den Jungen unglaublich wütend. Er hasste seinen Vater dafür. Eine sanfte Berührung an seinem Kopf, ließ den Kleinen aufschrecken. Die wunderschöne Frau mit dem langen braunen Haar lächelte. “Hey mein Schatz.” Der Junge drehte sich wieder zum Fenster. “Wie geht es dir ?” Er antwortete nicht. “Dir ist ziemlich langweilig hier drin, hm ?” Der Junge senkte seinen Blick zu Boden und meldete sich nach einer langen Pause zu Wort. “Wann kann ich wieder raus gehen ?” Seine Mutter seufzte. “Ich weiss es nicht, Erwin. Aber glaub mir, bald kannst du wieder mit den Anderen Spielen gehen und…” Der Junge wurde noch betrübter. “Ja, ich weiss. BALD kann ich wieder rausgehen. BALD kann ich wieder mit den Anderen spielen. BALD kann ich wieder in die Schule.” Seine Mutter lächelte traurig. “Tut mir Leid, Erwin. Aber ich weiss es wirklich nicht.” Der Junge drehte sich um und sah die Frau an. “Warum ? Warum darf ich nicht raus ? Warum sagt mir Papa immer nur, dass ich “noch zu klein dafür bin” oder “dass ich das noch nicht verstehen würde”, wenn ich nach dem Grund frage ? Das ist nicht fair!” “Erwin… Es...es ist momentan zu gefährlich für dich da draußen. Dein Vater will dich doch nur beschützen.” Der Junge zog verärgert seine Augenbrauen zusammen. “Zu gefährlich ? Ich bin kein Baby mehr! Ihr könnt mich nicht für immer hier einsperren, nur weil es euch so passt!” “Erwin, du verstehst das falsch…”
'BANG BANG!’ Beide wandten ihren Blick in die Richtung aus der die Schüsse kamen. Obwohl die Geräusche von der Tür gedämpft wurden, konnte man sie deutlich hören. Immer mehr Schüsse wurden abgefeuert. “Schnell, versteck dich Erwin!”, rief seine Mutter panisch. “Was... was ist los ?”, fragte der kleine Junge verwirrt und ängstlich, unfähig sich zu bewegen. “Versteck dich einfach!” Der Junge hatte seine Mutter noch nie so gesehen. Es machte ihm Angst. Auf den Befehl seiner Mutter hin, kroch er unter das Sofa. Sie jedoch schnappte sich eine Vase und wartete vor einer der Türen, die zu diesem Zimmer führten. Schreie waren zu hören, Schritte, das Feuern von Pistolen, Hülsen die auf den Boden fielen. Das Herz des Kleinen schien ihm aus der Brust zu springen. Die Tür wurde aufgerissen. Ein Fremder Mann trat ein und fuchtelte mit einer Pistole rum. Mit einem lauten 'KRACH’ zersprang die Vase in tausend Stücke. Der Mann ging zu Boden, Blut befleckte den weißen Marmor. “Guck nicht hin Erwin und bleib wo du bist!”, rief seine Mutter und hob die Pistole des Mannes vom Boden auf.Der kleine Junge bekam es mit der Angst zu tun und machte sich so klein er konnte. Ein weiterer Mann kam herein gestürmt. Als er die Frau sah richtet er sofort seine Waffe auf sie. Doch auch die Frau richtet die Waffe auf ihn. “Was wollen sie von uns ?!” Der Mann antwortet nicht. Seine Waffe war weiterhin auf sie gerichtet. “Lassen sie ihre Waffe fallen, sonst erschieße ich sie!”, warnte die Frau ihn, doch ihr eigener Körper verriet sie dem Feind. Sie war kreidebleich und ihre Hände zitterten. Ihr Stimme war brüchig. Sie würde den Mann nicht erschießen können.
'BANG’ Der leblose Körper sackte zu Boden. Der Junge blickte der Leiche direkt ins Gesicht. Blut breitete sich auf dem Boden aus. Der Kleine bekam Panik. Er rang um Luft. Er atmete immer schneller, tiefer, verzweifelter, doch es schien ihm, als würde er ersticken. “Ma…”, drang zuerst nur als erstickter Laut aus. Dann wurde es zu einem kreischenden Gebrüll. “MAMA!!!!”
‘BANG’ Ein weiterer Schuss. Der Fremde fiel zu Boden. Auch unter ihm bildete sich ein rotes Meer. Der Junge wurde an seinem Arm unter dem Sofa hervorgezogen. Er schrie immer noch. Es war ihm egal was sie mit ihm machen würden. Ihm war es egal was nun passiert. Sein Kopf war blank. Allein der Schmerz und das Leid kontrollierten ihn. Er schrie und weinte und riss sich los. Er rannte zu seiner Mutter und kniete sich neben ihr zu Boden. Seine Kleidung sog sich voll mit Blut, doch das war ihm egal. Er drückte sich an sie, hielt sich an ihr fest, versuchte sie wachzurütteln, doch sie blieb unverändert. Tot. Wieder zog ihn jemand an seinem Arm. Er blickte auf. Es war wieder dieser unheimliche Mann, der ihn und John einmal erwischt hatte wie sie sich in der Nähe des Büros seines Vaters herumtrieben. Er zerrte den Jungen weg, doch der Kleine wehrte sich heftig. “NNNEEEIIINNN!!! MAMA!!! MAMAAA!!!”, schrie sich der Junge die Seele aus dem Leib. Der Mann blieb jedoch unberührt und entfernte ihn langsam von der Leiche. “MAMAAAAA!!!!!” Die Tränen flossen dem Jungen in Strömen sein schmerzverzerrtes Gesicht hinunter. ”MA-” Seine Schreie versiegten kurz vor Schreck, als sich ein Mann mit schütterem Haar vor ihn schmiss und einen Schuss aus seiner Kanone abgab. Ein Fremder schrie vor Schmerz auf und schoss auf den Mann. Der Mann fiel zu Boden. Die rote Flüssigkeit floss sekundenschnell aus der Wunde in seiner Brust. Ein grauenhaftes Röcheln kam aus seinem Mund, zusammen mit noch mehr Blut. Seine Augen waren vor Schmerz geweitet, der ekelerregende Gestank von Kupfer lag in der Luft. Er windete sich schmerzerfüllt am Boden und zuckte mit seinen Gliedmaßen. Als er den Jungen sah, entspannte sich sein Gesichtsausdruck ein wenig und ein leichtes Lächeln zierte sein Gesicht, bis sein Röcheln verklang und keiner seiner Muskeln sich mehr regte. Dem kleinen Jungen blieb die Luft weg und der grauenhafte Anblick des vom Tode entstellten Mannes brannte sich in sein Hirn ein. “A-ARTHUR!!!”, kreischte der Junge verzweifelt. “NEIN! WIESO ?!” Seine Schreie wurden wieder lauter und nahmen ohrenbetäubende Ausmaße an. “STEH AUF ARTHUR! ICH FLEHE DICH AN!” Der Junge kämpfte gegen den unheimlichen Mann an, wehrte sich stärker und heftiger als vorher. Er drückte mit aller Macht gegen den Arm, doch es half nichts. Der unheimliche Mann drängte den Jungen langsam zur Tür. “NEIN! ICH WILL ZU ARTHUR UND MEINER MUTTER! LASS MICH GEHEN!” Der Mann blieb weiterhin unberührt und drängte den Jungen weiter zurück. “NNNEEEIIINNN!”
Schwer atmend komme ich zurück in die Gegenwart. Ich zittere am ganzen Leib. Meine Finger schmerzen. Zu fest hatte ich sie um das Feuerzeug geschlossen. Ich sehe mich um. Nichts in diesem Raum erinnert an die schlimmen Dinge, die hier einmal stattfanden. Dennoch steigt mir die Übelkeit hoch, wenn ich auch nur die neue Vase auf dem Beistelltisch sehe, das weiße Sofa, das einen neuen Bezug bekam oder den Boden, von dem das Blut gewischt wurde. Ich öffne mein Hand und sehe sie an. Das silberne Feuerzeug liegt in ihr. Ich lasse es aufschnappen und die kleine leuchtende Flamme erscheint wieder vor mir. Ihre Größe täuscht. Selbst ein kleiner Funken kann ein verheerendes Feuer verursachen und ganze Städte und Dörfer verschlingen.
Ein Geistesblitz aus den dunkelsten Tiefen meiner Gedanken ergreift plötzlich Kontrolle über meinen Körper. Ich will diesen Raum ausradieren. Ein für allemal vernichten und mit ihm alle Erinnerungen.
Ich will den Raum brennen sehen.
![](https://img.wattpad.com/cover/91307422-288-k159965.jpg)
DU LIEST GERADE
The Path Behind Us
Fiksi PenggemarErwin Smith wird an einem Gymnasium als Lehrer angenommen und kann endlich das machen, wovon er schon immer geträumt hatte. Alles scheint gut zu laufen, bis ihn schließlich seine dunkle Vergangenheit wieder einzuholen droht. Sein Vater wird ermordet...