Kapitel 8

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Mein Blick ist immer noch auf die kleine Flamme gerichtet. Sie ist ruhig und sendet tröstende Wärme aus. Trotz ihres Lichts wirkt der Raum unheimlich düster. Doch ihre Größe und ihr Aussehen täuscht. In wenigen Momenten wird sie beweisen, was sie anrichten kann. Wie stark sie ist. Langsam bewege ich die Flamme auf die grässlichen Vorhänge zu, die vor dem Fenster hängen, an dem ich an diesem schicksalhaften Tag saß.

Ihr werdet zuerst brennen.

Ein plötzlich aufkommender, kalter Luftzug raubt der Flamme das Leben. Ich erwache aus meiner Trance und blicke zur Tür.

“Tu es nicht.”

Ich lasse das Feuerzeug sinken. John lehnt lässig im Türrahmen, seine Arme vor seiner Brust verschränkt. Ich schweige und wende meinen Blick ab. “Denkst du, dass wenn du den Raum abfackelst, deine Mutter oder Arthur oder all die Anderen, die an diesem Tag gestorben sind, wiederkommen ?” Ich antworte nicht. Natürlich kommen sie nicht wieder. Das ist ja auch nicht mein Grund. Ich will ihn einfach nur vernichten.

“Das was an diesem Tag passiert ist, können wir nicht ändern. Egal wie sehr wir es uns vielleicht wünschen. Das Leben geht weiter. Du musst darüber hinwegkommen.”

Ich lache bitter auf. Wenn es doch nur so einfach wäre.

“Ich habe nicht gesagt, dass es einfach ist.”, antwortet er mir auf meinen unausgesprochenen Gedanken. Wieder bleibe ich still.

“Ich nehme an, dass Eduard dir erzählt hat was mit deinem Vater passiert ist, oder ?” Mein Blick ist weiterhin aus dem Fenster gerichtet. Der Nachthimmel ist immer noch wunderschön mit seinen vielen funkelnden Sternen.

“Da liegst du richtig…” “Und ? Wirst du den Platz deines Vaters einnehmen ?” “Niemals.” John beginnt zu lachen. “Das habe ich mir schon gedacht.” Es ist eine Weile lang still, bis John wieder anfängt zu reden.

“Weisst du, bevor die Mafia nur noch an schnellem Reichtum und Macht interessiert war, sorgten sie für Ruhe und Sicherheit in einer Zeit, in der Sizilien geprägt von Gesetzlosigkeit und Banditentum war. Obwohl sie die Bevölkerung ausbeuteten, indem sie einen Teil der Ernte als “Schutzgebühr” verlangten, wurden sie respektiert, weil sie sich für die sizilianischen Werte einsetzten. Selbst wenn es in der extremsten Weise war, erhielten sie ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Sie galten als Vermittler zwischen Staat und Volk, als Ratgeber, Richter und Beschützer. Das haben sie nicht nur mit Gewalt erreicht. Sie mussten Autoritär, schlau und ausgeglichen sein und vor allem mit Vorsicht vorgehen.”

Ich drehe mich um und sehe ihn etwas überrascht an. Einen Augenblick später fährt er fort, während er mir mit festem Blick in die Augen sieht.

“Warum kann das nicht wieder der Fall sein ?”

Er lässt mir etwas Zeit zum Überlegen, doch noch ehe ich antworten kann schmeißt er mir meine Jacke zu.

“Los, zieh dich an, ich fahr dich nach Hause.” “Was ist mit Eduard ?” “Lass das mal meine Sorge sein. Du musst doch heute früh zur Arbeit, oder ? Also frage nicht so viel und mach dich fertig.” Ich streife mir schnell die Jacke über und verlasse den Raum, ohne mich noch ein einziges Mal umzudrehen. Das Feuerzeug liegt wieder fest umschlossen in meiner Hand. Schnellen Schrittes folge ich John auf dem Weg zu seinem Wagen. Ein schwarzer Porsche 911 Turbo. Was anderes hätte ich von ihm nicht erwartet. “Steig ein.”, befiehlt er mir, während er selbst auf der Fahrerseite einsteigt. Ich lasse mich auf dem Beifahrersitz nieder und schließe die Tür. John startet den Wagen und lässt den Motor aufheulen, als er einige Zeit später durch das Haupttor fährt. Ich sehe auf die Digitale Anzeige. 4:00 Uhr morgens. In weniger als 4 Stunden beginnt der Unterricht. Erst jetzt spüre ich wie die Müdigkeit schleichend langsam meinen Körper benebelt. Mit viel Schlaf wird es wahrscheinlich heute trotzdem wieder nichts. Ich reibe meine Augen mit meinem Handballen und lehne mich zurück. Die Straßen sind leer und dunkel. Schade das nicht Sommer ist, dann würde jetzt beinahe schon die Sonne aufgehen. “Erwin ?” “Ja ?” “Die Trauerfeier ist nächste Woche.” Ich schweige. “Selbst wenn du nichts damit zutun haben willst, solltest du trotzdem hingehen.” Nach reichlichem Überlegen antworte ich ihm schließlich. “Ich… werde da sein.” Den Rest der Fahrt sagt niemand mehr etwas. Endlich kommen wir vor meiner Wohnung zum Stehen. John schaltet den Motor ab und lässt sich zurück in den Sitz sinken. Wir beide bleiben eine Weile lang sitzen und sagen nichts, bevor ich mich wieder zu Wort melde. “Richtest du meine Grüße an James aus ? Er ist bestimmt enttäuscht, dass ich so schnell wieder gegangen bin ohne etwas zu sagen.” “Mach ich.” “Danke das du mich zurückgefahren hast.” “Kein Problem.” Mit einem stummen Nicken verabschieden wir uns voneinander, ich steige aus dem Wagen und schließe die Tür, bevor John wieder davon braust. Ich schließe den Eingang auf und laufe die Treppen nach oben. Bei meiner Wohnung angekommen, krame ich mein Schlüssel raus und stoppe mitten in meiner Bewegung, als ich sehe, was vor meiner Haustür liegt.

Meine Tasche mit den Schulmaterialien.

Verwundert starre ich sie an. Wie ist die denn hierher gekommen ? Habe ich die nicht auf dem Schulhof liegen lassen, als ich mich gegen die Männer und John gewehrt habe ? Verwundert öffne ich sie. Es scheint noch alles da zu sein. Ich schließe die Tür auf und trete ein, die Tasche über meine Schulter gehängt. Alles ist beim Alten. Das schwarze Sofa, der Computer, der Fernseher, der Tisch… Alles ist so wie immer.

Ich hatte nur vergessen, dass es so unerträglich still ist.

Mir entfährt ein Seufzer. In solchen Momenten wird mir immer erst bewusst, wie einsam es doch ist, allein in so einer großen Wohnung zu leben. Ich stelle die Tasche im Flur ab und schmeiße mich aufs Sofa. Auf meinem Handy stelle ich einen Wecker ein, damit ich nicht verschlafe und lasse meine Augen zufallen. Endlich bin ich zu müde um über all die Geschehnisse nachzudenken, die mich die ganze Zeit quälten und mich wach hielten. Endlich kann ich einfach nur schlafen.

Nach gefühlten Sekunden werde ich auch schon wieder mit dem Lied aus meinem Schlaf gerissen. “... Sie sind das Essen und wir sind die Jäger! …” Mühsam rapple ich mich auf und sehe auf die leuchtende Anzeige meines Smartphones. 5:45 Uhr. Ich hätte eigentlich länger schlafen können, müsste ich nicht zu Fuß zur Arbeit. Mein Auto steht nämlich immer noch auf dem Parkplatz. Ich könnte natürlich auch die Bahn nehmen, aber weil es keinen direkten Anschluss gibt und man somit dreimal umsteigen muss und dabei jedes Mal etliche Minuten auf die nächste wartet, kann ich auch genauso gut laufen. Dauert fast genauso lange, nur mit dem Vorteil, etwas Bewegung und frische Luft zu bekommen.

Ich starte die Kaffeemaschine und versuche zu Frühstücken. Ich habe absolut keinen Appetit. Der Kaffee ist am Ende das Einzige was ich runterbekomme. Ich dusche mich noch einmal fix, ziehe mir etwas frisches an und schnappe mir schließlich meine Sachen um mich auf den Weg zu machen. Auch heute ist die Luft kühl und der Wind kräftig. Der Weg kommt mir viel zu kurz vor, als ich mich nach wenigen Augenblicken vor der Schule wiederfinde. Es kommt mir vor als wäre eine Ewigkeit vergangen, seitdem ich die Schüler in die Schule eintrudeln sehen habe, dabei war es erst gestern. Als ich in das Lehrerzimmer eintrete, huscht Frau Schmidt schnell an mir vorbei zum Unterricht und wünscht mir noch hastig einen “Guten Morgen.”. Herr Grießmann kommt heute erst später, also sitze ich die letzten paar Minuten allein im Zimmer, bevor ich mich auch auf den Weg mache. Heute habe ich wieder die 1. Stunde mit der 11c weshalb ich wieder zum Zimmer 211 laufe. Gerade als ich den Gang entlang gehe, rennt beinahe Jemand in mich hinein. Nur wenige Zentimeter vor mir kommt derjenige zum Stehen. Die Person will gerade wieder schnell gehen und nuschelt noch ein leises “Entschuldigung.”, als sie aufblickt und sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck verändert.

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Mir fällt echt kein guter Titel für dieses Kapitel ein... Wenn ihr irgendwelche Ideen habt, schreibt es einfach in die Kommentare, derweile werde ich es einfach Kapitel 8 nennen. ;)

Viel Spaß beim Lesen! Bye! \(*v*)/

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