Kapitel 1

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Jahr 18 nach dem Tod der Hüterin Lethani

Erschöpft öffnete sie ihre müden Augen und stellte fest, dass sie wieder auf dem kalten Steinboden ihrer Zelle lag. Scheinbar war sie während der Folterung bewusstlos geworden. Schon seit ewiger Zeit war ihr dieser Fehler  nicht mehr unterlaufen. Schwächelte sie etwa?
Langsam versuchte sich die erschöpfte Elfin aufzurichten, doch bei der kleinsten Bewegung durchfuhr ein gnadenloser Schmerz ihren gesamten Körper und beschloss kurzerhand eine Weile regungslos am Boden liegen zu bleiben.

Ihr Blick wanderte zu dem einzigen Fenster des Raumes, welches winzig war und sich in unerreichbarer Höhe befand. Letzte Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und kündigten den Abend an.
Einige Augenblicke herrschte Stille und sie konnte das Rauschen des Meeres vernehmen. Zu selten gab es solch friedliche Momente. Meist wurden diese durch grelle Schreie Anderer, meist jedoch durch ihre Eigenen unterbrochen. Diesmal durchbrach schweres Rüstungsklirren die Stille, welches vor ihrer Zellentür innehielt. Nachdem ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde, öffnete sich die massive Zellentür. Unter großen Schmerzen drehte die Gefangene ihren Kopf zur anderen Seite, um ihren Besucher sehen zu können.

"Abendessen." Kündigte die Person in schwerer Rüstung an und ließ zwei Teller zu Boden fallen, sodass die Hälfte des Inhalts auf dem Boden landete. Gleichgültig drehte sich die Wache um und verließ die Zelle wieder.

"Vielen Dank auch, dass du dich einen Dreck um mein Essen scherst." Murmelte die Elfin mit heiserer Stimme, als das Rüstungsklirren nur noch weit entfernt hörbar war. Ihre Ketten klirrten, als sie sich bemühte die Schalen zu sich zu ziehen. Schnell verschlang sie das üppige Mahl und das wenige Wasser, was ihr noch geblieben war.
Diese Wachen waren ihr schon seit je zuwider. Noch nie hatte sie es erlebt, dass auch nur einer von ihnen eine Emotion zeigte. Jede Einzelne von ihnen erschien wie eine leblose Hülle und das jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Mittlerweile war es stockfinster. Die einzige Lichtquelle bot der schwache Mondschein, der durch das Fenster fiel. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.Ein seltsames Knistern ließ sie hochschrecken. Vorsichtig wanderte ihr Blick durch die Zelle, es war nichts ungewöhnliches zu sehen. Doch es entging ihr nicht, dass die Temperatur drastisch gefallen war. Ihr Atem zeichnete sich als weißer Nebel ab und mit Leichtigkeit durchdrang die Kälte ihre leichte Kleidung. Unter Schmerzen setzte sie sich auf und schlang ihre Arme eng um ihren Körper. Erschrocken stellte sie fest, dass sich eine Eisschicht an dem Türschloss gebildet hatte.

Plötzlich verschwand das Knistern und es wurde wieder totenstill. Zu Ruhig. Es ertönte ein lautes Klirren und das Türschloss fiel scheppernd zu Boden. Langsam öffnete sich die massive Tür und eine Person in schwarzer Montur trat ein. Mit leisen kaum vernehmbaren Schritten näherte sie sich der Elfin und trat in das Mondlicht. Ungläubig starrte die Elfin die Person vor ihr an. Es war ein junger Elf. Eine Kapuze und ein schwarzes Mundtuch verdeckten den Großteil seines Gesichts. Doch für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie in seine Augen sehen. Erschrocken wich sie zurück bis sie mit dem Rücken an die Wand stieß. Blutrote Augen. Diese Augen würde sie ihr Leben nicht vergessen.

Der Mann kam mit langsamen Schritten näher. Als er schließlich vor ihr stand, ließ die Elfin einen ersticken Schrei aus. Ausgerechnet in diesem Moment versagte ihre Stimme. Der Mann kniete sich vor sie auf den Boden und fixierte sie mit seinem Blick, wie ein Jäger seine Beute. Sein Blick wanderte hinab zu ihren Handgelenken, an denen mehrere Ketten hingen, welche sie am fliehen hindern sollten.
Zaghaft berührte er eine der Ketten, welche die Elfin an die Verließwand fesselten. Erneut ertönte das sonderbare Knistern und eine Eisschicht bildete sich nun an den Ketten. Als diese vollkommen vereist waren, wiederholte er den Vorgang mit ihren restlichen Hand- und Fußfesseln. Als er schließlich seine Hand auf die zuletzt verbliebene Kette legte, zog er diese schnell wieder zurück, so als hätte er sich verbrannt.

Das Vermächtnis Der HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt