Kapitel 9

42 3 5
                                    

Völlig erschöpft kehrte Suotah in den frühen Abendstunden mit vollbepackten Beuteln in die Taverne zurück. Nicht alles war nach Plan verlaufen. Dank einer patrouillierenden Wache, hatte sich sein Beutezug um einige Zeit verzögert. Aber dennoch schien der Tag ein Erfolg gewesen zu sein. Er hatte ausreichend Proviant für die Reise beschaffen können und zudem hatte er ein Bescheid erhalten, dass ihnen schon morgen früh eine Kutsche bereit stehen würde.
Als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete, erblickte er die zierliche Waldelfe auf einem der Stühle sitzen. Ihre Augen schienen ihn direkt zu fixieren. In ihnen lag eine gewisse Unruhe, die Suotah nicht genau deuten konnte. Doch vermutlich plagte sie der Hunger, da er sich den ganzen Tag über nicht hatte blicken lassen. Mit einem entschuldigendem Blick überreichte er ihr schnell etwas Brot und eine Handvoll der kleinen, roten Mezia Früchten. Trotz ihrer Größe waren diese sehr sättigend und zudem auch noch äußerst schmackhaft.
Da er selbst bereits gegessen hatte, stellte er die vielen Beutel in eine der Zimmerecken und setzte sich schließlich Faenelia gegenüber.

Müde rieb sich Suotah mehrmals über die Augen, um seine Müdigkeit zu vertreiben. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Irritiert wanderten seine Augen zu der Elfin und beobachtete, wie sie heute ihr Essen eigenartig langsam in sich hineinschlang. Abwesend war ihr Blick starr zur Wand gerichtet, doch warf sie ihm hin und wieder ein paar schnelle Seitenblicke zu.

Nach einiger Zeit legte sie ihr Brot, welches zur Hälfte noch unangetastet war, zur Seite. Immerhin hatte sie die Früchte zur Gänze vertilgt. Vermutlich hatten diese genügt, um ihren Hunger zu stillen. Dennoch schien ihre Unruhe nicht verflogen zu sein. Ihr Bein wippte ungeduldig auf und ab, während ihr Blick gehetzt durch den Raum wanderte und auffällig oft auf den verstauten Essensvorräten hängen blieb. Doch sein Schlafmangel verhinderte, dass Suotah logische Schlussfolgerungen daraus schließen konnte. Nur mit Mühe konnte er seine trägen Augen offen halten. Müde plazierte er seinen Kopf zwischen seinen verschränkten Armen auf dem Tisch. Sobald sie die Hauptstadt erreichten, wird das Rätsel um die Waldelfin mit ihren eigenartigen Heilfähigkeiten gelöst sein. Vor Sanealla würde sie ihre Geheimnisse nicht mehr verbergen können. Schnell vergrub er sein Gesicht weiter in seine Armbeuge, um das Lachen auf seinen Lippen zu verbergen.
Schließlich gewann die Müdigkeit Kontrolle über seinen Körper und ließ ihn in einen tiefen Schlaf sinken. Die kleinen zierlichen Schritte, die nach einer Weile den Raum verließen, bemerkte er deshalb nicht.

~

Nachdem Faenelia sicher war, dass Suotah tief in Schlaf versunken war, schlich sie auf Zehenspitzen zu den Vorräten, die er kurz zuvor hereingeschleppt hatte und fischte ein paar der Lebensmittel hinaus, darauf bedacht keine auffällige Leere in den Beuteln zurück zu lassen. Ausgerüstet mit einigen Früchten und ihrem restlichen Brot schlich sie auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Als sie die Treppe zum Erdgeschoss hinunter stieg, konnte sie das Gröhlen der lärmenden Tavernenbesucher vernehmen. Der Geruch von warmem Essen aus der Küche, ließ ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch dafür war jetzt keine Zeit. Unauffällig stapfte sie durch die Vielzahl an Elfen, die sich im Essbereich der Taverne tummelten. Durch das Gedränge schien ihr Niemand nähere Beachtung zu schenken und nur einige Augenblicke später trat sie in die kühle Nachtluft hinaus. Beladen mit den gestohlenen Vorräten marschierte sie durch die herannahende Dunkelheit.

Es hatte etwas länger gedauert bis sie die heruntergekommene Gegend Bettler wiedergefunden hatte. Der Mond stand bereits hoch am Himmel als sie schließlich das Haus des Diebes erreichte. Mit beladenen Armen schob sie das Brett mit ihrer Schulter vorsichtig zur Seite, sodass der Eingang freigelegt wurde. Leise trat sie in das Innere der winzigen Bruchbude, doch wie es schien, war der Vater des Kindes nicht zu Hause. Faenelia folgte den leisen Atemzügen, die aus dem Zimmer des Mädchens drangen.
Nicht mehr so blass wie zuvor lag das Mädchen noch immer in dem großen Heuhaufen und schien zu schlafen.

Mit möglichst leisen Bewegungen legte sie die Vorräte neben das schlafende Mädchen. Als sie sich wieder aufrichtete und gehen wollte, griff eine zierliche Hand nach der ihren. Überrascht blickte sie in die leicht geöffneten Augen des Mädchens.
"Ihr wart es. Habe ich Recht?", ertönte die Stimme des Mädchens, welche nicht mehr als ein leises Hauchen war. Dennoch vernahm Faenelia jedes einzelne ihrer Worte.
"Ich habe Euch gesehen", fuhr sie fort, bevor die Waldelfe zu einer Antwort ansetzen konnte.
"In meinen Alpträumen. Ihr wart dort und habt mich daraus befreit. Ich konnte Euch zuvor nicht genau erkennen, doch die Wärme, die Euch umgibt ist unverkennbar." Ein kleines Lächeln umspielte die Lippen des Mädchens. Dankbarkeit lag in ihrem Blick und ließen ihre smaragdgrünen Augen leuchten. Unfähig auch nur einen Ton hervor zubringen, lauschte Faenelia still den leisen Worten des Mädchens. "Dank Euch wird mein Vater bald wieder Lächeln können." Einige Tränen bildeten sich in den Augen der kleinen Elfin und ließen diese wie Kristalle funkeln. "Zu lange habe ich vergeblich darauf gewartet, dass sein liebevolles Lachen wieder erklingen würde.", fuhr sie nun mit brüchiger Stimme fort, die dafür sorgte, dass sich auch in Faenelias Kehle ein Kloß bildete. "Vielen Dank, dass Ihr den Fluch gebrochen habt."

Nun doch irritiert blickte Faenelia in das breit grinsende Gesicht des Mädchens.
"Welcher Fluch?" Stirnrunzelnd beäugte sie das Mädchen von Kopf bis Fuß, doch viel ihr nichts derart ungewöhnliches auf.

"Schon immer habe ich etwas gespürt" Das Mädchen fasste sich an ihr Herz, bevor sie nach einer kurzen Weile fortfuhr. "Etwas, das nicht hierher gehört. Es sorgt dafür, dass ich mich immerzu schwach und kränklich fühlte. Es verfolgte mich in jeden meiner Träume. Teilweise fürchtete ich mich deshalb sogar meine Augen zu schließen.
Vater erzählte mir Mal, dass die Familie meiner Mutter uns verachtet. Er gab mir zu verstehen, dass wir uns vor ihnen versteckt halten müssen, da sie vermutlich nach unserem Leben trachten. Daher denke ich, dass jemand aus meiner Familie mich mit diesem Fluch belegt hat. Aber nun ist er fort. Dank Euch." Ihr Lächeln, welches kurz erloschen war, strahlte nun wieder wie zuvor.

"Ich bin übrigens Iteria.", erklärte das Mädchen. Ihre Stimme war nun um einiges kraftvoller als einige Augenblicke zuvor. Langsam richtete sie sich auf und schaute Faenelia tief ins Gesicht. "Seid Ihr eine Waldelfe?" Erschrocken zog die Elfin die Kapuze tiefer in ihr Gesicht und wandte ihren Blick ab. Iteria beobachtete sie zunächst aufmerksam, bevor sie schließlich in ein niedliches Lachen ausbrach. "Zu spät. Deine braunen Haare haben dich verraten. Und deine Augen. Eine solch schöne Farbe habe ich noch nie gesehen." Voller Erstaunen betrachtete Iteria die Waldelfin, die sich bemühte ihre langen Haare wieder unter der Kapuze zu verstecken. "Sag, gibt es noch mehr Waldelfen, die sich versteckt halten?", freudig klatsche die kleine Elfin ihre Hände zusammen und durchbohrte Faenelia mit ihrem erwartungsvollem Blick. Allerdings fixierten ihre Augen nur den Boden.

Einige Augenblicke verstrichen, in denen keiner wagte die betretende Stille zu durchbrechen.
"Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass Ihr Euch an etwas schlimmes erinnert. Bitte seid mir nicht böse.", Platzte es schließlich aus Iteria heraus, welche unsicher nach Faenelias Händen griffen.
Sanft löste sie sich von den zierlichen Händen des Mädchens und strich ihr einige der blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht.
"Du solltest dich ausruhen. Ich muss jetzt gehen.", erklärte Faenelia und richtete sich ruckartig wieder auf und verließ schnellen Schrittes das Zimmer des Mädchens.
"Es tut mir leid.", hörte Faenelia die leise Stimme des Mädchens hinter ihr, doch stürmte sie nun umso schneller in die dunkle Nacht hinaus.

Noch vor den ersten Sonnenstrahlen war Faenelia zurückgekehrt, trotz dessen hatte sie keinen Schlaf finden können. Daher trottete sie nun mit müden Schritten hinter Suotah her, welcher ihren nächtlichen Ausflug zum Glück nicht bemerkt hatte. Schnell verfrachtete er die vielen Vorratsbeutel in die kleine Kutsche, welche direkt vor der Taverne ihre Ankunft erwartet hatte. Nachdem Suotah ihr gedeutet hatte in die Kutsche zu steigen, ließ sie sich erschöpft in die weichen Polster fallen. Als der Dunkelelf ihr gegenüber Platz genommen hatte, setzte sich die Kutsche in Bewegung. Nachdem Suotah sämtliche Vorhänge zugezogen hatte, streifte er die Kapuze seiner schwarzen Ledermontur vom Kopf. Entspannt lehnte er sich zurück und beobachtete Faenelia dabei, wie sie ebenfalls ihre Kapuze ablegte.
Einzig das Hufgetrappel der Pferde auf den gepflasterten Straßen durchbrach das Schweigen der beiden Elfen. Daher hatte es nicht lange gedauert, bis der Schlafmangel Faenelia eingeholt hatte und ihr Kopf nach einem tiefen Atemzug schwer zur Seite fiel.

Das Vermächtnis Der HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt