Kapitel 12

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Erschöpft kam Arterion zum Stehen. Seine Hände auf die Knie gestemmt rang er nach Atem. Die schweren Schritte seiner Verfolger waren noch immer zu hören. Jeden Moment würden sie um die Ecke schreiten und ihn erblicken. Panisch richtete er sich auf, doch er war am Ende. Seine Beine streikten und gehorchten ihm nicht mehr. Verzweifelt blickte er zurück und erwartete seine Verfolger zu sehen. Sein Herz setzte für einen Schlag aus, als plötzlich eine zierliche Hand von hinten seinen Arm erfasste und ihn in eine dunkle Gasse zog. Die Gasse war sehr schmal, sodass sein Rücken, sowie seine Brust an die Häuserwände gepresst wurden. Mit angehaltenem Atem beobachtete er, wie die Stadtwache an ihm vorbei lief.
"Er kann nicht weit sein! Los findet ihn!" Die Rufe der Männer hallten durch die Straßen und verrieten ihm, dass er für den Moment außer Gefahr war.
Vorsichtig wagte er einen Blick zu der Gestalt, die noch immer seinen Arm festhielt. Doch konnte er in der Dunkelheit nur eine kleine Silhouette ausmachen. Als Aterion sich aus dem Griff befreien wollte, begann die Person stark an seinem Arm zu ziehen und zwang ihn dazu sich durch die Gasse zu zwängen. "Warte mal!", versuchte Aterion die Person von ihrem Vorhaben abzubringen, doch verstärkte diese nur ihren Griff. Die Raue Häuserwand schrammte an seiner Haut und verursachte ihm kleinere Schmerzen. Irritiert ließ er sich von der Gestalt mitziehen. Die Person erschien ihm schwach und mit Leichtigkeit hätte er sich aus ihrem Griff befreien können, jedoch ließ er sich widerstandslos von ihr mitziehen.
Ein unangenehmer Geruch stieg ihm in die Nase, als er durch mehrere undefinierbare Flüssigkeiten watete.

Nach einer Weile war das Ende der Gasse in Sicht und erleichtert atmete er auf, als er in das Licht der Abendsonne blickte. Sein erster Blick fiel auf die zaghafte Gestalt, die nun vor ihm stand. Ein blasses Mädchen stand vor ihm, blickte ihm lächelnd ins Gesicht und hielt noch immer seinen Arm fest umschlossen. Ihre smaragdgrünen Augen leuchteten in der Sonne und ihre langen, blonden Haare wirbelten wild im kühlen Wind.

"Haben sie dich beim Stehlen erwischt?", fragte das kleine zierliche Mädchen mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Zunächst starrte Aterion sprachlos auf das freundliche Gesicht des jungen Mädchens. Es schien eine Ewigkeit her, dass jemand ihm mit einen solch sanften Blick begegnet war. Es dauerte einige kurze Augenblicke, bis er sich wieder gefasst hatte.
"Ä-Ähm, ja.", brachte er nur zögerlich hervor. Wütend biss er sich auf seine Lippe. Das Mädchen würde seine erbärmliche Lüge sicher sofort durchschauen. Ihr Blick ruhte ununterbrochen auf ihm und schien ihn genauestens zu mustern. Als Aterion ihrem Blick nicht mehr standhielt, wandte er schnell seinen Blick zu Boden. Eine unangenehme Stille lag über ihnen, die nach einem kurzen Augenblick durch ein lautes Magengrummeln durchbrochen wurde. Das Mädchen brach in ein lautes Gelächter aus. Irritiert hob Aterion seinen Blick. Lachend reichte das Mädchen ihm einen kleinen Beutel, welcher ihm zuvor nicht aufgefallen war. Fragend nahm er den Beutel entgegen und erkannte einige lecker aussehende Früchte darin liegen.
"Eigentlich war es für meinen Vater gedacht, aber ich glaube dir brauchst es gerade dringender. Komm mit. Ich kenne einen ruhigen Ort."

Ohne zu widersprechen ließ sich Aterion durch die unebenen Straßen führen, über eine kleine Wiese, bis sie schließlich an einem kleinen Bach ankamen. "Den Ort hier hab ich erst vor Kurzem entdeckt, aber hier kann man in Ruhe nachdenken nachdenken und sich den Bauch vollstopfen.", präsentierte das Mädchen stolz. Lächelnd ließ sie sich am Rand des Baches ins Gras fallen und blickt Aterion auffordernd an, der noch immer perplex auf den Beutel in seiner Hand starrend, neben ihr stand. "Ich kann das unmöglich annehmen. Ich meine, das ist doch für deinen Vater.", brachte er schließlich hervor, obwohl er am liebsten sofort über die leckeren Früchte hergefallen wäre.

"Ach hab dich nicht so. Ich sagte doch, dass du es gerade eher gebrauchen kannst." Vorsichtig streckte sie ihre Hand nach der Aterions aus, doch bevor sie ihn berühren konnte, zog er seinen Arm schnell zurück. War er sich doch nicht sicher, ob er sie vielleicht verbrennen würde. Das Mädchen, die seine Beweggründe nicht erahnen konnte, blickte ihn nun aus leicht traurigen Augen an, obwohl ihre Miene noch immer zu einem Lächeln verzogen war. Da er das Mädchen nicht kränken wollte, lässt er sich neben ihr im Gras nieder und öffnete den Beutel. Zögernd nahm er eine Frucht heraus und hielt ihr den Beutel entgegen. Fragend blickt sie ihm entgegen, während er die Frucht in seinen Mund fallen lässt. "Du kannst dir ruhig mehr nehmen. Keine Sorge.", erklärte das Mädchen daraufhin.

"Mir wäre es lieber, wenn du mit mir essen würdest. Dann müsste ich mich nicht ganz so schlecht fühlen, das ganze Essen zu stehlen." Schuldbewusst blickt er in die warmen Smaragde vor ihm. Leise lachend nahm sie nun ebenfalls von den Früchten und steckte sie sich in den Mund.

Nach und nach leerte sich der Beutel und Aterions Hunger war nach Tagen endlich wieder gestillt. Schnell verschloss er wieder den kleinen Beutel, sollte für den Vater des Mädchens doch noch etwas übrig bleiben. Leise beobachtete er, wie das Mädchen ihre blassen Beine in das Wasser des Baches getaucht hatte und langsam hin und her bewegte. Bei ihrem Anblick konnte er deutlich eine eigenartige Wärme in seinem Inneren spüren. Es war eine sanfte Wärme, die das dauerhaft lodernde Feuer in seinem Inneren zu verdrängen schien. Er konnte nicht genau sagen, woran es lag, doch schien ihre Warmherzigkeit alte Erinnerung hervorzurufen, welche zwar nur wenige Tage zurücklagen, ihm jedoch wie ein anderes Leben erschienen.

"Ich bin übrigens Iteria und du?", riss ihn die plötzliche Stimme des Mädchens aus seinen Gedanken.

"Aterion.", antwortete er und erwischte sich dabei, wie sich tatsächlich ein ehrliches Lächeln auf seinen Lippen schlich. Nie hätte er gedacht dazu noch fähig zu sein. Freundlich bedankte er sich bei Iteria und überreicht ihr den Beutel. "Vielen Dank für das leckere Essen und für deine Hilfe vorhin." Langsam erhob sich Aterion von dem weichen Gras und wollte schon zum Gehen ansetzten, als er die Hand des Mädchens an seinem Handgelenk spürte und ihn zurückhielt. Jedoch hielt der Kontakt nur für den Bruchteil einer Sekunde, da das Mädchen schnell wieder ihre Hand zurückzog. Irritert blickte sie auf ihre Hand. "Hast du etwa Fieber?" Doch als sie sah, dass Aterion ohne eine Antwort davon stürmen wollte, sprang sie schnell auf und eilte ein paar Schritte hinter ihm her. Doch konnte Iteria nicht wirklich mit ihm mithalten. "Warte! Bitte! Bitte, komm Morgen wieder! Ich warte wieder hier!", rief Iteria dem Jungen mit dem seltsam rotem Haar hinterher, als er schon fast aus ihrer Sichtweite verschwunden war. Traurig blickte sie dem Jungen eine Weile hinterher, bis sie sich mit ihrem restlichen Essen wieder auf den Weg nach Hause begab.


Erschrocken blieb Aterion an einer Häuserecke stehen, als er sich sicher war, außer Sichtweite zu sein. Panisch blickte er auf sein Handgelenk hinab, an dem Iteria ihn zuvor berührt hatte. Sein Arm hatte wieder Feuer gefangen und wäre er eine Sekunde länger geblieben, hätte ihn das nette Mädchen vermutlich ebenfalls als Monster beschimpft. Er hatte die letzten Worte Iterias deutlich vernommen, doch nahm er sich vor, nicht wieder herzukommen. Würde das Mädchen doch nur durch ihn in Gefahr geraten und das wollte er sicher nicht. Entweder würden die Wachen durch ihn auf sie aufmerksam werden oder er würde sie versehentlich eigenhändig in den Feuertod schicken. 

Unsicher betrachtete Aterion seinen Arm und versuchte sein Inneres zu beruhigen. Als er vor zwei Tagen einen riesigen Waldbrand außerhalb der Stadt verursacht hatte, beschloss er seine Flammen kontrollieren zu lernen. Schnell hatte Aterion begriffen, dass seine Wut die Flammen verursachten und versuchte diese im Zaum zu halten. Doch erschien es ihm mittlerweile, als würde jede noch so kleine Sache ihn zu reizen und schließlich zur Weißglut treiben. Als er sich jedoch nun zur Ruhe zwang und seine Emotionen unterdrückte, stellte er erstaunt fest, dass diesesmal nicht Wut aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Mehr als verwirrt beobachtete Aterion wie nach und nach die Flammen auf seinem Arm schwächer wurden, bis sie ganz erloschen. Erschöpft und völlig am Ende mit seinen Nerven beschloss Aterion für diese Nacht noch hier zu bleiben, jedoch sollte er so schnell wie möglich weiterreisen. Hat sein Kampf mit den Wachen mit Sicherheit Aufsehen erregt und spätestens Morgen früh, würde die gesamte Stadt nach ihm suchen. Schnell suchte er sich eine kleine Unterkunft in den Trümmern eines alten Hauses, darauf bedacht jegliches Holz aus seiner Reichweite zu entfernen. Trotz seiner Müdigkeit blieb Aterion noch lange wach und starrte in den dunklen Sternenhimmel hinauf, der durch die vielen Löchern in seiner provisorischen Unterkunft, zu sehen war.

Das Vermächtnis Der HüterinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt