Zweiter Schritt

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„Endlich, ich muss unbedingt duschen!" Demonstrativ fährt sich Jaehyun über das schmutzige Gesicht, begutachtet dieses mit verzogenem Mund nochmals im Rückspiegel.

„Das solltest du dir allmählich gewohnt sein", merke ich unverständlich an. Mein Partner sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Sei froh", anklagend deutet er mit dem Zeigefinger auf mich, „dass du kein Scharfschütze bis – sei froh!" Ich kann nicht anders als in Gelächter auszubrechen, was mir bewusstmacht, wie erschöpft ich von dem heutigen Tag bin. Diese Tatsache hat mir bereits meine Halbschlafphase auf der Fahr hierher bewiesen.

„Du warst es doch, der unbedingt Scharfschütze werden wollte." Ich knuffe ihm spielerisch in die Seite, was ihm ein Quicken entlockt. Reflexartig weicht er zurück.

„Dennoch bezweifle ich, mich jemals an all den Dreck zu gewöhnen." Jaehyun stößt die Wagentür schwungvoll auf. Er dreht sich auf dem Sitz, wirft mir allerdings nochmals ein Blick über die Schulter zu. „Kümmerst du dich um deinen neugewonnenen Freund? Auf die anderen macht es gewöhnlich keinen guten Eindruck, wenn ihre Geruchsnerven aufgrund meines Gestanks absterben." Er schenkt mir ein bittendes Lächeln. Ich seufze theatralisch.

„Schon gut." Ich mache eine scheuchende Bewegung. „Geh' duschen und hilf mir eben später aus."

„Danke, Hyung!" Er drückt mir den Autoschlüssel in die Hand, daraufhin springt er auf und hebt zum Abschied die Hand. „Kümmere dich gut um ihn! Wir sehen uns später." Dann knallt er die Tür zu. Lächelnd schüttle ich den Kopf, wobei ich mich unglaublich erwachsen fühle. Ich mag Jaehyun wirklich gerne, er ist ein ziemlich zuverlässiger Partner, den ich manchmal sogar dazu überreden kann, die schriftliche Arbeit alleine zu erledigen. Im Gegenzug dafür versorge ich uns beiden in produktiven Arbeitsnächten mit genügend Essen – das ich wohlbemerkt ausschließlich mit meinem Geld bezahle. Als Agent des NCTs hat man den Nachteil oft Überstunden zu machen, die bis zum frühen Morgen andauern. Manchmal müssen wir Serienkiller ausfindig machen, bevor sie ihr nächstes Opfer umlegen.

Ich gähne ausgiebig, womit ich zurück in die Realität gelange. Mit schwacher Hand schiebe ich die Autotür auf und rutsche ungeschickt vom Sitz. Meine Glieder fühlen sich nicht nur schlaff, sondern auch schwer an. Ob das am blauen Rauch liegt?

Schnell schüttle ich den Gedanken ab und trete die Tür zu, um sogleich die hintere zu öffnen. Freundlich lächle ich den jungen Mann an, der scheu zu mir aufsieht. Ohne zu fragen, lege ich behutsam den einen Arm um seine Schulter, damit ich ihm aufhelfen kann, was einem ohne die Benutzung der Hände schwerer fällt als man glauben könnte. Hinzu kommt die Vermutung, er hat ebenfalls besagter Rauch eingeatmet.

Erneut schließe ich die ohnehin verbeulte Wagentür mithilfe meines Fußes und betätige den Knopf auf dem Schlüssel. Zur Bestätigung, dass er abgeschlossen ist, gibt der Pickup ein Surren von sich.

Meine Hand gleitet mitsamt dem Schlüssel in meine Hosentasche, mit dem linken Arm umschlinge ich noch immer die Schultern des Verhafteten.

„Du brauchst keine Angst zu haben", versichere ich ihm zaghaft. „Wir wollen dir lediglich ein paar Fragen stellen." An seinem verschreckten Gesichtsausdruck ändert sich nichts, allerdings drängt er sich dichter an mich, als wolle er mit mir zusammenschmelzen.

Schuldgefühl und Mitleid bricht über mich herein, prickelt in meinen Fingerspitzen und verlockt mich dazu, eine Entschuldigung auszusprechen. Ich habe keinen Grund dazu, mich rechtfertigen zu müssen, immerhin habe ich ihn wegen meines Berufes verhaften müssen. So schlucke ich trocken hinunter, was mir auf der Zunge brennt.

Mir ist bewusst, ich sollte mich zurückhalten, dennoch kann ich es nicht unterlassen ihm beruhigend über den Oberarm zu streichen.

Vorsichtig führe ich ihn über den Asphaltboden des Parkplatzes, der einem fabrikähnlichen Gebäude angehört. Willkürlich soll dieser Ort wirken wie eine Fabrik mitten im Wald, zu der keiner hinfindet, der sich den Weg nicht genauestens merkt. Um irgendwelche Anschläge auf unsere Hauptzentrale im Gebirge Seouls zu vermeiden sind die hinteren Fenster unserer Wagen so arg verdunkelt, dass man kaum hindurchsieht. Die Festgenommenen sollten möglichst wenig unseres Umfelds mitbekommen. Denn NCT kümmert sich um die schwerfälle von Verbrechern, um Auftragsmörder oder Serienkiller – die Gefährlichsten werden immer uns überlassen.

Blue SmokeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt