4. Der Haferbrei begeht Selbstmord

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Es stellte sich heraus, dass das Obdachlosenheim brechend voll war. Wie so eigentlich... immer. Selbst wenn Magnus versucht hätte die Hälfte aller Menschen aus dem Raum zu bekommen, wäre es immer noch voll gewesen. Catarinas blaue Haare waren aber leicht zu finden, weshalb der Jugendliche sich zu ihr durch quetschte. Die meisten machten dem schlanken, hoch gewachsenem Magnus, mit Glitzer besticktem Polover, Platz. Er sah im Moment einfach zu frisch aus, um als Obdachlos durch zu gehen. Einige kannten ihn allerdings, weshalb sie ihm kurz zu nickten. Hier teilte man nicht gern, doch jeder bekam seine gerechte Portion an Essen. Schlafplätze waren immer ausgebucht, und länger als eine Nacht konnte man sowieso nicht bleiben. Auch hier galt Gerechtigkeit. Theoretisch hatte jeder die Möglichkeit ab und an unter zu kommen, doch einen Platz zu ergattern war keine allzu einfache Sache. Außerdem verließen viele sehr ungern ihren eigenen, persönlichen Schlafplatz. Nicht, dass jemand ihn einem weg nahm.
"Hey Magnus!" Cat hatte die Augen ihres Schützlings schnell entdeckt. Er war tatsächlich kaum zu übersehen. Die leicht schmalen Augen, goldene Iris mit etwas grün und die ebenfalls fast golden-braune Haut, ja, das war Magnus.
"Du bist heute echt spät dran. Ich hätte dich früher erwartet", tadelte sie, als der Jugendliche sich zu ihr stellte. "Wie es aussieht warst du aber bei Clary, also bin ich dir nicht böse." Sie hob die Mütze von seinem Kopf und lächelte. Clary hatte gute Arbeit geleistet, definitiv. Magnus wirkte fast so, als wäre er fehl am Platz.
"Ja, heute war recht interessant."
"Stimme ich dir zu", Catarina lachte und schaute zu dem Tisch, auf dem das Essen immer verteilt wurde. "Der Topf Haferbrei ist heute morgen komplett umgekippt. Der ganze Boden war voller Haferschleim. Schöne Sauerei, dass sag ich dir. Einer der Alkis ist ausgerastet, weil er, seiner Meinung nach, zu wenig bekommen hat."
Magnus schüttelte lachend den Kopf. Die Betrunkenen machten meistens Probleme. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon fast fünf!
"Woah, ich hab echt ordentlich auf dem Weg getrödelt", stellte er fest, weswegen Cat lachte.
"Ja, und Mittagessen hast du auch verpasst. Naja, in ner Stunde gibts n paar Brötchen. Wenn wir Glück haben auch neue Schlafsäcke und Kleidung. Ich hab hinten n paar Kisten gesehen", flüsterte sie Magnus und Ohr. Solch eine Information breitete sich schneller aus, als ein Lauffeuer.
"Meine Sachen gehen eigentlich noch. Die Jacke könnte ich austauschen, das wars dann aber eigentlich auch. Schuhe hab ich letztes mal neu bekommen."
Cat nickte einverstanden und sah Magnus an. Der türkise Polover stach ihr sofort ins Auge, weshalb sie ihn tadelnd ansah.
"Du sollst doch nichts mitgehen lassen!", schimpfte sie. Magnus hob beschwichtigend die Hände.
"Clary hat ihn mir geschenkt. Vorträgliches Geburtstagsgeschenk."
"Ah", machte Cat bloß und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Magnus, der nun wirklich auf den Anblick von so manchen Dingen verzichten konnte, verließ Catarina wieder und ließ sie arbeiten. Er wurde langsam wirklich müde, weshalb er beschloss sich nach dem Essen seinen Schlafplatz zu suchen. Er würde versuchen früher zu schlafen. Der Jugendliche setzte sich in die Ecke, an die Wand, lehte den Kopf zurück und schloss die Augen.

"Hey, Magnus, ab mir dir. Die schmeißen uns rauß."
Magnus blinzelte verwirrt und sah verschlafen zu Cat auf, die etwas in den Händen hielt.
"Ich hab zwei Brötchen und eine Jacke für dich ergattern können", sagte sie sanft, als Magnus aufstand und sich streckte. Seine Gelenke knackten und ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es fast neun war. Er hatte vier Stunden geschlafen.
"Danke Cat", brummte er und zog seine alte Jacke aus. Die neue war komplett in schwarz, dick gefüttert, mit Kapuze und schien auch noch regenabweisend zu sein.
"Wow, danke! Gute Ladung, was?" Er zog sich schnell um, stopfte seine alte Jacke in den Rucksack und nahm die Brötchen entgegen, in die er hinein biss. Beide begaben sich auf den Weg nach draußen und liefen eine Weile zusammen, bis Magnus in seine Gasse einbog. Cat verabschiedete sich von ihm und lief weiter. Sie würde ihn Morgen früh wecken.
Magnus verschwand in eine Art Zwischenhof und breitete seinen Schlafplatz aus. Regen-, Schnee- und Windgeschützt, kroch er in seinen Schlafsack, den er neben einer Backsteinmauer ausgebreitet hatte. Seine alte Jacke nutzte er als zusätzliche Unterlage. Eine Weile lang lehnte er einfach mit dem Rücken an der Wand. Seine Beine hatte er angezogen, um leichter warm zu bleiben. Seine Kapuze hatte er über den Kopf gezogen, die Mütze und der Schaal verdeckten den meisten Teil seines Gesichts. Er seufzte, als er sein Gesicht in den Knien vergrub und seine Arme darum wickelte. Er konnte Schritte hören, die sich näherten, weshalb er still blieb. Er hatte wirklich keine Kraft mehr sich mit irgendjemandem auseinander zu setzen. Als die Schritte näher kamen wurde er allerdings doch unsicher und presste sich an die Wand. Magnus wusste, dass jemand dierekt vor ihm stand. Er wusste es, weil er den Atem hören konnte. Er wusste es, weil diese Person einen Schatten auf ihn warf.

"Komm, ich helfe dir hoch."
Der junge Mann vor Magnus hatte seinen Arm ausgestreckt und wartete, dass dieser den Kopf hob und seine Hand nahm.
"Warum sollte ich?", fragte Magnus  mit ruhiger Stimme. Er kauerte vor einer kalten Backsteinmauer und sah nach unten.
"Weil ich dir helfen will."
Nachdem der Mann dies gesagt hatte hob Magnus, die zusammengekauerte Kapuzengestalt, den Kopf und der Mann sah in die schönsten Augen, die er jemals gesehen hatte. Golden und leicht grün, glänzend vor Schmerz und einem Schimmer Hoffnung.
Magnus ergriff die Hand des Mannes. Er ergriff sie, da es ihm fast gleichgültig war, was nun passieren würde. Sollte dieser Mann sein Tod sein, so würde er es akzeptieren. Würde er ihm helfen können, so würde Magnus sich darauf einlassen. Der Mann zog Magnus hoch und schenkte ihm ein Lächeln. Irgendwie kam er Magnus bekannt vor. Er sah irgendjemandem ähnlich. Durch die Dunkelheit konnte er aber schlecht erkennen, wie der Mann genau aussah. Zu Magnus Erstaunen war  ein wenig kleiner als Magnus selbst. Naja, er selbst war aber auch sehr groß.
"Gott sei dank habe ich dich noch gefunden", brummte der Mann und griff nach Magnus Sachen, um diese in dem Rucksack zu verstauen.
"Izzy hat sich die Augen ausgeweint, weil sie sich so schlecht gefühlt hat."
Isabelle? Was hat Isabelle damit zu tun, fragte sich Magnus. Dann riss er die Augen auf.
"Ich bin Magnus. Ich glaube wir haben uns einander noch nicht vorgestellt."
"Alec", bekam er zurück. Er konnte sehen, dass Alec lächelte. Das war also Isabelles Bruder.
"Wir sollten gehen, ich hab den gesamten Umkreis gefühlte fünf Stunden lang abgesucht. Mein Auto steht an der Straße."
Magnus versuchte zu begreifen, was gerade geschah, als er Alec folgte.
"Isabelle hat dir also alles erzählt, was sie von mir weiß und dich los geschickt, um mich zu suchen?"
"So ungefähr, ja, könnte man sagen. Man muss immer das große Ganze sehen." Alec kramte seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und schloss auf. Dank der Straßenlaternen konnte Magnus nun auch endlich sehen, warum ihm diese Gestalt so bekannt vorkam. Alec sah, mit seinen schwarzen Haaren und dem guten Körperbau, Isabelle durchaus ähnlich. Nur seine Augen hatten Magnus sofortige Aufmerksamkeit. Das sie unglaublich blau waren konnte er, trotz der wenigen Beleuchtung, sehen.
"Urgh", machte Magnus, als Alec ihm die Tür öffnete und Magnus' Rucksack auf die Rückbank beförderte.
"Machst du das immer? Ich meine, Obdachlose Jugendliche von der Straße zu holen." Magnus setzte sich auf den forderen Sitz, zog die Tür zu und schnallte sich an. Er konnte immer noch nicht glauben, dass er das hier gerade wirklich tat
"Nein, normalerweise interessiert es mich nicht, was Izzy sagt. Sie kann viel dämliches Zeug von sich geben. Aber dieses mal war es wichtig, also... Hier bin ich."
Magnus nickte einfach, da er nicht wusste, was er sagen sollte.
"Ich nehm dich mit in meine Wohnung. Naja, was heißt meine Wohnung. Mir gehört der obere Teil von unserem Haus, weil ich miete zahle. Izzy und Jace wohnen eigentlich mit unseren Eltern unten, aber da ich oben ein Zimmer zu viel habe, ist Jace viel bei mir. Du bekommst aber erst mal vorübergehend das Zimmer, bis du Boden unter den Füßen hast." Alec konnte sehen, dass Magnus' Brust bebte. Tränen tropften auf seine Hose und er starrte nach unten.
"Hey, das wird schon wieder. Ich, ähm, ich bin schlecht in solchen Reden. Also, ja. Wenn du reden willst, du weißt Bescheid." Alec hatte seinen Blick auf die Straße gerichtet und fuhr, wärend Magnus schniefend neben ihm saß. Er konnte das kleine "Danke", dass Magnus flüsterte, hören. Die restliche Zeit verbrachten sie schweigend. Magnus driftete immer wieder mit seinen Gedanken ab und war kurz davor sich zu kneifen, weil er nicht glauben konnten, dass all dies gerade wirklich geschah. Isabelle hatte wirklich eine Umarmung verdient. Sie war heute sein kleiner Engelsbote gewesen, denn Alec schien Magnus nicht nur einfach fahren zu wollen. Er wollte Magnus komplett neu aufbauen um ihn von der Straße zu bekommen und ein neues Leben zu ermöglichen. Aber Alec war nervös. Er hatte nie wirklich Kontakt mit anderen, war sozial so gar nicht gut veranlagt und Empathie viel ihm schwer. Er hatte eigentlich selbst genug Probleme, die er nicht lösen konnte, da es keine Lösung gab. Aber vielleicht würde Magnus Bane auch sein Leben etwas aufräumen. Vielleicht würde sich all das kommende Chaos lohnen.

Die Straßen von New York *In Bearbeitung*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt