Neues Leben

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Mit hängenden Kopf sitze ich links neben dem Krankenhausbett meiner Frau auf einem Stuhl, während mir die Tränen in Strömen über die Wangen laufen. Gerade hat der dritte Arzt das Zimmer verlassen und mir die Diagnose bestätigt, die auch die beiden vorherigen festgestellt hatten: Hirntod. Vor ein paar Wochen hatte Steffi einen schweren Unfall und lag im Koma. Von Anfang an standen ihre Chancen schlecht, doch davon wollte ich nichts hören. Die Vorstellung ohne sie leben zu müssen war einfach zu schmerzhaft gewesen. Doch genau das musste ich jetzt tun. Ohne meine Liebe des Lebens weiter machen und stark sein für unsere Kinder. Ich umklammere mit beiden Händen die schlaffe, linke Hand meiner Frau und drücke diese. "Ich werde dich für immer lieben mein Schatz." Ich beuge mich vor, schließe meine Augen und drücke ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie schmecken salzig von meinen Tränen und mir wird bewusst, dass ich sie vermutlich das letzte Mal spüren würde. Ich lasse mich zurück auf den Stuhl sinken und lege meinen Kopf auf Steffis Brust. Leise höre ich ihren Herzschlag. Das es bald nicht mehr schlagen würde, das ich nicht mehr mit diesem beruhigendem Rhythmus einschlafen würde kann ich nur schwer begreifen. Ich schließe  meine Augen und lausche, präge mir das regelmäßige Pochen genau ein. "Herr Reinelt?", höre ich eine sanfte Stimme. Ich hebe meinen Kopf, öffne meine Augen, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und blicke zu der Frau mit Ärztekittel, die in der Tür steht. "Es tut mir leid Sie zu stören, aber ich würde gerne etwas mit ihnen zu besprechen." Ich nicke zum Zeichen, das ich einverstanden bin. Die Ärztin zieht von der Wand einen Stuhl an die andere Seite des Bettes und setzt sich. "Sie wissen das ihre Frau einen Organspendeausweis besitzt?" Wieder ein Nicken meinerseits und mein Blick huscht in das Gesicht meiner Frau. "Wir hätten jemanden in unserer Kartei, der dringend ein Organ braucht. Und ihre Frau wäre eine passende Spenderin." "Welches Organ?", frage ich leise. Zu mehr ist meine Stimme gerade nicht in der Lage. "Ihr Herz." Ungläubig schnellt mein Blick zur Ärztin. "Ihr Herz? Aber... Geht sowas denn?" "Ja das geht. Allerdings müssten wir die Transplantation zügig vornehmen, bevor die Maschinen ihrer Frau ausgestellt werden und ihr Herz versagt." "K...Könnten Sie mich kurz allein lassen?" "Natürlich", erwiderte sie und verlässt leise den Raum. "Du würdest es wollen oder?", flüstere ich und streichele Steffi mit dem Handrücken über die Wange. "Das würde zu dir passen. Dich für andere aufopfern und dafür zu sorgen das jemand anderes leben kann. Du wirst für immer in meinem Herzen bleiben mein Engel. Wir sehen uns im Himmel wieder." Ich drücke ein letztes Mal meine Lippen auf ihre und gehe dann ohne mich noch einmal umzublicken aus dem Zimmer.

Ein paar Wochen später...
(Sichtwechsel)
Heute darf ich endlich aus dem Krankenhaus raus. Meine Herztransplantation war ohne Probleme verlaufen und auch in letzter Minute gekommen. In den letzten Wochen hatte ich versucht so viel wie möglich darüber herauszufinden woher meine Rettung kam, doch viel fand ich nicht heraus. Alles was ich weiß ist, dass es, wie ich, eine Frau Ende 30 war. Sie war verheiratet und hatte 3 Kinder. Nach einem Unfall und mehreren Wochen Koma hatte man bei ihr den Hirntod festgestellt und ihr Mann hatte der Transplantation zugestimmt. Ich wollte nach dem Namen fragen, doch dieser wurde mir verschwiegen. Zu gern würde ich mich bei der Familie bedanken. Dank diesem Mann kann ich nun endlich alles machen was ich möchte. Durch meinen angeborenen Herzfehler musste ich immer aufpassen, doch das ist jetzt zum Glück vorbei. Vor Freude strahlend laufe ich mit meiner Tasche aus dem Krankenhaus und sehe meinen besten Freund vor seinem Wagen auf dem Parkplatz stehen. Als er mich sieht lächelt er und breitet seine Arme aus. Breit grinsend renne ich auf ihm zu und springe in seine Arme. "Na alles gut Prinzessin?", fragt er nachdem wir uns gelöst haben und steigen ins Auto. "Ja mir geht's prima. Aber ich habe wahnsinnig Lust auf ein Eis." Laut lacht Manu auf. "Ja das ist meine Petra." 10 Minuten später stehen wir in unserer Lieblingseisdiele. "Schokolade wie immer?", fragt Manu. "Nein. Ich nehme Pistazie." Verwirrt schaut mich mein bester an. "Was? Ich dachte du hasst Pistazie?" "Ja. Aber irgendwie hab ich gerade richtig Lust darauf." "Na dann", meint er und dreht sich zur Theke um zu bestellen. Da legt sich von hinten eine Hand auf meine Schulter. "Steffi", höre ich eine sanfte, tiefe Stimme sagen und drehe mich um. Vor mir steht ein großer Mann mit schwarzen, lockigen Haaren und Dreitagebart. Als er mich sieht schluckt er sichtlich. "Oh entschuldigen Sie. Ich habe sie verwechselt." "Ist schon in Ordnung", sage ich und lächele ihn an. Er erwidert es jedoch nicht, sondern bekommt einen traurigen Blick und seine Augen füllen sich mit Tränen. Schnell dreht er sich um und verlässt stürmisch den Laden. Etwas fassungslos schaue ich dem Fremden hinterher. Warum er wohl so schnell gegangen ist? Es kam mir fast wie Flucht vor. "Hey Petra", holt Manu mich aus meinen Gedanken. "Alles ok? Wer war das?", fragt er und hält mir mein Eis hin. "Danke. Keine Ahnung wer das war. Er hat mich wohl verwechselt." "Achso."

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