Kapitel 9:

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Alles begann sich um mich zu drehen. Ich griff nach der Türklinke um stehen zu bleiben. Doch meine Beine klappten unter mir weg und ich fiel auf den harten Boden. Ich blieb bewegungslos liegen und sah zu wie sich die Tür einen Spalt breit öffnete. Ich wollte die Tür weiter auf machen, um für die Sanitäter sichtbar zu sein. Doch ich konnte mich kaum noch bewegen. Ich war einfach zu schlapp dafür.

Schritte kamen hinter mir näher. Die Person blieb neben mir stehen und schlug die Tür wieder zu. Dann hob man mich wie ein kleines Mädchen hoch. Die eine Hand unter meinen Kniekehlen und die andere hinter meinem Rücken.

„Hilfe.", murmelte ich der Person zu.

„Halt die Klappe, Jane.", sagte Mara zu mir und trug mich weiter die Treppe nach oben.

„Bitte.", flehte ich sie mit zittriger Stimme an. Doch sie legte mich auf den kalten Boden im Badezimmer ab.

"Schön leise sein. Morgen früh lasse ich dich wieder raus. Solange die Bullen noch bei uns sind solltest du nicht nach draußen gehen.", teilte sie mir mit.

"Aber... ich habe solche... Schmerzen.", wimmerte ich und rollte mich zu einer Kugel zusammen. Eine Hand legte ich dabei auf meine Rippen, als würden dadurch die Schmerzen verschwinden.

"Da kann ich leider auch nichts daran ändern.", sagte mir Mara und kniete sich ein neben mich.

"Die Sanitäter würden mir helfen.", sagte ich zu ihr. "Sie sind noch da. Bring mich doch raus."

"Nein, Jane. Du bleibst schön drinnen. Manchmal musst man etwas alleine durchstehen.", erklärte mir Mara und stand wieder auf.

"Ich... ich kann das aber nicht...", keuchte ich. Doch Mara schloss schon die Tür hinter sich. Ich konnte hören wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte und wegging.

„Mara, bitte nicht. Lass mich raus.", kam ein leises flüstern über meine Lippen. Das konnte sie doch nicht mit mir machen. Es war so kalt hier oben. Ich zitterte. Mittlerweile war es dunkel geworden und der Mond strahlte am Himmel. Ich schaute durch das Fenster zu ihm hinauf. 

Von irgendwoher nahm ich noch Kraft und holte mir ein Handtuch aus dem Schrank. Wickelte es um mich und schloss die Augen.

Ich hoffte, dass sie mich am nächsten Tag nicht vergessen hatten, sondern wie versprochen nach mir sahen.

Die Sonne weckte mich am Morgen des nächsten Tages auf. Sie schien direkt in das Badezimmer hinein. Sie war noch nicht kräftig genug um mich zu wärmen, aber im Laufe des Tages würde sie heiß vom Himmel herunterbrennen.

In zwei Wochen waren Sommerferien rief ich mir ins Gedächtnis. Heute war Montag, glaubte ich zumindest. Dann müsste ich in die Schule gehen.

Mit wackeligen Beinen stand ich auf. Ich hielt mich am Waschbecken fest, bis ich stabil stand. Mir ging es schon besser als gestern. Die Schmerzen waren nicht mehr so schlimm, aber meine Rippen quälten mich bei jeder zu kräftigen Bewegung.

Ich blickte in den Spiegel.

Mir schaute ein völlig mit Blut verkrustetes Gesicht entgegen.

„Das bist du.", sagte ich. Enttäuscht von mir selbst. Ich hatte schon wieder nichts dagegen unternommen.

„Mitleid bringt dich nicht weiter.", sagte mein Spiegelbild zu mir. „Sie haben doch auch kein Mitleid mit dir."

Ich schaute mich genauer an.

„Da hast du Recht.", antwortete ich dem Spiegelbild. „Aber sie sind meine Familie. Alles was mir noch geblieben ist von meinem Leben."

„Das stimmt nicht ganz. Das Bild in deiner Hosentasche. Hol es raus.", befahl mir das Spiegelbild. Ich tastete nach dem Bild meines Vaters. Vorsichtig zog ich es aus der Tasche raus.

„Ja, das ist mein Vater." Ich strich mit meiner Hand über das Gesicht meines Vaters. Er lächelte noch immer. Er war so unerschütterlich.

„Was hat er zu dir gesagt?"

„Ich soll Leben."

„Genau. Sein Leben für deines. Also mach endlich etwas. Ändere dein Leben zum Besseren."

„Und die Familie? Sie war ihm immer am wichtigsten.", erwähnte ich und schaute in den Spiegel.

„Er ist tot. Du musst dein Leben beschreiten. Nicht seins. Was hätte er an deiner Stelle gemacht?", fragte mich das Spiegelbild.

„Er hätte sich gewehrt.", murmelte ich.

„Genau. Er hätte sich der Gefahr gestellt und hätte sie zurückgeschlagen. Er hätte sich dagegen gewehrt. Also tu etwas."

„Ich soll sie schlagen? So wie sie mich geschlagen haben?", verwirrt schaute ich mein verkrustetes Gesicht an.

„Nein. Gewalt wird nicht mit Gewalt beantwortet. In der Schlacht vielleicht, aber nicht während der Feuerpause."

„Nach der Feuerpause wird es aber mit dem Gefecht weitergehen. Soll ich sie da schlagen?", fragte ich irritiert nach.

„Nein, denk doch mal nach. Ich weiß es, dann weißt du es auch."

„Ich verhandle mit ihnen."

„Nein.", kam es vom Spiegelbild zurück. „Indirekt."

„Soll ich zur Polizei?", fragte ich nach.

„Wo willst du denn sonst hin?", ertönte es.

„Keine Ahnung? Einfach nur weg."

„Und was dann?"

„So weit war ich noch nicht.", gab ich zu.

„Na also, dann haben wir doch schon eine Lösung gefunden.", hallte es in meinem Kopf nach.

Ich hatte also einen Weg gefunden hier heraus zu kommen, aber dafür musste ich meine Familie verlassen. Ich musste sie von mir wegtreten. Sie verlassen.

Hätte es mein Vater in diesem Fall auch gemacht? Wie hätte er darauf geantwortet?

Wenn ein paar Tage deine Welt verändern (ASDS)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt