Bruder von Bastian Schweinsteiger

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Am Auto angekommen brauchte ich eine ganze Weile, bis ich mich mit meiner dicken Schiene auf den Beifahrersitz gehievt hatte. Als ich endlich saß, schloss Tobias die Tür, ging ums Auto herum und setzte sich selbst hinters Steuer. "Ein Q5, nicer Schlitten!", staunte ich. Alles sah und roch noch so neu. "Ja, ist ein "Firmenwagen"", grinste er. Ok wow, wo arbeitete bitte dieser Kerl? Wir fuhren los und sogleich auf die Autobahn. "Also", fing er dann an, "bei welchem Verein spielst du überhaupt?" "Beim TuS Raubling. Aber den wirst du eh nicht kennen..." Er schnaubte. "Kaum zu glauben, tu ich aber. Ich komme nämlich aus der Gegend. Oberaudorf, wirst du aber eh nicht kennen...", konterte er dann. So hübsch wie Tobias auch war, so schlagfertig war er auch... Oberaudorf war tatsächlich nur ein paar Kilometer von meinem Heimatdörfchen entfernt, natürlich kannte ich es und Tobias wusste das auch. "Vielleicht haben wir uns schonmal irgendwo gesehen und daher kenne ich dich...", überlegte ich laut. Tobi warf mir einen nachdenklichen Blick zu, konzentrierte sich dann aber gleich wieder auf den Verkehr. Ich sah mich ein wenig in seinem Wagen um und erkannte zwei auffällige Details. Im unteren rechten Eck der Windschutzscheibe klebte ein FC Bayern-Logo und der Riechbaum, der am Rückspiegel baumelte, war ebenfalls rot und trug das Logo des Fußballvereins. War Tobias also ein FC Bayern-Fan? Wie cool, da hatten wir also was gemeinsam... Gerade wollte ich ihn darauf ansprechen, als der Bildschirm im Wagen einen eingehenden Anruf ankündigte. "Da müsste ich rangehen, ist das ok?", fragte Tobias sogleich. "Jaja, kein Problem. Ich halte meinen Mund!" "Hey Torsten", nahm er den Anruf dann schließlich entgegen, ich lauschte aber nicht weiter. Stattdessen setzte ich meine Inspektion des Wageninneren weiter fort. Auch wenn tief in mir meine innere Stimme mir absolut davon abriet, es nicht zu tun, öffnete meine Hand wie von selbst das Handschuhfach und schnappte sich den erstbesten Gegenstand daraus. Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie Tobias skeptisch zu mir herüber blickte, aber nichts sagte, da er immer noch den Anrufer in der Leitung hatte. In meiner Hand hielt ich nun einen roten Schnellhefter, worin ein paar ausgedruckte Emails lagen, was ich auf den zweiten Blick feststellte. Spätestens jetzt sollte mir jemand auf die Hände hauen, da dies mich überhaupt nichts anging... Aber meine unglaubliche Neugier ließ sich nicht bändigen und so nahm ich mir die erste Seite vor. Das Thema hierbei schien der Aufbau eines Fußballtrainings zu sein. Mit einem Seitenblick zu meinem Fahrer bemerkte ich, dass er längst fertig war mit telefonieren und mit hochgezogenen Augenbrauen anscheinend darauf wartete, dass ich ihn mit Fragen bombardierte. "Du spielst Fußball?" "Mmh", grunzte er nur. Da es mittlerweile eh schon egal war, blätterte ich weiter durch die Ausdrucke. Bei der nächsten Mail stand in der Betreffzeile unter anderem "...FC Bayern-Amateure". "Du spielst Fußball bei den FC Bayern Amateuren?" "Mmh", bekam ich nur wieder zur Antwort. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Tobias kam aus Oberaudorf, spielte Fußball bei den FC Bayern Amateuren und er fuhr als "Firmenwagen" einen Audi... "Hast du's dann?", fragte Tobias ungeduldig mit einem vergnügten Blick. "Du bist... Du bist Tobias Schweinsteiger?" "Eigentlich sollte ich dich dafür rühmen, dass man nicht in fremden Sachen rumschnüffelt, aber... Ja, der bin ich!" "Du bist der Bruder von Bastian Schweinsteiger? Dem Helden vom WM-Finale?" "Jap, mein kleines Brüderchen hat sich richtig rein gehängt, oder?" "Ich fass es nicht!" Jetzt lachte er. "Mach mal halblang. Ich bin längst nicht so ein Star wie mein kleiner Bruder..." Auf einmal schoss ein Gedanke durch meinen Kopf. "Der angesehene Arzt, den du vorhin erwähnt hattest... Das soll jetzt aber nicht Dr. Müller-Wohlfahrt sein, oder?" "Ja doch klar, wer sonst?" "Das ist nicht dein Ernst?" "Logisch! Schau mal, Hans hat Usain Bolt wieder so hingekriegt, dass der ein halbes Jahr später einen neuen Weltrekord rennt. Dann wird er auch dein Knie wieder gerade biegen..." Schlechte Witze reißen kann er auf jeden Fall... "Darum gehts mir auch gar nicht... Der Doc hat doch bestimmt überhaupt keine Zeit für mich. Ich bin nicht berühmt und muss auch keine olympischen Spiele absolvieren."  "Du musst ohne Probleme überhaupt gehen können, das ist das Wichtigste! Wenn Hans dir zu noch mehr verhelfen kann, ist das doch nur ein Pluspunkt... Ach, und du glaubst gar nicht, wie viel Zeit er wirklich hat!" Darauf konnte ich dann erstmal nichts erwidern und beließ diese Diskussion dabei. Vielleicht war es auch gut so und mein Knie würde ordentlich zusammen heilen. Irgendwo tief drin hatte ich sogar schon das Ende meiner Handballkarriere akzeptiert. Zwar wollte ich nie, dass sie so endet, aber das würde jetzt auch nicht mehr rückgängig gemacht werden können. "Und? Auf welcher Position hast du eigentlich gespielt?", fing Tobias erneut eine Unterhaltung an. Ich atmete tief durch, schob meine Gedanken beiseite und antwortete: "Im Tor!" Daraufhin warf er mir einen schnellen, überraschten Blick zu. "Echt jetzt?" "Hättste nicht gedacht, was?" Ertappt legte er den Kopf schief. "Um ganz ehrlich zu sein, nein..." Ich lachte. "Das macht nix. Die wenigsten tun das..." Und so erzählte ich Tobias Schweinsteiger alles über mein vergangenes Handballerleben und vergaß dabei komplett die Zeit... 

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