Zwei Stunden später konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein Knie irgendwann wieder ganz und gesund werden würde. Laut Max hatten wir eine sehr intensive Physiotherapiestunde hinter uns und dass wir so gute Fortschritte machen würden. Arjen kam vorbei und zog mich lachend mit nach draußen. "Nach ein paar Wochen spürst du die Schmerzen gar nicht mehr." "Achja, ist das so, sie großer Meister?" Schlagartig verschwand sein Grinsen. "Glaub mir, ich hab das oft genug durchgestanden." Genau in dem Moment erinnerte ich mich an das, was Arjen mir gestern bereits im Wartezimmer beim Doc erzählt hatte. Nachdem er sich vor circa einem halben Jahr das linke Sprunggelenkband gerissen hatte, zickte sein Fuß immer wieder herum. Mal waren es die Bänder, die zwickten, mal machte der Muskel einfach wieder zu. An Joggen geschweige denn Arbeit am Ball war bei ihm erstmal nicht zu denken. "Du hast Recht! Tut mir leid!" Ich senkte meinen Blick, nachdem ich ihm ein mitleidiges Lächeln zugeworfen hatte. Draußen gesellten wir uns zu Holger und Basti, welcher mir sogleich freundschaftlich einen Arm um die Schultern legte. Wir lehnten am Geländer zum Trainingsplatz und beobachteten den Rest der Mannschaft, der unter strengem Blick von Pep Guardiola das Abschlussspiel absolvierte. Basti wandte sich noch einmal an mich: "Ich soll dir noch vom Trainer ausrichten, dass du hier natürlich sehr willkommen bist. Allerdings hofft er auf deine Diskretion, was Trainingstaktiken oder Strategien vor Spielen angeht." Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch. Auf so etwas wäre ich im Leben nicht gekommen... Unschuldig hob ich die Arme: "Von dem ganzen Kram hab ich ja auch überhaupt keine Ahnung, deshalb könnt ihr diesbezüglich komplett unbesorgt sein." Zufrieden nickte Basti. Nachdem ich den Jungs noch ein paar weitere Minuten zugesehen hatte, fiel mir auf, dass jemand fehlte. "Fehlt heute nicht Manuel Neuer? Ist er etwa verletzt?" Der vielsagende Blick von Basti in Richtung Arjen entging mir nicht, woraufhin letzterer kopfschüttelnd die Augen verdrehte und auch Holger verbiss sich ein eindeutiges Grinsen. Hä, was zum Teufel sollte denn das jetzt? Basti erbarmte sich zu einer Antwort: "Seine Majestät, der GOAT, hat heute einen freien Tag zugestanden bekommen. Ab morgen kann er wieder auf dem Platz bewundert werden..." Dass er dazu noch eindeutig mit der Zunge schnalzte, brachte bei mir das Fass zum Überlaufen... Was dachte sich denn Basti von mir? Dass ich so oberflächlich war? Das hier wurde mir eindeutig zu blöd! Ich drehte mich um und verschwand durch die erste Tür, die ich fand, nach drinnen. Die Rufe der Jungs, wie beispielsweise "Leonie, warte!" oder "Die Tür ist zu!", hinter mir ignorierte ich gekonnt.
Die Türe war nämlich alles andere als geschlossen. Diese Türe entpumpte sich aber als Tür zur Umkleidekabine. Und in dieser war gerade Thiago dabei, sich umzuziehen. Da er seine Kopfhörer in den Ohren trug, hatte er mich zum einen nicht hereinkommen hören und ließ sich zum anderen auch ordentlich Zeit, sich eine Boxershort anzuziehen - er dachte ja auch, dass er alleine wäre. Ich schloss peinlich berührt die Augen und drehte mich erneut um, um vielleicht unbemerkt durch die Tür wieder verschwinden zu können. Ich drückte die Türklinke nach unten, doch dieses Mal bewegte sich die Tür keinen Zentimeter. Hä, warum zum Teufel ging denn diese Tür nicht auf? Mit einem Blick nach oben erkannte ich, dass dies ein Notausgang war... Aber das hier war schließlich ein Notfall, warum konnte ich sie dann nicht öffnen? Ich vergaß für einen Moment, wo ich war und hämmerte frustriert gegen das Holz. Durch meinen Lärm wurde nun auch Thiago auf mich aufmerksam und drehte sich erschrocken um. "Leoniiiee!!" Zum Glück hatte er sich geistesgegenwärtig seine Short nach oben gezogen, denn sein bestes Stück musste ich nun wirklich nicht auch noch kennenlernen. "Ähm...", stotterte ich. Tja, wie sollte ich mich jetzt erklären? "Ich hab die falsche Tür genommen..." Offensichtlich... "Ja, die Tür ist... naja, jedenfalls: der Ausgang ist da!" Thiago zeigte auf die Tür, durch die ich vorhin mit Basti und Robert kurz geblickt hatte. Verlegen nickte ich und deutete ebenfalls in die Richtung: "Dann werde ich mal gehen..." Mit großen Schritten durchquerte ich die Kabine und war im nächsten Moment auch schon wieder draußen. Als ich auf dem Flur stand, lehnte ich mich gegen die geschlossene Tür, atmete erst einmal tief ein und aus und schloss die Augen. Nachdem ich mich innerlich wieder beruhigt hatte, öffnete ich meine Augen und glaubte kaum, was ich sah: da standen doch tatsächlich Basti, Arjen und Holger vor mir und versuchten, sich ein Lachen zu verkneifen. "Was gibt's denn hier zu lachen?", fragte ich angefressen. Erst die blöde Anmache und dann mich so ins offene Messer laufen zu lassen. "Entschuldige, ich hatte vergessen zu erwähnen, dass die Notausgangstür vor ein paar Wochen falsch herum eingebaut wurde und sie seitdem niemand ausgewechselt hat." "Ja danke, jetzt weiß ich das auch... Hättest du mir ja auch bei unserem Rundgang vorhin erzählen können..." Eingeschnappt drückte ich mich an den Jungs vorbei und verschwand auf mein Zimmer. "Jungs, einen schönen Tag noch..."
Beleidigt wie ich war, blieb ich noch den ganzen Tag auf meinem Zimmer, chattete mit meinen Freunden und versuchte, mich auf mein Buch zu konzentrieren. Doch das war gar nicht so leicht, angesichts der neuen Seiten, die mein Leben letztens für mich bereit hielt. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich auf dem FC Bayern Campus wohnte und Freunde mit Bastian Schweinsteiger und Arjen Robben war. Naja, Freunde... Dass sie mich heute Mittag beim Training so verarscht hatten, hatte ich ihnen immer noch nicht so wirklich verziehen. Meine Gedanken wurden von meinem knurrenden Bauch unterbrochen, kein Wunder es war bereits 18:30 Uhr und ich hatte das Mittagessen ausfallen lassen. Ich schwang mich aus dem urgemütlichen Sessel und machte mich auf den Weg in Richtung Kantine. Nachdem ich ein paar Mal in Sackgassen oder vor geschlossenen Türen stand, fand ich schließlich den Eingang zur Kantine. Und hier war noch einiges los... Jeder Tisch war besetzt, aber es schienen keine Profispieler mehr anwesend zu sein. Ich scannte erst einmal die Umgebung: hinter dem Tresen oder der Essensausgabe standen zwei Burschen mit Kochmütze, die die gewünschte Mahlzeit ausgaben. Direkt neben der Tür war auf einem Bildschirm der aktuelle Speiseplan zu lesen: heute gab es Fischcurry, eine Gemüselasagne als vegetarische Variante oder man stellte sich selbst einen Salat vom Salatbuffet zusammen. Weiter hinten konnte ich auch ein kleines Dessertbuffet ausmachen. Ich stellte mich in der Schlange an und bestellte dann die Gemüselasagne. Doch anstatt mir einfach nur einen Teller zu reichen, musterte mich der blonde Kerl neugierig von oben bis unten. Verwirrt runzelte ich mit der Stirn, auf was wartete der bitte? "Was ist? Kann ich mein Essen heute noch haben oder soll ich es morgen aus der Gefriertruhe abholen?" Der Blondie fand das anscheinend seeehr lustig und fing plötzlich lauthals an zu lachen. Und er hörte nicht mehr auf. "Du hast ja ne ganz schön freche Klappe. Jetzt versteh ich auch, warum Basti dich heute Mittag so verarscht hat." Ich sah ihn verständnislos an. Wie bitte? "Na, dein Vorfall heute Mittag. Du und Thiago. Alleine. In der Umkleide!" Ich starrte ihn an. So wie er es sagte, war es natürlich überhaupt nicht passiert, aber what the hell? "Du weißt davon?" Er kicherte, schaufelte mir endlich eine ordentliche Portion Lasagne auf einen Teller, stellte ihn dann vor mir auf den Tresen und beugte sich dann zu mir vor. "Nicht nur ich, Schätzchen. Nicht nur ich." Und dann wandte er sich an den nächsten Gast. Immer noch geschockt und peinlich berührt nahm ich meinen Teller und sah mich um.
Alle Tische waren nach wie vor belegt, also müsste ich mich zu irgendjemanden dazu gesellen. Ich wollte gerade auf einen Tisch in der zweiten Reihe zugehen, als mich jemand von hinten am Arm packte. Empört blickte ich mich um und wollte schon losschreien, was das sollte. Allerdings brachte ich dann überhaupt kein Wort heraus. Ein großes, schlankes Mädchen mit dunkelbraunen langen Haaren stand neben mir und zog mich zu einem Tisch in der letzten Reihe, wo bereits ein Mädchen mit blonden Engelslocken saß und uns entgegen grinste. "Ignoriere den Idioten namens Luke einfach. Der Typ ist einfach nur verbittert..." Dabei zeigte sie zurück zur Küche, zu dem blonden Typ, der mich blöd angemacht hatte. "Und vielleicht ist er auch ein klein wenig neidisch, dass du an deinem ersten Tag direkt Bekanntschaft mit allen Profis gemacht hast... Dass passiert nämlich uns Mitarbeitern nicht oft." Mittlerweile waren wir an dem Tisch angekommen und das braunhaarige Mädchen ließ sich neben das blonde auf die Sitzbank fallen. Ich stellte mein Tablett ab, setzte mich wegen meines Knies vorsichtig auf die Bank und musterte dann die beiden. "Ihr arbeitet hier?" Die Blonde nickte: "Ja, wir sind die internen Übersetzer- und Dolmetscherinnen. Oder zumindest sind wir es bald..." "Und ich bin übrigens Violet und das hier ist Gwendolyn", stellte sich die Schwarzhaarige vor. "Ich bin..." "Du bist Leonie. Die mit dem kaputten Knie", unterbrach mit Gwen. Wow, war ich hier schon etwas wie eine Berühmtheit? "Ja, anscheinend bin ich auch die, die sich innerhalb von ein paar Stunden volle Kanne blamiert hat." "Ok, ich hatte einen langen Tag, ich brauch jetzt keine negativen Vibes mehr... Bitte, wie gesagt, ignoriere Luke und freue dich einfach, dass du hier sein darfst..." Angesteckt von ihrer guten Laune, lachte ich Violet zu und nickte dann. "Also gut, dann guten Appetit!" Dass sich deren beider Leben von nun an ebenfalls gewaltig ändern würde, hätten sie wohl ebenfalls nie geglaubt...
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Unser eigener Stern des Südens
FanfictionLeonie sitzt im Krankenhaus und realisiert, dass ihre Welt in Trümmern liegt. Sie würde wahrscheinlich nie wieder Handball spielen können. Doch das war ihre Lieblingssportart, ihr Ein und Alles, ihre Leidenschaft. Zur Erklärung: Ihr Knie war im Eim...