Mit einem glücklichen Grinsen überquerte ich nach dem Essen den Vorplatz und ging in Richtung Jugendhaus. Die beiden Mädels, Gwen und Violet, waren zuckersüß und wir hatten bereits jetzt schon ziemlich viel Spaß zusammen gehabt. Ich freute mich schon darauf, die beiden bald wieder hier auf dem Gelände zu sehen. Immer noch in Gedanken versunken über diesen vollgepackten Tag, stieg ich langsam die Treppen nach oben in den vierten Stock. Mit meiner verdammten Schiene brauchte ich aber auch so extrem lange und als ich endlich oben war, war das Licht im Treppenhaus bereits wieder erloschen. Da erst im Flur zu den Zimmern der nächste Lichtschalter war, musste ich den Rest der kurzen Strecke vom Treppenabsatz bis zur Durchgangstür zum Flur im Dunkeln zurücklegen. Als ich dann schließlich schon durch die Glastüre durch war, kam aus dem ersten Zimmer auf dem Gang eine Gestalt und wie es das Schicksal wollte, ließ sich ein Zusammenstoß nicht mehr vermeiden. Vor lauter Schreck kreischte ich laut auf. Damit ich nicht nach hinten fiel, hatte der Kerl (ohja, das war definitiv ein Mann) einen Arm um mich geschlungen, mit dem anderen stützte er sich selbst im Türrahmen ab. Da es sowohl im Flur, als auch im Zimmer dahinter dunkel war, konnte ich nicht erkennen, wer es war. "Was schleichst du denn so in der Dunkelheit herum?" Diese Stimme allerdings würde ich unter tausenden erkennen. Auch wenn sie weich und leise war und nicht wütend oder laut, wie ich es erwartet hatte. Anscheinend hatte er einen Lichtschalter gefunden, denn plötzlich ging irgendwo das Licht an. Im ersten Moment musste ich noch etwas blinzeln, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen, doch dann hob ich meinen Kopf...
Und blickte direkt in zwei tiefe, meerblaue Augen. Welche mich bereits mit einem sanften, aber durchdringenden Blick musterten. Ich hatte das Gefühl, dass er direkt bis auf meine Seele sah. Mich las, mich verstand.
Wie oft hatte ich mir diese Szene in meinen Gedanken ausgemalt... Dass mein erstes Zusammentreffen mit Manuel Neuer, damit enden würde, dass ich in seinen Armen lag, dass hätte ich nie zu träumen gewagt.
Mir war natürlich bewusst, dass er mich noch immer in seinem Arm hielt, doch ich hatte noch kein Bedürfnis zu gehen, ich wollte diesen Moment nicht zerstören. Auch er schien sich nicht daran zu stören, dass wir uns so nahe waren, unsere Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. Für einen kurzen Moment flog mein Blick von seinen traumhaften Augen zu seinen (ach, ebenfalls traumhaften) Lippen. Aber im nächsten Augenblick gab ich mir innerlich selbst einen Schubs, dass das nun doch etwas zu weit gehen würde... Wieder versank ich in seinen blauen Augen und auch er wandte den Blick nicht von mir ab. Keine Ahnung, wie lange wir bereits so eng umschlungen auf dem Flur standen, doch irgendwann drang das Klingeln eines Handys an mein Ohr. Dieses schrille Geräusch riss uns etwas aus unserer Trance und Manuel schüttelte sich wie ein nasser Hund. Seine Hand ließ er aber weiterhin auf meiner Taille liegen, die Haut an dieser Stelle wurde schon auffällig warm. Warum ging er denn nicht an sein Handy? Peinlich, erst nach zwei durchgeklingelten Minuten realisierte ich, dass das mein Handy war. Widerwillig löste ich mich ein wenig von Manuel und zog mein Handy aus der Hosentasche. "Ha... hallo?", meldete ich mich bei meinem Anrufer. "Hey, du. Wo hast du denn so lange gesteckt?" Es war Simon, ein Handballerkollege. "Hey du. Ähm... sorry, meine Schiene, das Gehen... das gestaltet sich etwas kompliziert..." "Also, kein Unterschied zu vor deinem Unfall?" Simon war ja so ein Scherzkeks... "Haha, Simon sehr witzig..." Bei der Erwähnung von Simons Namen zog Manuel seine Hand weg und seine Miene wurde ernster. Nicht, dass Manuel dachte, Simon wäre mein Freund oder so etwas... Ich wollte nicht, dass Manuel ging ohne dass wir ein Wort miteinander gesprochen hatten. "Simon, hör zu. Kann ich dich gleich zurückrufen? Ich muss noch kurz etwas erledigen..." Manuel versuchte es zu verstecken, doch bei meinem letzten Satz schmunzelte er. "Ja klar, kein Problem. Ich warte nur auf gerade auf Bobby und dachte, du hättest kurzfristig Zeit. Melde dich einfach, ja? Bis später!" "Cool, danke dir! Tschau!" Ich steckte mein Handy wieder ein und drehte mich zu Manuel um. "Ich hoffe, du hast jetzt nicht wegen mir aufgelegt... Ich wollte sowieso..." "Nein, nein", widersprach ich, "ich wollte nicht gehen, ohne dass ich mich vorgestellt hatte." Wieder schmunzelte er: "Nicht nötig. Du bist Leonie. Du hast ein kaputtes Knie und lässt es bei Hans behandeln. Du darfst dank Basti hier im Jugendhaus wohnen, bis du wieder fit bist und wieder Handball spielen kannst." Überrascht starrte ich ihn an. Er kannte mich ja schon besser als Basti selbst. Jetzt musste er tatsächlich lachen. "Basti schwärmt schon seit gestern von dir." Aha... "Soll ich mich auch noch vorstellen?" Jetzt konnte ich wenigstens kontern: "Du bist Manuel Neuer. Du bist Weltmeister, genauso wie der weltbeste Torwart. Du bist bescheidene 30 Jahre alt und kommst aus Gelsenkirchen." Er nickte: "Das sind die allseits bekannten Fakten." "Du hälst dich also selbst für den weltbesten Torwart?", entgegnete ich. Er blieb stumm, konnte sich ein schiefes Grinsen aber nicht verkneifen. "Aha, dann weiß ich ja jetzt noch mehr über dich. Du bist ziemlich arrogant." Damit drehte ich mich um und wollte mich in meinem Zimmer verkriechen, wurde aber von Manu am Arm gepackt und wieder zu ihm hingezogen. Auf einmal befanden wir uns in der gleichen Position wie ganz am Anfang unseres Gesprächs und wieder versank ich ohne es zu wollen in seinen tiefblauen Augen. "Ich will nicht, dass dein Bild von mir so bleibt. Vielleicht kann ich dir ja noch mehr über mich verraten..." Wieder war seine Stimme sanft und schien sich wie eine Decke um mich hüllen. "Ich... ich bin ziemlich platt. Es war ein langer Tag. Tut mir Leid." Enttäuscht nickte er und ließ von mir ab. "Ja, natürlich. Du bist müde, das hatte ich nicht bedacht, sorry." "Vielleicht morgen...", versuchte ich seine traurige Miene zu retten. "Beim Frühstück?" "Übernachtest du etwa auch hier?", fragte ich verdutzt. "Ja, ich soll morgen früh um 6 Uhr einen zusätzlichen Medizincheck bei Hans absolvieren. Da fahr ich jetzt nicht noch einmal nach Hause..." Er machte eine Pause und schenkte mir wieder einen intensiven Blick. "Dann warte ich unten in der Kantine um 8 Uhr zum Frühstück auf dich!" Es könnte sein, dass ich leicht rot anlief, nickte aber trotzdem. "Alles klar, acht Uhr also." Jetzt konnte Manu wieder grinsen und er zwinkerte mir zu. "Cool. Dann ist das ein Date!"Am nächsten Morgen wachte ich mit gemischten Gefühlen auf. Hatte ich jetzt ernsthaft ein Date mit Manuel Neuer? Das würde mir doch keiner glauben! Meine Nacht war wieder einmal sehr unruhig gewesen, sobald ich die Augen geschlossen hatte, hatte ich Manus intensive Blicke wieder auf mir gespürt. Mein Herz hatte schneller geklopft und ich war wieder vollends wach. Ich setzte mich schwer auf und fuhr mir einmal stöhnend durch die Haare. Hoffentlich verging dieser kleine Crush schnell wieder, in diesem Zustand könnte ich mich ja kaum in seiner Anwesenheit aufhalten. Nach einem Blick auf die Uhr schwang ich mich aus dem Bett, um mich fertig zu machen. Ich musste sogar ein klein wenig Makeup auftragen, um die dunklen Augenringe zu überdecken. Um kurz vor acht humpelte ich aus meinem Zimmer in Richtung Kantine und wurde bereits unten vor der Haustür von Manu begrüßt. "Hey du!" "Na, da hat aber jemand extrem gute Laune", grüßte ich zurück. "Und das obwohl du schon seit 5.30 Uhr auf den Beinen bist..." "Vielleicht hab ich mich auch einfach auf unser Date gefreut..." Täuschte ich mich oder wurde Manu nun tatsächlich ein wenig rot? Wir waren bereits in der Kantine angekommen und mit einem Blick in die Küche bemerkte ich, dass Luke - der blonde, arrogante Typ von gestern Abend - schon wieder Dienst hatte. Ich stöhnte auf und konnte mir ein Augenverdrehen nicht verkneifen. "Ist der eigentlich immer da?" Manu folgte meinem Blick. "Ja, so gut wie. Er ist der Sohn des Küchenchefs und studiert Gesundheitsmanagement." "Na toll..." "Hey, was ist los?" Manuel sah mich eindringlich an. "Luke und ich hatten keinen besonders guten Start..." "Hat er was gesagt zu dir? Wegen dem Vorfall gestern Mittag? Leonie, so etwas musst du mir sagen, auch wenn er der Söhnchen des Chefs ist, seine Attitude geht gar nicht. Er denkt, er ist der King und kann alle niedermachen..." Ich nickte leicht. "Ja, er hat eine kleine Bemerkung darüber gemacht. Aber alles halb so wild... Hey, Manu, warte!" Manu war in Richtung Küche marschiert und redete nun eindringlich auf Luke ein. Dieser warf daraufhin einen reumütigen Blick zu mir und nickte dann schüchtern. Manu ließ von ihm ab, ging zu einem freien Tisch und winkte mich zu sich. Als ich dann mit ihm zusammen saß, kam auch schon Luke mit einem vollgestellten Tablett zu uns. Er servierte uns Joghurt mit Früchten, Pancakes und Rührei zusammen mit Kaffee und Orangensaft. Zum Schluss wandte er sich mir zu: "Leonie, das mit gestern... Tut mir Leid! Ich wollte dich ein wenig aufziehen, hatte aber nicht gedacht, dass es dich irgendwie verletzten könnte... Sorry dafür!" Er schien es tatsächlich ernst zu meinen und ich nickte. "Danke Luke. Alles gut!" Mit einem zufriedenen Grinsen kehrte er wieder in die Küche zurück und ich blickte zu Manu, der schon genüsslich seinen Jogurt mampfte. "Danke dir! Das hast du ihm doch eingeredet, oder?" Frech und unwissend zuckte er mit den Schultern. Wer weiß... Aber du bist mir wichtig und ich will einfach, dass du dich hier wohlfühlst!" Und diesmal brannte sich sein flammender Blick bis auf meine Seele...
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Unser eigener Stern des Südens
FanfictionLeonie sitzt im Krankenhaus und realisiert, dass ihre Welt in Trümmern liegt. Sie würde wahrscheinlich nie wieder Handball spielen können. Doch das war ihre Lieblingssportart, ihr Ein und Alles, ihre Leidenschaft. Zur Erklärung: Ihr Knie war im Eim...