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"Äh, nein. Tut mir Leid. Ich kenne deine Stimme, kann sie aber nirgendwo mehr hinordnen."

"Ai ai ai. Mein Engelchen erkennt mich nichtmehr."

Ein Blitz durchzuckte meinen Kopf.

"Dayenna?" Fragend wartete ich auf eine Antwort von der Stimme auf der anderen Seite des Hörers.

Ja klar! Dayenna war meine Austauschpartnerin in der zehnten Klasse. Sie wohnt in Nordamerika - in Philadelphia - und ich war  drei Wochen bei ihr.
Eigentlich wollte ich nicht auf den Austausch, weil ich wusste, dass er nicht mitkam und außerdem war meine Austauschpartnerin ein Mädchen und mit Mädchen konnte ich zur der Zeit nicht wirklich gut umgehen. Doch wie sich herausstellte, konnten Dayenna und ich uns echt gut leiden und wir hatten richtig Spaß zusammen. Sie war mit ihm auch die einzige, die mich nach dem Tod meiner Zwillingsschwester wieder richtig zum Lachen brachte. Dayenna war in der Zeit schon echt Gold wert.

Doch als ich wieder nach Hause kam, hatte ich großen Stress mit Prüfungen und konnte ihr auf fast keine Nachricht mehr antworten, welche sie mir schrieb. Erst als es fest stand, das sie zu uns einen Austausch mitgehen darf, hatten wir wieder Kontakt. Danach brach er vollständig ab. Ich wechselte meine Handynummer und hatte sie nichtmehr als Kontakt. Daher war ich auch so erstaunt, dass sie meine Nummer noch hatte.

"Jaaaaaa! Mäuschen, wie geht es dir?", schrie sie mir ein Ohr ab.

"Dayennaaaa! Wie cool, dass du mich anrufst!", überbrückte ich die Antwort auf die gestellte Frage.

"Ja, find ich auch! Aber wie gehts dir denn?" Sie lies nicht locker.

"Du sprichst jetzt mega gut Deutsch! Wie hast du das geschafft?" Vielleicht hilft mir ja eine Gegenfrage...

"Willst du mir etwa sagen, dass ich davor kein gutes Deutsch gesprochen habe?" Geschafft!

"Nein, dass wollte ich damit nicht sagen", lachte ich leicht.

Doch sie wurde ernst: "Erzähl mal, warum geht es dir denn so scheiße?"

"Wie...wie hast du das gewusst?", stotterte ich entsetzt über ihre Hellhörigkeit.

Ich habe glatt vergessen, wie es ist, eine Freundin zu haben und wie gut sie mich doch kennt. Dayenna merkt vieles; wo ich Stunden brauchen würde, merkt sie es durchs Telefon.

"Baby, du kannst mir doch nichts vormachen! Im Ernst, glaubst du, ich merk es nicht, wenn du zwei mal meiner Frage ausweichst? Was ist los?"

"In der Zeit wo du weg warst ist viel passiert...", ich musste einen Schluchzer mit viel Gewalt unterdrücken.

"Oh, was ist passiert. Etwa was mit ihm?", fragte sie feinfühlig.

Ich spürte einen dicken Kloß im Hals und meine Augen wurden voller Tränen.
Nicht weinen! Nicht weinen! Du darfst nicht schon wieder weinen!

"Mausi sag was! Bist du noch dran? Habt ihr euch getrennt?" Sie klang jetzt schockiert und auch ihre Stimme war brüchig.

"Ja. Ja, wir haben uns getrennt. Er ist gestorben." Ich konnte die Tränen, welche in meinen Augen brannten nichtmehr zurückhalten. Es waren zu viele.

"Oh Schatz!" Sie schluchzte. "Dass tut mir so unendlich Leid für dich! Wann soll ich kommen?" Dayenna klang richtig verzweifelt.
Aber sie ist so süß! Ich musste sogar lächeln bei ihren Worten.

"Ai Dayenna, du bist richtig lieb!"

"Hast du das etwa auch schon vergessen?!", fragte sie gespielt schnippisch.

Nachdem ich nicht antwortete fragte sie weiter: "Und wie geht es dir jetzt? Was tust du jetzt?"

"Ich....ich weiß es nicht...ich will nicht mehr, ohne ihn...!" Ich spielte traurig mit meinen Haaren herum. Sollte ich ihr von meinen Gedankengängen erzählen?

Sie ist deine beste Freundin gewesen!

Was ist das nochmal? Ich kenn das Wort nicht...

"Was soll das jetzt heißen?", blaffte sie entrüstet. "Spielst du etwa mit Suizidgedanken oder was?" Ich konnte ein hysterisches und unsicheres Lachen von der anderen Seite des Telefons hören.

Woher weiß sie das immer? Kann sie mir in den Kopf gucken? Oder ins Herz....

"Um ehrlich zu sein....ja.....", verriet ich ihr.

"WILLST DU MICH VERARSCHEN?!", schrie sie ins Telefon.

"Nein, Dayenna, es ist so. Akzeptier das bitte, dass ich nicht ohne ihn leben kann. Erst ist sie gegangen und jetzt er. Weißt du, wie schlimm das ist? Die zwei wichtigsten Personen in deinem Leben zu verlieren?" Ruhig erklärte ich ihr meinen Standpunkt.

"Aber....aber...das kann doch nicht dein Ernst sein?", fragte sie total aufgelöst.

Natürlich ist sie das! Was denkst ich denn, was meine Eltern dazu sagen? Damit hätte ich aber so was von rechnen müssen! Und sie ist erst die erste, die davon erfährt!

"Doch, Day, es ist mein Ernst. Ich mach mit sowas keine Witze!"

"Ich komm sofort zu dir! Das kannst du nicht machen! Bitte, lass das! Viele brauchen dich!", flehte sie verzweifelt in das Telefon.
Ihre gebrochene Stimme sagte mir, dass sie weinte. Ein Schauer überkam mich und ich schämte mich.

Jetzt weint sie wegen mir! Aber ich kann jetzt nicht nachgeben! Meine Entscheidung steht fest! Ich hatte jetzt ein paar Tage Überlegungszeit und das scheint mir einfach am plausiebelsten. Was soll ich denn anderes tun?
Selbst der Kontakt zu meiner neuen, alten Freundin kann mir nicht helfen! Meine Hauptpersonen sind mir weggestorben und beide hatten das nicht verdient! Beide! Ich will niemandem mein Herz geben, denn der wird auch sterben! Beende es jetzt endlich!

"Nein, Dayenna! Ich kann nichts dagegen tun! Sie haben mich beide kaputt gemacht! Beide! Ich kann nicht mehr, ich will nicht ohne sie!" Okay, das war etwas zu böse.

"Warte wenigstens noch ein paar Tage! Dann können wir reden; bitte! Tu das nicht! Überleg es dir nochmal!" Sie weinte nun richtig und ich zitterte so, als wolle ich gleich zerspringen. Es brach mir mein Herz, sie so zu hören. Es tat mir so unendlich Leid für sie.

Gib nach, ich kann nicht zulassen, dass sie so leidet!

"Day, es tut mir Leid. Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen-"

"Aber..." Sie verstummte. Sie schien zu merken, dass es für mich kein zurück mehr gab.

Traurig schaute ich zu Boden. Das wars, sie wird nicht mehr darum kämpfen! Ihr ist es egal!

Eine Träne rollte über meine Wange. Es ist vorbei!

"-und das für immer!"

Ich drückte auf den roten Hörer der Tastatur. Es knackte kurz in der Leitung, dann war sie tot.

Langsam lies ich meine Hand sinken.

Es war vorbei.




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